Kapitel 74

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Als David gut gelaunt und frisch geduscht aus dem Bad kam, saß ich leise schluchzend und zusammengekauert auf dem Bett, das Telefon lag noch immer neben mir.

"Was machen wir heu-" David brach abrupt ab und schien erst jetzt zu merken, dass ich weinte. Sofort kam er auf mich zu, setzte sich zu mir und legte die Arme um mich. "Jetzt weinst du aber nicht wegen einem Buch, oder?" fragte er mich zaghaft.

Ich schüttelte den Kopf und vergrub ihn dann an Davids warmer Brust, die noch nach Shampoo roch.

"Warum dann?" Er sprach es so vorsichtig aus, als hätte er Angst alles noch schlimmer zu machen.

"Unfall." brachte ich mühsam hervor und presste mich noch mehr an David.

"Hey, shh, alles wird gut." David strich mir über die Haare. Ich wusste genau, wie sehr er wissen wollte, was passiert war, aber er schien zu merken, dass er besser später nochmal fragen sollte.

Ich legte mich wieder richtig ins Bett und zog David mit, sodass ich immer noch an ihn gedrückt war. Wahrscheinlich tat es ihm schon weh, aber es gab mir wenigstens etwas Halt.

"Hör auf zu weinen, bitte..." flüsterte er beruhigend und strich wieder über meine Haare. "Kann ich irgendwas machen?"

"Bei mir bleiben." gab ich leise zurück.

Daraufhin legte er die Decke über uns und legte seine Arme erneut um mich.

"He, weinen hilft doch nichts..." Es musste wirklich schwer für ihn sein, er wusste ja nicht mal, was passiert war. Trotzdem war ich ihm unendlich dankbar, dass er für mich da war, auch wenn man das gerade vielleicht nicht wirklich merkte.

David murmelte immer mal wieder beruhigende Sachen und streichelte sanft über meinen Rücken.

"Wer hatte einen Unfall?" Er räusperte sich. Ich wollte zwar nicht darüber reden, aber ich selbst hätte es wahrscheinlich nicht mal solange mit dieser Ungewissheit ausgehalten.

"Mason und ... Claire." Ich schluchzte wieder leise. Indem ich Davids Geruch tief einatmete und seinem Herzschlag lauschte, beruhigte ich mich etwas, aber nicht ganz.

"Wie ist das passiert?" fragte David ruhig weiter. Dabei musste ihn das fast genauso schocken wie mich, immerhin kannte er Claire auch schon ziemlich lange.

"Es war ein ... Motorradunfall." Ich biss mir feste auf die Lippen, um ein aufschluchzen zu unterdrücken, trotzdem versammelten sich Tränen in meinen Augen und quollen hervor.

"Es ist aber nichts schlimmes, oder?" hakte er nach und klang schon nicht mehr so ruhig, dennoch versuchte er eindeutig gelassen zu klingen, ansonsten würde ich nur noch mehr weinen.

"Ich ... keine Ahnung. Sie sind außer Lebensgefahr und tragen höchstwahrscheinlich keine bleibenden Schäden, aber genaueres wissen die Ärzte noch nicht." Ich sprach so schnell wie möglich, damit mich kein Schluchzer unterbrach. Dadurch wurde es etwas undeutlich, David verstand mich trotzdem.

"Versprichst du mir was, David?" Ich löste mich etwas von ihm, sodass ich ihn ansehen konnte.

"Was denn?" Er lächelte mich aufmunternd an. Ich verstand nicht, wieso er das so gelassen nahm. Also klar, keine Lebensgefahr und ziemlich sicher keine bleibenden Schäden. Aber was, wenn es doch welche gab? Und selbst wenn nicht, war es schlimm. May hatte mich angerufen und die hatte auch nicht viel gewusst, außerdem hatte ich sie kaum verstanden, weil auch sie hin und wieder geschluchzt hatte. Jedenfalls waren Claire und Mason im Krankenhaus, für wie lange war noch unklar. Ich wusste auch nicht, ob sie bei Bewusstsein waren oder nicht. Allgemein wusste ich nicht, ob sie irgendwelche schlimmen Verletzungen hatten. Diese Ungewissheit war nicht gerade ein angenehmes Gefühl und machte die Angelegenheit irgendwie noch schlimmer.

"Dass du nie wieder mit deinem Motorrad fährst." sorach ich meinen Wunsch aus und sah ihn durch den Tränenschleier meiner Augen an.

"Das kann ich dir nicht versprechen." sagte er nach einer Weile mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck.

"Nein, du musst mir das versprechen. Wenn du auch einen Unfall hast und dir was passiert ... nein, es reicht, dass einmal in meinem Leben jemand einen Motorradunfall hat, der mir viel bedeutet." Ich klang schon ruhiger, aber innerlich hatte ich immer noch ein Gefühlschaos und das waren keine positiven Gefühle.

"Rose, Claire wird wieder gesund werden und Mason auch. Wenn sie nach unserer Klassenfahrt immer noch im Krankenhaus sind, gehen wir sie besuchen." sagte er zuversichtlich und wich meiner Frage dabei geschickt aus. Ich verstand ihn ja auch, aber ich wollte sowas nicht noch einmal erleben. Außerdem konnte sowas ja noch schlimmer enden, das würde ich bei niemandem verkraften, der mir nahe stand.

"Dann versprich mir wenigstens immer vorsichtig und mit Helm zu fahren!" versuchte ich es ein weiteres mal.

"Gut, das kann ich dir versprechen. Wenn es geht, werde ich das Motorrad fahren auch vermeiden, aber nicht ganz. Zufrieden?" gab er leicht lächelnd nach.

Ich zuckte mit den Schultern, nickte aber dann. Ich könnte es ihm eh nie verbieten Motorrad zu fahren, also musste ich mich damit zufrieden geben.

"So und jetzt sei nicht traurig, du bekommst auch die Mitte von meinem Donut!" munterte er mich auf.

"Du hast keinen Donut." stellte ich ein letztes Mal schniefend fest.

"Das war auch ein Witz. Die Mitte von einem Donut ist ein Loch, Luft." stellte er klar und schüttelte den Kopf über meinen kaum vorhandenen Humor. Dabei war ich nicht mal so humorlos.

"Wir bleiben jetzt noch ein bisschen liegen und dann machen wir uns zu zweit einen kuschligen Tag, okay?"

Ich stimmte zu und wischte mir über die Wangen, auch wenn meine Tränen schon getrocknet waren. Bestimmt hatte ich rote Augen und kleine rote Flecken im Gesicht, doch in diesem Moment war es mir egal.

Genauso wie David es gesagt hatte, kuschelten wir noch im Bett, was meine Laune wieder etwas hob. Oder zumindest geriet der Gedanke an den Unfall etwas in den hinteren Bereich meines Gehirns und war jetzt erträglich. Trotzdem musste ich mich manchmal echt zusammenreißen, um nicht wieder Tränen fließen zu lassen.

My Best Friends BrotherWhere stories live. Discover now