42 - Krallen

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{Abi bestanden und wieder voll für euch da :) Viel Spaß beim Lesen und Glückwunsch an alle class of 2020 Absolventen! Danke für eure Geduld <3 }

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Obwohl die Klinke ganz leise heruntergedrückt wurde, schreckten sie auseinander. Schreckten auf aus der Geborgenheit, die sie sich inmitten dieses Chaos erschlichen hatten.
„Cress", verlangte der Tänzer, „hier will dich jemand sprechen."
Sie stand auf, fuhr sich durch die Haare. Als Julian sich ebenfalls erhob, schüttelte Walsh den Kopf.
„Alleine."

Sie tauschten einen Blick und sie nickte bestätigend. Er ermahnte sich, ihren Instinkten und Fähigkeiten zu vertrauen und setzte sich wieder an die Tasten, während Cress dem Tänzer nach draußen folgte.
Er begann wieder zu spielen, während er darauf wartete, dass sie zurückkamen. Chopin, sanft und wogend wie klares blaues Wasser.
Er träumte sich in seine Simulationen, träumte sich in eine lange tote Welt, in der die Menschen noch nicht ganz so hart und kalt geworden waren.

Als sich energische Schritte näherten, ließ er die Subdominante in der Luft schweben und nahm die Finger von den Tasten, ohne die Tonika hinterher zu schicken. Denn weder Cress, noch der Tänzer waren jemals so laut.
Die Klinke wurde heruntergedrückt, die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Der Frieden war zersprungen, wie ein Marmorgefäß.

Als Julian den Kopf wandte, erblickte er eine Frau.
Im ersten Moment hielt er sie für die blonde Richterin, die ihn zum Tode verurteilt hatte, sodass die Spannung, die die Musik und Cress Nähe ihm für ein paar Momente genommen hatten, in all ihrer Wucht zurückkehrte.
Er ballte die Klavierfinger zu Fäusten und erhob sich, bereit zu fliehen oder zu kämpfen. Doch diese Dame, wer auch immer sie war, war nicht Persephone.
Ihr Haar fiel in goldenen und silbernen Wellen bis zu ihrer schmalen Taille. Süß geschwungene Lippen, dunkle Augen und ein schiefes Lächeln grüßten von oben herab. Er schätzte sie auf etwa vierzig, auch wenn ihre Schönheit seltsam zeitlos wirkte.
Dieses Haar, dieses Gesicht, diese Haut wären im Kernbezirk eine scharfe Waffe gewesen. Etwas daran, wie sie ging, wie sie die Arme mitschwingen ließ und den Kopf erhoben hielt, ließ ihn vermuten, dass sie genau wusste, was sie wollte. Und auch, dass sie es über kurz oder lang bekommen würde.

Die Farblose wirkte wie aus einer griechischen Sage gegriffen und in diese Welt gesetzt. Die Aura der Erhabenheit, die sie umgab, hing der Ausstrahlung der Hohen in nichts nach. Und sie war hier, um mit dem Kronprinzen einer verfeindeten Nation zu sprechen. Nicht, um einem schwer Verwundeten und fälschlich Verurteilten ihr Mitgefühl auszusprechen.
Ein unwahrscheinlich übel dreinschauender Walsh trat hinter der Fremden in den Türrahmen.

Die Farblose war so groß wie Julian, als sie ihn von der Schuhspitze bis zur Stirn musterte. Das blonde Haar, die markanten Gesichtszüge, die Größe und die Haltung kamen ihm ungewohnt vertraut vor, obwohl er sie noch nie gesehen hatte.

„Danke, Gabriel, das wäre alles", ließ sie den vor Wut schäumenden Tänzer wissen. Dieser wandte sich ab und verließ den Raum.
Julian verspannte sich noch mehr, sodass die Knöchel seiner Hände perlweiß hervortraten, weil er so fest die Fäuste ballte. Wenn sie ihm Leid zufügen wollte, würde er sich nicht wehren können. Doch das schien ganz und gar nicht ihre Absicht zu sein. Sie ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, während sie das Klavier umrundete und sich vergewisserte, dass sich außer ihnen beiden niemand im Raum befand.

„Wir wurden uns noch nicht vorgestellt, fürchte ich?", fragte er vorsichtig.

Julian war kaum bemüht, sein Misstrauen zu verbergen.
Diese Dame wollte etwas von ihm.
Sie hatte Cress aus dem Raum gelockt und Gabriel Walsh dazu gebracht, sie mit ihm alleine zu lassen. Wer war sie? Und wieso hatte sie keine Angst vor ihm, in einem Raum voller Papier und Holz? Sie kam kurz vor ihm zum Stehen, zu nah, um angenehm zu sein.

Smokehands (Skythief pt. 2)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum