25 - Ausgebrannt

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Es regnete Asche, als Achill von seiner Stute stieg. Leise und hell wie Schnee sammelte sie sich in seinem Umhang, auf seinem Haar und auf dem Kopfsteinpflaster.
Der Platz um das Amphitheater war voller Menschen. Kinder rannten auf der Suche nach ihren Eltern durch die Menge, Eltern schrien die Namen ihrer Kinder. Fremde halfen einander, redeten sich gut zu.
Das weiße, kalte Licht der Flutlichter tanzte mit den Ascheflocken und den Schatten der kauernden Menschen. Man hatte Decken verteilt, anstatt ein Feuer zu entzünden. Doch der Name, den man ihm gegeben hatte, hatte sich verbreitet wie ein Steppenfeuer. Man flüsterte ihn, fluchte ihn. Benannt nach dem verrückten Mann, der Rom in Feuer aufgehen ließ. Dessen Erinnerung auch nach Jahrtausenden noch nicht vergangen war. Nero, nannten sie den Eisprinzen.

Mediziner schossen durch die Menschen, wie Plasma in einem Schusswechsel. Jonie Lizbeth, die Hebamme, die die drei ältesten Valeria Brüder auf die Welt geholt hatte, verband einem Jungen den schlimm blutenden Arm, während seine Mutter leichenblass danebenstand. Die alte Frau erhob sich, als sie Achill kommen sah. Sie wischte sich das Blut von den Händen und kam herüber, während sie sich Desinfektionsmittel zwischen die Finger rieb. Die Valeria Soldaten wollten sie von ihm fernhalten, aber Achill bedeutete ihnen, sie zu ihm zu lassen. Jonies gütige Augen waren dunkler als sonst, ihr drahtiges Haar unordentlich. Kalter Schweiß stand auf ihrer Haut.

„Achill! Was machst du hier? Wo ist dein Vater? Wo sind deine Brüder?"
Sie hielt mühelos mit ihm Schritt.

„Theseus und Daedalus geht es gut. Aeneas, Orpheus und Vater werden vermisst."
Jonie schlug sich die Hand vor den Mund. Diese Frau hatte tote Mütter und tote Neugeborene in den Armen gehalten, doch Achill hatte sie noch nie so abgrundtief entsetzt gesehen.
„Verdammt", flüsterte sie.

„Wie viele Verwundete?", fragte Achill. Wenn irgendjemand inzwischen einen Überblick hatte, dann war es Jonie.
„Keine hundert."

„Was?!"

„Wir haben keine einzige schwere Verbrennung. Alles gebrochene Knochen, Fleischwunden und blaue Augen."

„Keine Verbrennungen?"

„Nein."

Achill starrte vor sich hin, während die Pflastersteine unter seinen Stiefelsohlen vorbeizogen und das hoch aufragende Amphitheater näherkam. Er hatte das Feuer gesehen. Hatte gesehen, wie es über die obersten Torbögen des Theaters schlug, wie eine höllische Sturmflut. Keiner der Verletzten war verbrannt worden? Das ergab doch keinen Sinn.

Mein Bruder sagt, sie sind anders als wir erwarten, echote es in seinem Kopf, Das werden sie immer sein.

„Achill." Jonie hatte ihn erstaunlich fest am Arm gepackt. Er blieb einen Moment stehen, während die Soldaten die Hände an die Waffen wandern ließen. Sie sah ihn so ehrlich besorgt an, wie es nur jemand tun konnte, der sein Gegenüber seit der Durchtrennung der Nabelschnur kannte.
„Pass auf dich auf, Junge."

Er rang sich ein Lächeln ab.
„Mach dir keine Sorgen", er beugte sich nach unten und küsste ihre kühle Stirn, „Alles wird gut."

„Die nobelste aller Lügen", schnaubte sie, bevor sie sich abwandte und durch den falschen Schnee zurück zu den Lazaretten eilte.

Als sie die Haupttore erreichten, die schmiedeeisern und drei Meter hoch den Eingang in eine Kathedrale des Blutes markierten, hatte sich eine tiefe Falte zwischen den Augen des jungen Valeria eingegraben.
Die Unruhe hatte sie alle in Beschlag genommen, auch wenn sich die jahrelang gestählten Soldaten nichts anmerken ließen. Nur Astra, die ihn bereits erwartet hatte, wirkte ungerührt wie immer.
Achill wappnete sich. Selbst, wenn es bis jetzt keine Brandopfer gab, würden sie dort drinnen auf Leichen stoßen, da war er sich sicher. Zwar würde dieses Feuer nicht die ganze Stadt vernichten, doch Pompei war von der Erde selbst verschlungen worden und nicht von einem einzigen Menschen.
Der Prinz musste inzwischen so gut wie tot sein, wenn er nicht schon verblutet war.
Er hatte nicht mehr viel Zeit.

