Kapitel 54

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"David..." murmelte ich unter dem Kuss. Ich legte meine Hände an seine Brust und schob ihn von mir weg. Zwar nur zögerlich, aber ich hatte es immerhin geschafft den wohl besten Kuss meines bisherigen Lebens zu unterbrechen!

David drückte seine Lippen nochmal auf meine, ließ dann aber tatsächlich von mir ab und setzte sie neben mich. Auch wenn es etwas widerwillig wirkte.

"Ich versteh dich nicht." sagte er eher leise und sah mich mit gerunzelter Stirn an.

"Das... das geht einfach nicht!" versuchte ich ihm zu erklären.

"Warum nicht?" fragte er erneut nach einer Sache, die ich selbst nicht genau wusste.

Und das war das Problem. Ich musste mir erstmal selbst darüber klar werden wie ich dazu stand. Dann musste ich wissen, was David jetzt eigentlich dachte und erst nach all dem konnte ich ihm diese Dinge erklären. Wenn wir uns beide lieben würden, könnten wir das vielleicht öfter machen, aber ich bezweifelte das. Außerdem fand ich, dass sich ein Mädchen und der Bruder deren besten Freundin nicht küssen sollten. Und gar nicht erst mehrfach küssen. Falls das nicht schon mehr gewesen war gerade eben.

Aber obwohl... Jake und May hatten ja scheinbar auch eine Schwäche für einander und da war die Situation fast genauso. Nur, dass David und ich keine Schwäche für einander hatten.

Zumindest wusste ich nichts davon. Einerseits mochte ich David nicht, andererseits... ich konnte mich in seiner Nähe entspannen (wenn ich mich mal nicht schämte und rot wurde) und einfach loslassen, ich selbst sein. Das gefiel mir. Wenn ich mit ihm stritt, konnte ich Dampf ablassen und mich wieder beruhigen. In seinen Armen fühlte ich mich sicher und mein Herz begann schneller zu schlagen. Und dann war da noch dieses Kribbeln. Shit, das waren viel zu viele positive Dinge, als dass ich ihn hassen könnte! Aber Freunde waren wir sicherlich nicht, wir waren irgendwie mehr und weniger...

"Hallo?!" fragte David mich und wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. Ich war wohl zu sehr in den Gedanken über ihn versunken gewesen.

"Hmm. Du solltest nicht so viel fragen. Könntest du bitte einfach gehen? Ich will dich nicht unbedingt loswerden, aber ich brauche Zeit zum Nachdenken." Ich war selbst erstaunt darüber, wie offen und selbstverständlich das alles über meine Lippen kam.

"Ist okay. Wir sehen uns dann eh in der Schule. Ach ja, was ich fragen wollte - Hast du Lust mit meiner Schwester, Jake, Claire und ihrem neuen Lover nächsten Samstag auf das Oktoberfest* zu gehen?"

"Ja klar, gerne." antwortete ich ihm.

Nur fünf Minuten später standen wir beide im Eingang und verabschiedeten uns von einander.

Ich konnte nicht anders, sondern stellte mich auf Zehenspitzen und drückte David einen schnellen Kuss auf die Wange.

"Tschüss." hauchte ich noch, er erwiderte es mit einem Lächeln und verschwand dann.

Er verschwand praktisch schon fast für das restliche Wochenende und die ganze nächste Schulwoche.

Der Samstagabend, Sonntag und die Schulwoche von Montagmorgen bis Freitagmittag bestand größtenteils daraus, dass ich mir Gedanken über das Gefühlschaos in mir machte. David ging ich nicht direkt aus dem Weg, aber wir führten keine erwähnenswerten Konversationen und wir hatten auch nichts mehr unternommen seit Samstag.

Gerade lag ich geschafft von dem letzten Schultag dieser Woche in meinem Bett. Ich hörte im Hintergrund leise Musik, während ich nochmal alles rund um David zusammenfasste.

Ich mochte seine Nähe und hatte diese auch in den letzten Tagen vermisst. Wenn er dann mal in meiner Nähe war, konnte ich mich entweder so richtig aufregen und alles auslassen, wenn ich mit ihm stritt. Und wenn ich nicht mit ihm stritt, verspürte ich ein merkwürdiges Kribbeln und konnte nicht aufhören die Ganze Zeit leicht zu lächeln.

War ich verliebt?

Das würde ich nicht sagen, da ich fand man konnte sich nicht einfach so schnell verlieben. Die Begründung, dass ich David kaum kannte, stimmte wohl nicht. Aber eigentlich kannte ich zwar sein Verhalten und seine Art zu mir, aber von seinen Hobbys, Freunden und all das wusste ich tatsächlich erstaunlich wenig. Außerdem wusste ich sehr genau, dass er zu anderen lang nicht so streitsüchtig, kindisch, pervers und vorlaut war.

Aber ich war mir nun sehr sicher - auch, wenn ich es mir immer noch nicht so richtig eingestehen wollte -, dass ich ihn wirklich mochte. Sehr mochte. Man könnte sagen, ich wäre verknallt.

Ich unterschied nämlich sehr wohl zwischen veknallt und verliebt. Zuerst war man verknallt, dass konnte schon auch nur eine Schwärmerei sein. Wenn man aber verliebt war, sollte es schon was ernsteres sein, oder zumindest länger anhalten.

Aber vielleicht irrte ich mich ja auch. In Zukunft musste ich einfach David mal zufällig berühren und darauf achten, wie David und ich reagierten.

Ich hoffte, dass das nichts Ernstes werden würde. Vielleicht fehlte mir ja auch einfach nur die Zuneigung des anderen Geschlechts.

Denn das letzte was ich jetzt wollte war, mich in den Bruder meiner besten Freundin zu verlieben.

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*Das Oktoberfest, oder auch die Wiesn, findet einmal jährlich im Herbst in München (Bayern) für zwei Wochen statt. Es gibt viele Attraktionen, also Achterbahnen, Geisterbahnen, Riesenrad... Zum Essen gibt es viele Stände, wo vor allem gebrannte Mandeln oder Lebkuchenherzen verkauft werden und es gibt eine Menge von überfüllten Bierzelten, wo man jede Menge Bier trinken kann und dazu unteranderem Hendl (Brathähnchen) essen kann. Nach Tradition trägen die Männer Lederhosn und die Frauen Dirndl.

My Best Friends BrotherWhere stories live. Discover now