50 - Hochverrat

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„Was hast du nur getan?", fragte der Herr der Unterwelt tonlos.
Er stand mit dem Rücken zu seiner Stadt, die zwischen uralten Landkarten und den deckenhohen Bücherregalen der Bibliothek hervorblitzte, wie ein lange verborgener Schatz.

Schatten hatten sich in das Gesicht des mächtigen Mannes eingegraben, während er seinen Sohn über den langen Tisch zwischen ihnen hinweg anfunkelte. Seine Wut, seine Enttäuschung brannten nun kalt und hell, nachdem er Achill angeschrien hatte.
Vor seinem Sohn musste er die Fassade nicht aufrechterhalten, die er seiner Stadt gegenüber zur Schau stellte. Doch auch in seiner größten Wut war Hades nicht handgreiflich geworden. Er fügte Menschen lieber zusammen, als er sie auseinanderriss. Dies wurde dem Familienoberhaupt der Valeria jedoch ab und zu zum Verhängnis, wenn er zu besonnen vorging, wo schnelles Handeln erforderlich wäre.

Achill hatte den Kopf gesenkt, die Arme vor der Brust verschränkt und sich auf der Tischkante niedergelassen.
Er blieb stumm wie Gabriel Walsh, der irgendwo hinter ihm im Schatten zwischen den Regalen wartete und jedes Wort hörte.
Achill fragte sich, wem die Loyalität des Spions gelten würde, falls sein Vater ihn wirklich attackieren sollte.

„Du hast uns den einzigen Trumpf aus der Hand gerissen, den wir hatten", stellte Hades in einem Ton fest, der die meisten seiner politischen Gegner ohne weiteres in die Flucht geschlagen hätte.
Achill blinzelte nur.

„Wieso legst du nicht gleich eigenhändig Feuer und siehst zu, wie dein Zuhause niederbrennt? Wie diese ganze gottverdammte Welt in Flammen aufgeht, weil du sie dem Alessandrini Erben zu Füßen legst!"

Der mächtigste Mann dieser Stadt lehnte immer noch unbewegt am Fenster, während seine Worte sich in Achill bohrten wie Glasscherben.

„Sie mich an, wenn ich mit dir rede!"

Achill hob den Blick.
Seine Augen hatten eine dunkle Melancholie angenommen, als hätte er dieses Gespräch bereits erlebt und würde dessen Ausgang bereits kennen.
Der blonde Valeria gab einem immer das Gefühl, mehr zu wissen, als man selbst. Sein Vater kannte diesen Effekt nur zu gut und war nicht amüsiert darüber. Hades und die meisten Menschen hielten es für junge Arroganz. Nichts hätte weiter von der Wahrheit entfernt liegen können.

„Du hast deine Familie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen", sagte der Herr der Unterwelt, „Du hast mich in ein Dilemma gebracht, aus dem ich nicht als Gewinner hervorgehen kann. Und das in einer Zeit, in der meine Stadt kurz davor steht, sich selbst zu zerfleischen."

Die Aufstände der Teufelsnacht waren zwar niedergeschlagen worden und mehrere Mitglieder konkurrierender Familien würden in nächster Zeit vor Persephones Gericht erscheinen müssen, doch all das änderte nichts an der Stimmung der Bevölkerung. Der Ausbruch des Alessandrini Erben hatte das Gefühl der Sicherheit, in dem sich die Bewohner hier unten so lange gewiegt hatten, in Rauch aufgehen lassen. Angst hatte sich durch die Stadt gefressen, wie ein Virus, der sich in die Herzen und Münder der Menschen schlich.
Nichts kippte politische Systeme schneller, als von Furcht zerfressene Menschenmassen.
Doch das war nicht ihr einziges Problem.

In den Flüchtlingscamps, die sie für die Farblosen von der Oberfläche eingerichtet hatten, rumorte es.
Es gab nicht genug Lebensmittel, Decken oder Zelte für alle. Die Umstände waren schrecklich, wie Gabriel ihm nach einem Streifzug in seinem Auftrag mitgeteilt hatte. Menschen waren gestorben und niemand wusste genau, ob die versuchte Säuberung der Prinzessin oder die Lebensbedingungen hier unten dafür verantwortlich waren. Hinzu kam, dass eben jene Prinzessin auf der Suche nach ihrem vermeintlich toten Bruder den farblosen Bezirk durchkämmen ließ. Es war unmöglich, dass einer ihrer grünen Soldaten durch Zufall auf eines der Tore zur unteren Stadt stieß, und doch hatte sich der Druck auf sie alle deutlich erhöht.
Diese Frau war wahnsinnig.
Niemand wusste, wozu sie fähig war. Achill bezweifelte, dass es ihr Bruder tat.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now