In dem Moment, in dem Achill den Befehl zum Öffnen der Tore gab, hallte ein dumpfer Schlag durch die gespannte Stille. Soldaten fuhren zusammen. Es klang, als ob jemand über eine meterdicke Eisschicht stapfen würde. Oder, als ob sich jemand immer wieder mit seinem ganzen Gewicht gegen das Eisen werfen würde. Kälte kroch die Wirbelsäule des Valeria hinauf.

Irgendjemand lebte dort drinnen noch.
Vielleicht waren es Überlebende. Vielleicht war es der Flammenprinz, der nur darauf wartete, auf den Rest der Stadt loszubrechen.

Sämtliche Blicke klebten an Achill, wollten eine Entscheidung sehen. Vertrauten blind auf ihn, obwohl er so blutjung und unerfahren war.
Er trat vor. Stützte die behandschuhten Hände auf die in Metall gegossenen Tiermäuler und Kampfszenen, die die Tür schmückten und legte sein Ohr an den winzigen Spalt zwischen den beiden Türhälften. Holz und Metall erbebte unter seiner Haut, als sich erneut jemand dagegen warf.
Schwächer, als das letzte Mal. Jemand schrie, fluchte. Erneut erbebten die Tore. Es war also wahr.

Achill Valeria legte die Nase gegen den Spalt und fragte laut:
„Cress Cye?"

Die Männer um ihn herum versteiften sich.
Keuchen auf der anderen Seite.
Schon wieder fluchte sie. Dann:
„Valeria. Wenn ich hier rauskomme, ziehe ich euch bei lebendigem Leibe die Haut ab!"

Achill schloss die Augen. Ließ seine eigene Gabe die Führung übernehmen. Unangenehm berührt rieb er sich die Arme, als er feststellte, dass sie nicht log.
„Habt ihr Schmerzen?", fragte er zwischen den Türen hindurch.

Sie schluchzte auf. Warf sich noch einmal gegen die Tür, so unvermittelt, dass er zusammenzuckte.
„Macht die Tür auf, Valeria."

„Das kann ich noch nicht."

Sie stieß die Luft aus. Dann wurde ihre Stimme klarer, vielleicht, weil sie ebenfalls durch den Spalt sprach.
„Was wollt ihr?"

„Lebt der Königssohn?"

Einen Moment lang herrschte Stille. Ihre Stimme klang wackelig, als sie schließlich bejahte.
Achill tauschte einen Blick mit dem alten Severus, dem General seiner Garde.

„Er verblutet. Ist ohnmächtig geworden. Er stirbt."
Ihre Stimme brach ab.
„Wessen Schuld das wohl ist?", zischte sie dann, „Ha, Valeria, hast du irgendeine Ahnung, wem ich dafür den Schädel einschlagen muss?"

Achill gab seinen Soldaten einen Wink, ohne sich von der Tür zu entfernen.
„Wenn ihr wollt, dass wir ihm helfen, tretet zurück, wartet, bis wir die Tore geöffnet haben und die Ärzte da sind."

„Woher weiß ich, dass ihr ihn nicht umbringt?"

„Woher wissen wir, dass er uns nicht umbringt?"

Zischender Atem war die einzige Antwort.

„Ihr müsst es nur sagen, Cress Cye", forderte Achill, „Sagt mir, wieso wir die Tür öffnen sollen. Sagt mir, dass ihr uns nicht in einen Hinterhalt lockt."

„Wozu soll das gut sein?"

„Das werdet ihr sehen."

Seine Nasenspitze war ganz kalt geworden von dem Eisen der Tür, als sie schließlich erwiderte: „Ich locke Euch nicht in einen Hinterhalt, so gerne ich es auch tun würde. Julian ist ohnmächtig. Er wird niemandem etwas tun. Ich werde niemanden angreifen, der ihm hilft."

Ein Lächeln kräuselte Achills Lippen, als ihm die rohe Wahrheit ihrer Worte entgegen leuchtete.
Er nickte seinen Männern zu. Quälend langsam öffneten sich die Tore.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now