52 - Glanz und Stahl

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Dunkelheit schlug über der Bibliothek zusammen. Julians Herz pochte in seinen Ohren, während Hades und Achill sie in die Realität zurückbrachten.
Der Umriss des silbernen Wesens leuchtete immer noch auf seiner Netzhaut nach, als hätte es sich dort für immer eingebrannt.

Laureline sah nicht aus, wie die Caz Kristall Statue, die im Zentrum des Heiligtums über den Köpfen der Gläubigen aufragte und jeden Gottesdienst mit einem nachsichtigen Lächeln zu überwachen schien.
Sie war keine Schutzherrin, in deren Namen man Kinder Taufen und um deren Beistand man in dunklen Nächten flehen sollte.

An dem Wesen war nichts Mütterliches, nichts Warmes, nicht der Hauch eines Lächelns. Wahrscheinlich gab es nichts, das diesem Lichterwesen fremder war, als Güte oder gar menschliche Liebe. Kalt wie die Sterne selbst, gnadenlos, wie das erste Licht am Tag einer Hinrichtung und von Natur aus mächtiger, als alle Waffen, die die Menschheit in ihren über 300.000 Jahren geschaffen hatten.
Asphalt und Stahl, die sich aufbäumten wie Wassermassen und dann während weniger Sekunden durch dieses unfassbare Licht zu nichts als Staub zerfielen. Menschliche Körper, die vergingen, als hätten sie nie existiert.
Wie hilflos seine eigene Spezies im Angesicht dieses Wesens war, war nicht nur erschreckend.
Es war Panik entfachend, Atem erstickend, Ohnmacht hervorrufend.

Menschen waren beim Anblick seines Vaters auf die Knie gesunken, hatten die Stirn auf den Boden gepresst, wenn die Hohe vorbeiging, waren in Ohnmacht gefallen, wenn der König seinen eisblauen Blick auf sie niedersausen ließ, als wäre dieser die schärfste all seiner Waffen.
All diese Waffen, alle Armeen, Orden, Throne und Kronen verblassten zu nichts beim Anblick des Sterns.

Julian hatte seinen Vater, den König der letzten Stadt der Erde, für unsagbar mächtig gehalten.
Er hatte die Hohe wegen ihrer Gabe für schier übermenschlich mächtig gehalten. In seiner eigenen Macht hatte er gebadet, hatte sie genossen, wie ein warmes Bad, dass Zeit seines Lebens die Kälte fernhalten würde. Sein Erbe war seine Versicherung, seine Überlebensgarantie, sein Schatten. Es war absolut, unumstößlich und gewaltiger, als es sich die meisten erträumen konnten. Doch was für eine Illusion von menschlicher Macht er auch gehabt hatte, sie war nichtig, sobald er den Stern auf den Platz vor der Auferstehungskirche niedersteigen sah.
Im Angesicht der Sterne und der Unendlichkeit, die sie mit sich brachten, war er nichts und weniger als nichts. Eine solche Macht machte alle herkömmlichen Maßstäbe unbedeutend.
Als hätte jemand die Karten neu gemischt und die Regeln des Spiels geändert, ohne sie Julian mitzuteilen.

Atemlos suchte er Cress Blick, fand ihn jedoch nicht.
Sie sah ihn nicht an, starrte immer noch an die holzvertäfelte Wand gegenüber, als könnte sie dort nach wie vor die zerberstende Kuppel des Doms sehen. Als würde das Musikstück immer noch in ihren Ohren nachhallen.
Oder, als könne sie nicht begreifen, dass in den Adern des Mannes zu ihrer rechten ebenfalls diese tödliche Macht floss, die die Violine zum Verstummen gebracht hatte.

„Wie viele waren es?", fragte Cress erstickt. Es war klar, dass sie sich auf die Esterel Frau bezog.

„Genaue Zahlen haben wir nicht", erwiderte Hades, „Entweder wurden sie nie erhoben oder sind im Laufe der Jahre verloren gegangen."

Er trat auf den hölzernen Globus zu, der die Mitte des langen Tischs markierte und drehte diesen sanft um die eigene Achse.

„Es begann damit, dass man gleichzeitig den Kontakt zu sämtlichen Forschungseinrichtungen und Missionen an den Polen verlor. Dann kamen sie über Alaska. Sibirien und Südafrika ungefähr zur gleichen Zeit. Zwei Fronten, die sich gnadenlos aufeinander zu bewegten und dabei die größten Metropolen der Geschichte dem Erdboden gleich machten", seine Finger wanderten über das dunkle Holz der Kontinente. Sie bewegten sich immer weiter aufeinander zu.

Smokehands (Skythief pt. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt