55 - Schläge

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Cress zog die Baumwollbandagen um ihre Knöchel fest und sprang in den Ring. Die Menge brüllte, als die kleine schlanke Frau mit der Maske sich ihrer größeren Gegnerin stellte. Scheinbar furchtlos, obwohl die rohe Gewalt der illegalen Ringe, die rund um das Flüchtlingscamp aus dem Boden geschossen waren, augenscheinlich nicht zu ihren Spezialitäten zählte.

Cress hatte als Schatten für den Kreuzbuben gearbeitet, nicht als Soldat. Doch das reichte ihr nicht mehr. In einer Welt, in der der Boden unter ihren Füßen sich jeden Moment zu ändern schien, reichte es jedoch nicht mehr, ein Schatten zu sein. Deswegen stieg sie nun beinahe jede Nacht in den Ring, ignorierte ihre schmerzenden Muskeln und die blauen Flecken.
Der Schmerz betäubte sie. Er reduzierte ihre Existenz auf das bloße physische Minimum und erleichterte ihren Kopf für ein paar Momente von der Last ihrer Gedanken.

Cress hob den Blick und erkannte im schummrigen Licht der Fackeln die Frau, die ihr gegenüber stand.
Ein Schauder jagte ihre Wirbelsäule hinunter, als sie die Tattoos erkannte, die sich über die nackten Oberarme und bis hinauf zur linken Wange ihres Gegenübers zogen. Belles Muskeln spielten im dämmrigen Licht. Ihre Augen waren nicht dick schwarz geschminkt, wie sie es im RedLipRoulette immer getragen hatte, doch die Soldatin des Kreuzbuben sah immer noch furchteinflössend aus.

Cress war erstarrt bei ihrem Anblick. Ihr Blick tanzte über die Menge, suchte nach anderen Clubs.
Sie hatte sich mächtige Feinde gemacht im farblosen Bezirk, das wusste sie.
Alle vier Verbrechergilden suchten nach ihr, ob sie nun ihren Namen kannten oder nicht. Der Tod des Karobuben und der Fakt, dass Dice oder Orpheus, wie er sich nun nannte, die Diamonds führte, war höchstens ein kleiner Trost. Hades Sohn würde sie nicht selbst umbringen, doch er könnte ohne Weiteres in die andere Richtung sehen, während ihre ehemalige Familie sie verschwinden ließ. Eine ihrer ehemaligen Familien. Sie alle mussten Männer und Frauen in der Menge haben.

Helena von Avescus wollte in ihrem Amphitheater Spiele veranstalten, um die Stadt durch Blut und Brot auf andere Gedanken zu bringen.
Die Farblosen waren weder für Gedanken, noch für Brot gekommen. Clubs, Hearts, Diamonds und Spades, alle vereint durch das Bedürfnis ihr Elend für ein paar Minuten zu vergessen und sich bei einem illegalen Ringkampf die Lunge wund zu schreien. Sie sollten nicht enttäuscht werden, denn in Belles Augen stand blanke Mordlust. Sie wusste genau, wer ihr gegenüber stand und auch, dass Cress nur ein kleiner Schatten gewesen war.
Ein kleiner Schatten, mit dem man sich nicht anlegte, aber keine Soldatin.

Belle stürzte sich auf Cress, wollte sie am Kragen packen und ihr die Beine unter dem Körper wegziehen. Cress wich aus, stand plötzlich hinter der Söldnerin und schlang ihr die Arme um den dicken Hals. Belles Wutschrei brachte die Ohren der Diebin zum Klingen, als sie die Fingernägel in Cress Arm grub und sie durch reine Kraft vorne über warf.

Die Vogelfreie knallte auf den Boden der Höhle. Ihr Kopf begann zu klingeln. Nur knapp rollte sie sich unter dem Schlag weg, der ihr das Gesicht zertrümmert hätte.
Belle packte Cress Wade mit eisernem Griff. Hiflos versuchte die inzwischen keuchende Diebin, sie abzuschütteln. Das Lächeln der Clubs Söldnerin war wölfisch, als sie unter den Schreien der Menge noch fester zupackte.

Der Schmerz war wie kaltes Wasser. Einen Moment betäubend und dann war man wacher, als je zuvor.
Cress biss die Zähne zusammen, schlug nach Belle, trat nach ihr, doch die Frau mit den dunklen Tattoos ließ sich Zeit.
Ihr kahl geschorener Kopf knallte in Cress Magengrube. Sie landete erneut auf dem Boden, nur knapp vor der eilig gezogenen Kreidelinie auf dem Fels, während Belle vor ihr in die Höhe ragte und mit unglaublicher Selbstgefälligkeit auf den ehemaligen Liebling des Kreuzbuben hinuntersah.
Die Maske war verrutscht und gab den Blick auf einen schmalen Streifen des Gesichts darunter frei.

„Brich ihr alle Knochen!", brüllte jemand.
„Bring die Schlampe um!" - „Gib's ihr!" - „Sie hat es nicht anders verdient!" - „Reiß sie in Fetzen!"

Es musste erbärmlich aussehen, wie Cress sich aufrappelte. Wie Belle sie kommen ließ, weil sie beschlossen hatte, dass dieser Kampf schon lange zu ihren Gunsten entschieden war. Der Kopf der Diebin knallte vor den Stiefeln der Menge auf den Boden. Ihre Rippen bogen sich unter dem Gewicht der Clubsöldnerin.
Es knackte beunruhigend in ihrem Brustkorb und Schmerz flammte entlang ihrer Seite auf, als Belle sich auf sie herab stürzte.

„Schattenvogel", Belles Stimme war rauchig und tief. Sie atmete ihren modrigen Atem direkt in Cress Gesicht, während sie ihren Körper mühelos festhielt.
„Wieso wehrst du dich? Du weißt doch, was wir mit Verrätern machen. Du weißt genau, wie lange es dauert und wie sehr sie alle schreien."
Sie packte die zappelnde Cress an den Handgelenken und ließ ihre schwarzen Nägel über die schlanken Finger der Diebin tanzen, als würde sie darüber nachdenken, jeden einzelnen davon zu brechen.

„Die eigentliche Frage ist, wieso du so dumm warst, hierher zu kommen."
Cress lachte, was Blut über ihre aufgesprungenen Lippen sickern ließ. Belle nahm selbstgefällig davon Notiz.
Erst, als Cress scheinbar ihre Hand aus dem eisernen Griff der Söldnerin reißen wollte, fiel deren Blick auf den Ring, der am Finger der Diebin thronte.
Belle machte große Augen.

„Wenn du mich umbringen willst", knurrte Cress, „musst du dich hinten anstellen."

Sie rammte Belle den Kopf ins Gesicht, was diese aufjaulen ließ und Cress genug Zeit gab, sich unter ihr hervor zu winden.
Erneut wollte die vor Wut rasende Club Soldatin nach Cress Fuß greifen, doch die Diebin tänzelte zurück und zog ihre Maske wieder fest.
Die Menge tobte, als Cress ihre Gegnerin mit einer Reihe hässlicher Tritte über die Kreidelinie beförderte.

Cress ächzte, als sie mit ihren angeknacksten Rippen neben Belle in die Knie ging, die nicht fassen konnte, dass sie gerade verloren hatte.
Sie wusste nicht, dass der Schatten den letzten Monat damit verbracht hatte, sich mit jedem zu prügeln, der ihr über den Weg lief. Sie wusste nicht, dass Cress genau gewusst hatte, wer heute auf der geheimen Liste des Ringbetreibers stand. Dass sie Ort und Waffen gewählt hatte.

„Triff mich bei den Felsen, Belle", Cress Miene war unbewegt, als sie die Hand beinahe mütterlich an die Wange ihrer Gegnerin legte, sodass sich der Ring des Schatzmeisters kalt in ihr Fleisch drückte,
„Ich habe ein Angebot für dich."

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now