67 - Bürgschaft

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Hades und Helena wechselten nur wenige Worte. Sie spuckte ihm vor die Füße, doch das bewegte ihn überhaupt nicht. Dann kam der Herr der Unterwelt auf die Sonnenmenschen zu, düster wie der Tod selbst. Doch es war schwer vor einem Menschen Respekt zu haben, wenn man neben dem Alessandrini Prinz mit seinen gerade eben wieder blau gewordenen Augen und den Knochenschwestern zu seinen Füßen stand.

Der Valeria winkte sie zu einer Kutsche hinüber, die vor wenigen Minuten vorgefahren war. Man hatte die Knochenschwestern bereits hinein verfrachtet, wahrscheinlich in Ermangelung eines diskreteren Transportmittels. Cress und Julian führten eine lautlose Konversation, an deren Ende sie sich auf den Kutschbock schwang, wobei sie den Fahrer so sehr erschreckte, dass er beinahe herunterkippte. Alcha und Coria drückten sich an die Wände wie verängstigte Kinder, als Julian sich hinter May ins Innere der Kutsche zog.

„Ich stehe in Eurer Schuld."

Hades hatte dunkle Schatten unter den Augen. Er war mit schwer bewaffneten Männern gekommen, wohl in der Annahme einen Putsch niederschlagen zu müssen. Doch falls Helena Soldaten vor Ort gehabt hatte, dann waren sie geflohen. Wer konnte es ihnen verdenken?
Immer noch raste Mays Herz in ihrer Brust. Immer noch tanzten die unnatürlichen Flammen vor ihren Augen. Sie war vollkommen überfordert nach all den Wochen, die sie so gut wie alleine verbracht hatte. Doch auch wenn die Welt um sie her auseinanderfiel hielt die Disziplin, die Rya Hora ihr eingebrannt hatte, ihre Wirbelsäule aufrecht.

„Was macht ihr mit ihnen?", fragte May mit Blick auf die Ordensdamen. Man musste ihnen irgendetwas gespritzt haben, denn beide schienen mehr und mehr wegzudösen. Wahrscheinlich wäre Hades sonst nicht so dumm gewesen, sich mit ihnen auf so engen Raum zu begeben. May war sich überaus bewusst, wie sie aussehen musste, als Hades zu ihr hinübersah. Handabdruck auf der Wange, aufgesprungene Lippe, zerzaustes Haar und Blut an ihrem Kleid. Bei dem Blick, mit dem er sie bedachte, war ihr klar, dass er gerne wieder eine verschlossene Tür, seinen Sohn und einen Haufen Wachen zwischen sie und sich selbst setzen würde. Nicht so mit Julian. Sie müssen irgendeine Art Arrangement haben, dachte May düster.

„Wir werden Gericht halten."

Julian schnaubte halbamüsiert, was ihm aber nicht mehr als ein missbilligendes Stirnrunzeln seitens des Valeria einbrachte. May fand nichts davon witzig.

„Und ich? Wollt ihr mich auch wieder einsperren?"

Ihre Stimme war eiskalt.

„Niemand sperrt dich wieder ein", sagte Julian sehr langsam, als Hades nicht antwortete.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass Ihr in dieser Stadt willkommen seid oder, dass ich Euch vertraue. Ihr habt mir sehr viel Kopfzerbrechen bereitet."

„Ich bürge für sie", sagte Julian dann, „May wird niemandem weh tun."

Hades schwieg einen Moment, sodass man nur das Klappern der Pferdehufe und die Räder auf dem Asphalt hören konnte.

„Was mit der Ordensdame geschehen ist, tut mir leid", wandte er sich dann direkt an May. Diese richtete sich gerader auf unter dem Blick des Valeria Oberhaupts. „Helena hat einen besonderen Hass auf alle, die Eurem Glauben angehören. Das werde ich ihr wohl nie mehr austreiben können."

„Wieso?", fragte May. Ihre Kehle war eng geworden. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass man sie in dieser Stadt nicht haben wollte. Doch Cheleste war nicht nur missbilligend angesehen, sondern vor einer jubelnden Menge in Fetzen gerissen worden. Helena hatte May das Schicksal einer Ordensdame gezeigt, die nicht unter dem Schutz der Valeria stand.
Hades streckte seine ringbewährten Hände auf seinen Oberschenkeln aus und wandte ernst den Blick ab:

„Vor ungefähr zehn Jahren hatte sich eine Untergrundsekte so gut organisiert, dass sie es fertigbrachten, einen Anschlag auf meine Familie zu planen. Theseus wurde schwer verletzt, Daedalus schwebte sogar einige Stunden in Lebensgefahr. Ich konnte nicht schnell reagieren, weil mir durch unsere Institutionen die Hände gebunden waren. Ich musste die Bürger, den Adel und das Gericht davon überzeugen, meinen Gegenschlag zu befürworten. Hätte ich eigenmächtig gehandelt, hätte ich egoistisch gewirkt und große Teile meiner Unterstützer verloren. Helena reichte das nicht. Als sie erfuhr, dass mir die Hände gebunden waren, ritt sie selbst in die tiefen Höhlen, in denen sich unsere Feinde zusammengerottet hatten. Ich war die gesamte Nacht in der Curia, um mit den Volksvertretern zu verhandeln und als ich am morgen auf das Forum hinaustrat, stand meine Frau in voller Rüstung vor mir und warf mir die Köpfe der Sektenanführer vor die Füße."

May schluckte trocken. Sie hatte bis jetzt nicht besonders viel mit Achills Mutter zu tun gehabt, doch alles, was sie sah und hörte, reichte, dass sie sich wünschte, ihr nie wieder zu begegnen.

„Sie beteten Laureline an, wie der Orden?", fragte Julian nach. Hades nickte. May fühlte Julians Blick auf sich und wusste immer noch nicht, wie sie reagieren sollte. Helena von Avescus war rachsüchtig, das war klar. Jahre nachdem sie diese Bedrohung ihrer Kinder gerächt hatte, hatte sie Cheleste wegen dieses alten Grolls hingerichtet?

Als die Kutsche zum Halt kam, hatte May Kopfschmerzen von all den Dingen, die sie in den letzten Stunden erfahren hatte. Sie tauchte erst wieder aus ihren Händen auf, als Hades sie erneut ansprach.

„Ihr seid außergewöhnlich", sagte der Herr der Unterwelt, während seine Krücke auf den Asphalt vor der Valeria Villa auftraf, „Mir gefällt nicht, was in meiner Stadt passiert, seit ihr hier aufgetaucht seid. Doch ihr habt meinem Volk kein Leid angetan. Ihr habt es gerettet."

Er sah erst ihn und dann sie an.

„Trefft mich in einer halben Stunde in der Bibliothek des Anwesens. Ich habe die größte politische Katastrophe seit Eurem Auftauchen am Hals und es sieht so aus, als wären ein paar Plätze in meinem Rat vakant."

Julian nickte, während May keinen Muskel rührte.

„Er weiß nicht, welche seiner Söhne loyal sind", sagte jemand von draußen, während Hades mit wehendem Mantel verschwand. Cress lehnte sich in die Kutschentür, warf einen Blick auf Alcha und Coria und rümpfte die Nase.

„Schon gewagt, uns mit denen alleine zu lassen."

„Ihr seid berechenbar", flüsterte May. Prinz und Farblose drehten sich nach ihr um.

„Julian könnte Amoklaufen, aber er ist stärker mit einer Allianz zu diesem farblosen Hof. Hades weiß, dass er Politiker ist. Es ist seine beste Option mitzuspielen."

„Ich könnte auch Amoklaufen", merkte die Diebin an, „Und es wäre wahrscheinlich tödlicher."

„Das ist geschmacklos", tadelte Julian.

„Nicht geschmackloser als deine Strickmuster", die Diebin dehnte ihren Rücken.

„Haltet ihr das für lustig?", fauchte May.

„Man gewöhnt sich daran."

Der Stein in ihrer Brust pulsierte wütend.

„Habt ihr jetzt vielleicht die Freundlichkeit, mir zu erklären, was genau gerade passiert ist?"

Während Julian den Blick senkte, seufzte Cress. Jegliche Belustigung war aus ihrem Gesicht verschwunden.

„Das wird dir nicht gefallen."

Smokehands (Skythief pt. 2)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora