54 - Königin

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Hohe Säulen aus Caz Kristall und die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne hatten seit jeher die Krönungen der Könige bewacht. Wenn die Sonne hoch über der Kuppel aufging, die die Stadt umspannte, fielen ihre sanften Strahlen direkt durch die Spitzbögen des Heiligtums und malten ein faszinierendes Schauspiel aus Schatten, Licht und bunten Reflexen auf die Gesellschaft.

Schon der erste König, unter dem sich an diesem Ort nur Ruinen und Staub erstreckt hatten, war im Licht der aufgehenden Sonne hier gestanden und hatte mit zum Himmel erhobenem Haupt seine Eide geschworen. Seit diesem Tag hatten hunderte von Königen geherrscht. Blutig oder gütig, jahrelang oder nur einen Tag, verehrt oder verhöhnt.
Die Krone hatten Helden und Bösewichte gleichermaßen getragen, doch immer waren es Männer gewesen. Die Hohe war eine Ordensdame, der König ein Sohn des blauen Adels – Jahrhunderte lang hatte dieses Gleichgewicht allem standgehalten.
Kein Putsch, keine Rebellion, keine Blutfehde hatte an den Fundamenten der Dynastien gerüttelt, die auf- und untergingen wie die Sonne, in deren Licht sie alle gekrönt worden waren.

Doch Dominique war weder ein Mann des Adels, noch war sie eine Ordensdame.
Ihre Gabe und ihr Blut erdrückten jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Herrschaft im Keim. Eine von den Sternen gesegnete Tyrannin, die im Schatten ihres Vaters gewachsen war, bis sie letztendlich mächtig genug war, um nach der Krone zu greifen.
Es schien, als hätten die Götter selbst nun eingegriffen und den Fall der überlebenden Stadt eingeleitet, nachdem sich diese zu lange dem Bürgerkrieg und der Dekadenz erwehrt hatte.

Ein Chor begann zu singen, als Dominique d'Alessandrini-Casanera von zehn blauen Familienoberhäuptern durch den kristallenen Spitzbogen eskortiert wurde.
Julian kannte all ihre Namen, hatte Geschenke von ihnen entgegen genommen und mit ihren Töchtern getanzt. Als er seinen Paten unter ihnen erkannte, senkte er einen Moment den Blick.
Glaubte auch dieser, dass er seinen Vater umgebracht hatte? Glaubte er all die perfiden Lügen, die Dominique gesponnen hatte, um ihren Bruder aus der Machtgleichung ihrer Herrschaft zu streichen? Gab es auch nur die kleinste Möglichkeit, dass irgendjemand im Kernbezirk die Wahrheit ahnte?

Dominiques Schatten stand gegen das rot der aufgehenden Sonne, sodass sie erst als sie näher an die Kameras trat, vollkommen sichtbar wurde. Sie trug nicht das marineblaue Gewand einer Königin an ihrem Hochzeitstag, sondern ein eigens angefertigtes Zeremoniegewand, das dem blau der Alessandrini Dynastie zwar keine Absage erteilte, aber dem Prunk einer Krönung schon. Es war eine Uniform, kein Ballkleid. Dominique war noch nie angetan von dem Prunk gewesen, in dem ihre Mutter so gerne badete. Doch ihre Kleidung war nicht nur eine Absage an den Lebensstil ihrer Eltern – es war ein Symbol, eine Bekundung.

Die Krone war ein Amt für sie, kein Schmuck. Sie wollte Ernsthaftigkeit zum Ausdruck bringen, sich vom Schillern einer Königin lösen und angesehen werden, wie ein König. Dabei war sie so viel mächtiger als ihre Mutter, als ihr Vater und die tote Hohe in ihrem kalten Sarg.
Julian spürte Hades Blick auf sich, während Dominique das Heiligtum durchschritt und vor Mays Mutter zum Stillstand kam.

Die Dreizehn begrüßten die weltliche Königin nicht durch eine Verbeugung oder einen Knicks, doch Julian wusste, dass sie bei der Einführung in das zweite Amt, das Dominique bekleiden würde, alle vor ihr knien würden. Er war sich sicher, dass seine Schwester genau dasselbe dachte, als sie selbst vor Laurelines Orden auf die Erde sank und den Kopf mit der aufwändigen Flechtfrisur vor den Damen neigte.

Der Gottesdienst wurde komplett auf Latein gehalten, wie es seit Urzeiten der Brauch war.
Julian kannte jedes der Gebete, jede Zeile der Andacht und jede Zeile des Gelübtes, das seine Schwester an seiner statt ablegen würde. Er bewegte die Lippen mit, als sie die alten Zeilen sprach, den falschen Göttern ihre Treue gelobte und ihrer im Morgennebel daliegenden Stadt dabei das Gesicht zuwandte.

Smokehands (Skythief pt. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt