#134 Alte Männer fusseln

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Siebzehn verschissene Tage sind vergangen.
Siebzehn Tage, die ich irgendwie mit und gleichzeitig auch ohne meinen Freund verbracht habe.
Siebzehn Tage, in denen ich jedes Mal, wenn ich auf Station kam, gehofft habe, dass er aufgewacht ist.
Siebzehn Tage, in denen ich jedes Mal so lange geblieben bin, bis mich die Nachtschicht rausgeschmissen hat, weil ich jederzeit auf den Moment gehofft habe, dass alles gut wird, er sich so weit stabilisiert hat, dass er aufwachen kann, dass er alleine atmet, endlich nicht mehr diesen Schlauch im Hals hat und endlich wieder mit mir reden kann, während ich ihm in seine wunderschönen grünen Augen schaue.
Und jedes verdammte einzelne Mal dieser elendige siebzehn war das einfach nicht der Fall.

Während dieser siebzehn Tage ist mein Briefkasten fast geplatzt, lediglich einen Brief habe ich geöffnet: von der Polizei. Ich bin zu schnell gefahren, mal wieder. Ich verfolge das Datum, die Uhrzeit und den Ort zurück und stelle fest, dass es auf meiner ersten Fahrt ins Krankenhaus war. Eigentlich hatte ich vor, nicht mehr so viel geblitzt zu werden, bevor ich meinen Führerschein wieder abgeben muss. Aber in diesem Moment hab ich den echt nicht gesehen. Und an den Blitz erinnere ich mich auch nicht. Naja, das Geld überweise ich. Irgendwann. Und die Punkte schreiben sich ja von alleine.
 
Ich stehe wieder auf dem Parkplatz, habe wie jeden einzelnen Tag die gleiche Ansicht. Ich esse jeden Tag das gleiche, wenn überhaupt. Ich fühle mich wie in einem Hamsterrad gefangen. Ein Horror-Hamsterrad, aus dem mir einfach keiner heraushelfen kann. Wie in Trance bringen mich meine Beine über den großen Parkplatz durch den großen Haupteingang vorbei an der Rezeption zu den großen Fahrstühlen. Ebene zwei, linke Tür, rechts herum, am Ende des langen Gangs die zwei großen Türen mit dem Taster, wo diese drei Buchstaben draufstehen, deren Bedeutung ich mir einfach nicht merken kann. Oder will. Ich glaube, meine Mama lag da auch.

Leise seufzend betrete ich die Station, desinfiziere mir die Hände, lächle, nicke den mir entgegenkommenden Pflegekräften zu und steuere geradewegs auf sein, vielleicht sogar mittlerweile unser Zimmer zu.
Als ich ihn sehe, wird mein Kopf wieder heiß und ein Schwall Tränen arbeitet sich von den Wangen nach oben in meine Augen und bleibt da stehen. Eigentlich wollte ich nicht mehr so oft weinen. Aber irgendwie geht es nicht anders. Er hat abgenommen, sieht viel dünner aus, hat total an Muskeln abgebaut. Und er liegt immer wieder gleich da, wenn ich zu ihm komme.
Ich frage mich, ob intubierte Leute Emotionen und Gesichtsausdruck haben. Und ob er Schmerzen hat. Stundenlang saß ich an seinem Bett und konnte mir diese Fragen einfach nicht beantworten.
Ich setze mich jetzt auf meinen Stuhl neben seinem Bett und nehme seine linke Hand.
"Hallo, mein Schatz." flüstere ich und frage mich erneut, ob es besser ist, wenn ich leise spreche  oder eher so laut wie möglich. Keine Ahnung. Ich weiß gerade gar nichts. So genau habe ich mich damit auch noch nicht auseinandergesetzt. Wahrscheinlich kriegt er sowieso einfach absolut gar nichts mit.

Nach ungefähr zehn Minuten klopft es an der Tür und eine Schwester kommt rein.
"Hallo, Herr Lobrecht." sagt sie freundlich und lächelt. Ich drehe mich zu ihr um und schaue sie an.
"Wir haben eine gute Nachricht: Wir beginnen ab sofort mit dem sogenannten Weaning. Alle beiligten Behandler befürworten diese Entscheidung. Das bedeutet, dass wir Schritt für Schritt versuchen, ihn zu extubieren und machen ihn wieder wach."
Ich muss schlucken. Mein Herz überschlägt sich und ich weiß überhaupt nicht, was ich gerade sagen soll.
Vielleicht liegt das auch daran, dass eines der unzähligen Geräte in diesem Raum anfängt, penetrant zu piepsen.
Total entspannt wirft die Schwester erst einen Blick auf das rot blinkende Feld, dann auf Tommi, wieder auf das Gerät und drückt dann an einem anderen Gerät einige Tasten. Dann ist es ruhig.

"Wann wäre denn die Hochzeit geplant gewesen?" fragt sie und ich stutze. Jetzt fällt mir wieder ein, dass ich mich ja am Telefon als sein Verlobter ausgegeben hatte.
"Äh, also wir hatten noch kein Datum so richtig." antworte ich traurig.
Traurig, weil ich gelogen habe und mir das jetzt hinterherhängt.
Traurig, weil ich Tommi wirklich schon sehr gerne heiraten würde.
Traurig, weil das wahrscheinlich nie Realtität werden wird.

"Das klingt super." antworte ich lächelnd.
"Können Sie mich anrufen wenn er wieder wach ist oder soll ich mich überraschen lassen, wenn ich nachmittags zum Besuch komme?"
"Wir können Sie gerne anrufen, aber trotzdem gilt die normale Besuchszeit. Gerade die erste Phase ist relativ kritisch, wir wissen nicht, ob er so stabil bleibt. Therapien müssen umgestellt werden und so. Ich bin mir sicher, er würde sich freuen, Sie zu sehen. Aber er wird sowieso total überfordert sein, wenn er aufwacht. Er wird sich wahrscheinlich an nichts erinnern. Da ist es besser, wir bereiten ihn in Ruhe vor und Sie können dann nachmittags zu ihm." antwortet sie in einem sehr netten Ton. Ich nicke. Na gut.

"Es kann sein, dass einer unserer Oberärzte gleich nochmal mit Ihnen sprechen will, der ist gerade noch bei einem anderen Patienten."
Ich nicke und bedanke mich. Bei einem Oberarzt habe ich sofort einen alten, großgewachsenen Mann mit weißen Haaren und langem Kittel im Kopf. Und die Haare sind so ein bisschen zu lang, weil Ärzte nie Zeit haben, um zum Frisör zu gehen. Alte Männer fusseln. Und weil sie alle so schlau wie verrückte Professoren sind. Die Augenringe, die sie haben, fallen nicht einmal mehr auf, weil sie sich seit dem Studium ihrem Gesicht angepasst haben. Und alle sehen immer so verbraucht aus, als wären sie am besten vor drei Jahren in Rente gegangen.
Ob das heute wirklich noch so ist? Oder können Leute in meinem Alter auch schon Oberärzte sein?

Wenige Minuten klopft es.
Ich entgegne ein leises "Ja.", zur gleichen Zeit öffnet sich die Tür. Ein hochgewachsener Mann in meinem Alter kommt rein.
"Guten Tag, Stinkitz mein Name, ich bin Oberarzt hier. Sie sind Herr Lobrecht, der Verlobte von Herrn Schmitt, richtig?"
Ich nicke, stehe auf und gebe dem Mann die Hand.
"Erstmal mein Beileid. Was Ihrem Verlobten passiert ist und die Umstände die Ihnen und Ihrer Beziehung dadurch entstanden sind, tun mir leid. Ich wünsche Ihnen schonmal viel Kraft für die kommende Zeit. Haben Sie erst einmal irgendwelche Fragen?"

"Hat er Schmerzen?"

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⏰ Huling update: Dec 23, 2023 ⏰

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