9 - Höllenhunde

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„Er darf nicht sterben."

Daedalus Valeria war fassungslos.
Das passierte zwar oft, denn der jüngste Sohn des Hades war einer dieser seltenen Menschen, die die Welt mehr mit dem Herzen als den Augen sahen, aber diesmal war es besonders heftig.
Daedalus war voller Gefühle für alles, hasste und liebte intensiver als es all die anderen taten.
Er schrieb wunderschöne Gedichte, aber für die Politik war er der allgemeinen Meinung nach nicht zu gebrauchen.

Orpheus war sich nicht sicher, was seine Eltern in seiner Erziehung falsch gemacht hatten.
Menschen mit Gefühlen, die als Farben auf Leinwände, als Wörter auf Papier oder als Noten auf Klaviertasten gebannt werden mussten, waren ihm schon immer suspekt gewesen.
Zu weltfremd.
Zu anstrengend.

„Setz' dich hin, Daedalus", verlangte Hades, ohne den Dichter anzusehen.

Orpheus Vater wirkte, als würde die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern ruhen.
Mehr ein Atlas als ein Hades, gebeugt von einem Gewicht, das alt und ungnädig wie die altrömische Göttin der Gerechtigkeit war, die mahnend über ihnen allen aufragte.
Der Herr der Unterwelt machte sich nicht die Mühe, den Blick zu heben, um seinen Jüngsten zu maßregeln.
Er hatte bei weitem schlimmere Sorgen als den jungen Idealismus seines Sohnes.

„Es ist unrecht, Vater. Wir haben nicht genug Beweise, um ihn hinzurichten. Im Gegensatz zu der Dikatur der Eisdynastie haben wir uns der Gerechtigkeit verpflichtet. Vor Jahrtausenden.
Du trittst dieses Erbe, diese Tradition, die jeder von uns im Geiste tragen sollte, mit Füßen, wenn du ihn hinrichtest.
Du reißt diese Eiche, zu der die Moral unserer Gesellschaft herangewachsen ist, mitsamt ihrer Wurzeln aus.
Weil du einen Blauen bluten sehen willst, wie ein Tier, während du alleine durch die Tatsache, dass du dich von deinen Instinkten versklaven lässt, selbst zum Tier wirst!"

Hector, Hades Bruder und der Onkel der jungen Männer, schnalzte mit der Zunge.

„Benimm dich, Junge. Oder ich werde es dir beibringen."

Der Dichter warf einen hilfesuchenden Blick zu seinen Brüdern. Achill war der einzige, der ihn ansah.

„Wie kannst du da einfach stehen?", bellte der Dichter seinen älteren Bruder an, „Du weißt, dass es unrechtmäßig ist. Du weißt es, Achill, und du wirst zusehen, wie Hyppolita ihn in der Arena in Fetzen reißt? Das ist unmenschlich. Seid ihr alle verrückt geworden?!"

„Daedalus, das reicht!", fuhr Hector dazwischen.

„Und du, Hector?", fuhr der Junge mit dem lauten Herz zu seinem Onkel herum, „Wirst du auch nur zusehen? Wie ein guter Hund, der sich auf Befehl seines Herrchens ‚Sitz' macht und zusieht, während man einen Menschen vor ihm zerfleischt?"

Hector fluchte und griff nach seinem Neffen, packte den dünnen Jungen am Kragen und hob ihn hoch, sodass seine Schuhspitzen den Boden nur noch streiften.

„Sag das noch einmal, wenn du den Mut dazu hast!", forderte er laut.

Orpheus und Theseus warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
Theseus, der einzige dunkelhaarige Valeria Bruder, drehte wie immer eine goldene Münze durch die Finger. Er verdrehte die Augen, als er den Blick seines Bruders traf.
Hades hob letztendlich doch den Kopf, um seine Familienangehörigen von einer Schlägerei abzuhalten.

„Bist du fertig, Daedalus?"

Der Junge starrte seinen Onkel an, die Augen weit aufgerissen, und sagte kein Wort.

„Lass ihn runter, Hector. Sofort", knurrte Hades.
Es wirkte, als hätte er wieder einen seiner Kopfschmerzenanfälle.
Wer konnte es ihm verübeln nach den letzten Tagen?
Schließlich waren die begabteste Diebin der Welt, Miaserus Alessandrinis einziger Sohn und die zweite Hohe der letzten Stadt völlig unvermittelt in seiner Stadt aufgeschlagen, nachdem die Oberfläche Jahrhunderte lang keinerlei direkten Kontakt mit der Unterwelt gehabt hatte.
Wäre es doch so geblieben.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now