69 - Pflicht

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Nach der ermüdenden Krisensitzung, in der er mehr als einmal gerne einfach aus dem Raum gestürmt wäre, kam noch eine weitere unangenehme Pflicht auf Julian zu: er musste May erklären, was auf dem Platz geschehen war.

Sie war immer noch erschüttert und so wütend darüber, dass man sie hatte warten lassen, dass er einen Moment Angst hatte, sie würde sich den Caz Kristall aus der Brust reißen, ihn zu einer Kugel formen und diese Kugel mitten durch sein Herz jagen. May nahm die Erklärungen nicht gut auf, auch wenn sie ihn zum Glück nicht angriff. Sie warf Julian nach einiger Zeit einfach aus ihrem Zimmer, wobei er ihr beim besten Willen keinen Vorwurf machen konnte. Es war schlicht verrückt – er war hingerichtet worden, hatte durch eine uralte Gabe überlebt. Er war nicht einmal dazu gekommen, den Stern zu erwähnen, der unter der Stadt schlief.

Vielleicht war es besser so, dachte ein verräterischer Teil seines Bewusstseins, Hades würde mich umbringen, wenn ich ihr davon erzähle.

„Nicht gut gelaufen?"
Cress lehnte an der Wand gegenüber und steckte gerade einen ihrer omnipräsenten Dolche weg.

„Verständlicherweise ist sie extrem verstört", seufzte er, während sie zusammen den Gang der Villa hinunter gingen.

„Achill sagt nach wie vor, dass sie auf gar keinen Fall in die Mienen hinunterkann, um die Geisel zu sehen?"

„Die Valeria sind um einiges vorsichtiger mit den Informationen, die sie May geben."

„Oder sie haben einfach mehr Angst vor ihr, als vor uns."

Sie traten hinaus in den Garten der Villa. Wind ging durch die hohen Bäume, ließ Cress Haar um ihren Kopf tanzen und wehte den Duft von Gebäck und Erde aus der Stadt zu ihnen hinauf. Das Donnern der Wasserfälle war leiser hier oben.
Wie friedlich dieser Ort sein könnte, dachte er bei sich.

„Der Stern ist nicht hinter Glas eingeschlossen", sagte Julian dann scheinbar ohne Zusammenhang, während sie auf den Torbogen zugingen, der auf die schmale Straße hinausführte, „Deswegen haben die Valeria solche Angst vor May."

Cress blieb abrupt stehen.

„Caz Kristall? So weit unter der Stadt?"

Julian zuckte gequält die Schultern.

„Ein Relikt aus dem Krieg, denke ich. Das heißt wohl aber nicht, dass sie ihn nicht manipulieren kann."

Cress schüttelte ungläubig den Kopf, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte.

„Verständlich, dass Hades sie nicht frei herumlaufen lässt. Er hat seine Stadt über einem Gott erbaut, den May jederzeit befreien könnte."

„Ja ...", Julian kratzte sich am Kopf, „Das ist meine Theorie. Allerdings macht mir Hades momentan viel größere Sorgen als May. Er ist immer noch nicht vorsichtig genug. Dieses Fest, das er anlässlich der Wahlen unbedingt feiern will, ist ein immenses Sicherheitsrisiko. So kurz nachdem die Knochenschwestern eingedrungen sind weitere Menschenansammlungen zu befürworten ...", er massierte seine Schläfen.
Tief unter ihnen funkelte die Stadt wie die Schmuckschatulle einer Königin.

„Selbst wenn Dominique Spione in der Stadt hat, wird sie es nicht wagen anzugreifen, wenn du dort bist", warf Cress ein.

„Ich hoffe, du hast Recht."

Sie stiegen im Dämmerlicht bis zu dem Baum hinunter, an dem sie ihre Pferde angebunden hatten, bevor Cress sich ein Herz fasste.

„Ich muss dir etwas zeigen."

Julian runzelte die Stirn, nickte dann aber und schwang sich in den Sattel. Sie ritten weit aus der Stadt hinaus, vorbei an den Staftwachen und in die Höhlen hinein. Cress duckte sich in einen Tunnel, führte ihn durch enge Gänge im Fels. Er sah, wie sie sich darum bemühte, nicht vollkommen durchzudrehen in der Enge und griff nach ihrer Hand. Was auch immer sie ihm zeigen wollte, es war wichtig genug, dass sie ihrer Angst trotzte. Cress führte ihn an den Rand einer Klippe, die in eine größere Höhle hinaus deutete. Unter ihnen erstreckte sich Reihe um Reihe ein Zeltlager.

Smokehands (Skythief pt. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt