26 - Blutige Flügel

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Cress hätte auf die Knie fallen können vor Erleichterung, als die Tore aufgeschoben wurden und sie in fahles Licht getaucht wurde. Blinzelnd, schwankend hob sie die Hände, um ihre Augen zu schützen.
Als man ihr Handschellen anlegte, wehrte sie sich nur noch halbherzig.

Achill Valeria stellte sich vor.
Er war so jung und doch hatten sie ihn geschickt, um Julian zu holen. Verschwitzt und blass war der blonde Mann, der mehr an ein Löwenjunges, als an einen Höllenhund erinnerte. Und doch war da etwas an ihm, das Cress Haare zu Berge stehen ließ. Etwas in seinem frühlingshimmelblauen Blick warf sie aus der Bahn. Der letzte Mensch, der sie so irritiert hatte, lag halbtot auf blutbesudeltem Fels.
Sie wollte sie zu ihm führen, aber die Lichter, die Achills Soldaten bei sich hatten, zerrissen bereits die tröstliche Dunkelheit.
Bewegung kam in die Stille.

Die unscheinbare Aipe fühlte nach einem Puls, leuchtete in seine Augen und ließ ihn auf eine Trage heben.
Er sah aus, wie tot, als sie ihn an ihr vorbei trugen. Sie streckte die Hand aus, streifte ihn nicht einmal, weil sie so schnell waren. Der dunkelblaue Vogel auf seinem Handgelenk war nur Millimeter von dem Tattoo auf ihrer Hand entfernt. So ähnlich und doch nicht identisch, weil die beiden Umrisse der eleganten Tiete sich ansahen. Blutbesudelte blaue Schwingen auf fast totenkalten Händen.
Wieso musste alles, was sie zusammenschweißte so grausam sein? 

„Wir werden für ihn sorgen, Schattenvogel", formten die schmalen Lippen des farblosen Prinzen, „Wir werden für ihn sorgen."
Sie folgte der Trage, taub, von Kopf bis Fuß in Asche und Blut getaucht, ein grausames Abbild der Kunst, die die Goldmädchen ihr vor so wenigen Tagen auf die Haut gemalt hatten. Alles, was von den goldenen Träumen blieb, war Asche. Sie regnete vom Himmel, landete auf ihrem Haar, ihren Schultern, zerfiel auf ihrer Zunge.
Cress presste ihre verletzte Hand an die Brust und blieb für einen Moment stehen, als sie den Platz in seiner vollen Größe betrachten konnte.
Als sie die Menschen in den Zelten sah, das Leid, das über eine Stadt hereingebrochen war, die so lange vor dem blauen Blut der Alessandrinis verschont geblieben war. Sie hatten um seinen Tod gebettelt, hatten dafür geschrien und getobt.
Jetzt war es so still auf dem aschgrauen Platz.
Sie hatten nach Tod geschrien und der Tod hatte geantwortet. Was wimmerten sie jetzt?

Sie hatte kein schlechtes Gewissen, als die Genugtuung ihre Lippen zu einem winzigen kalten Lächeln verzog.
Als sie die Angst riechen konnte, die zwischen den alten Steinen wiederhalte, atmete sie sie ein, wie eine Ertrinkende die rettende Luft. Ein grausamerer, dunklerer Ort als dieser hatte sie großgezogen. Die Dunkelheit, das Leid, das Wimmern. Normalerweise war es ihre Dunkelheit, ihr Leid, ihr Wimmern. Nicht heute. Die Menschen hier waren so grausam und doch so naiv. Sie hatten ihm wehtun wollen.
Jetzt regnete es Asche über ihrer Stadt. 

~

Er stand in Flammen.
Dieses Mal spürte er sie, spürte den Schmerz auf der Haut, in Fleisch und Knochen. Blind und taub, pulsierend vor Qual.
Im Delirium vergaß er, was er getan hatte. Er vergaß, was für Schrecken er über diese Stadt gebracht hatte.
Er vergaß, dass er einen Mord begangen hatte.
Er vergaß seinen Namen.
Vergaß die Krone, die ihm in einer anderen Stadt zustand.
Am Anfang wusste er noch, dass sie da war. Dass sie versuchte, zu verhindern, dass er verblutete.
Dass sie ihn anschrie und anflehte. Cress Stimme war seine Rettungsleine, an die er sich klammerte, bis sie letztendlich abriss und er in die Tiefen des schwarzen Wassers gezogen wurde.

Irgendwann fühlte Julian nichts mehr. Seine Welt stand in Flammen, obwohl es dunkel war, als jemand angstschlotternde Soldaten rief. Jemand überprüfte, ob er noch atmete, sprach ihn an.
Jemand, der nicht Cress war. Wo hatte man soe hingebracht?
Er blieb regungslos, als das Leder der Soldatenhandschuhe Blasen warf, wo sie seine Haut berührten. Völlig apathisch, als man ihn hinausbrachte und in einen Fluss tauchte, um seinen Körper zu kühlen. Als Dampf von der Oberfläche aufstieg und die Ärzte ihn endlich anfassen konnten.
Was für gute Ärzte sie hier haben mussten, dachte er irgendwo im Dämmerschlaf, wenn er immer noch lebte. Dann musste man ihm irgendetwas gespritzt haben.
Absolute allumfassende Schwärze verschlang Julian.
Wieder war sie erlösend.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now