39 - Nähte und Schürfwunden

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{Endlich habe ich es geschafft :) Ganz viel Spaß beim Lesen!}

Julian fühlte sich taub, als er am nächsten Morgen aufstand.
Er starrte vor sich hin, während zwei Pfleger unsanft unter dem strengen Blick dreier bis an die Zähne bewaffneter Wachen seine Verbände wechselten. Er unterdrückte einen Fluch, weil man ihm nicht gerade feinfühlig den Stoff von der Wunde auf der Brust löste. Die Verletzung, die ihn eigentlich hätte umbringen sollen, war zu einer Naht geworden, die sich hässlich und lang von kurz unter seinem Schlüsselbein bis zu seinem Bauchnabel erstreckte. Während andere Wunden, Schnitte und Prellungen in den vergangenen Wochen bereits verblasst waren, war die Naht in seiner Wahrnehmung nur noch prominenter geworden.
Auch, wenn der Arzt den Kopf darüber geschüttelt hatte, dass er überhaupt wieder auf die Beine gekommen war und das auch noch so unwahrscheinlich schnell, war klar, dass dieses Ding ihn nie wieder verlassen würde.

Bei jedem Atemzug, den er tat, spannte sich die Naht und erinnerte ihn an die schreiende Menge und Hyppolitas metallene Flügel. Daran, wie feige er gewesen war und daran, wie sehr er versagt hatte.
Wie machtlos er gewesen war.
Seine Kehle wurde eng, nur bei dem Gedanken an die vielen Augen, die in Genugtuung auf ihm geruht hatten, als man ihn in Stücke gerissen hatte. Sie hatten ihm seine Sterblichkeit mit Stahl in die Haut geschrieben.
Auch Prinzen werden zu Asche, hatte die Gladiatorin geflüstert, bevor sie ihn niederstach.
Auch wenn irgendwo in ihm das Feuer brannte, vor dem sie sich alle so fürchteten, so war er in seinen meisten Momenten mehr Asche als Flamme. Denn man musste Menschen nicht umbringen, um sie zu brechen. Das hatte sein Vater ihm schon vor Jahren beigebracht.

Als sie eintrat, wandte er den Kopf, erkannte sie, richtete sich auf.
Die Diebin lehnte im Türrahmen.
Auf die Entfernung sah sie gar nicht so klein aus.
Irgendetwas stimmte nicht, realisierte er, als er ihren Blick traf.
War etwas passiert? Brachte sie neue schlechte Nachrichten?
Dann wurde ihm mit eisiger Gewissheit klar, dass er nicht stimmte. Cress Blick wanderte die Narbe entlang, fand sein Gesicht, schnellte wieder zu der hässlichen Naht, die sich durch seine Haut zog. Sie hatte ihn noch nicht ohne Verbände gesehen.
Er wusste, dass sie sich Mühe gab, Fassung zu bewahren, ihm zuliebe. Und doch war sie blass geworden.

„Sieh weg", bat er sie leise.

Ihre Augen schnellten zurück zu seinem Gesicht, traurig und dunkel. Ein weiterer Atemzug.
Ein weiteres Stechen, als sich die Naht spannte. Die Scham machte das Luftholen schwerer, als der Schmerz es tat.
Sieh mich nicht an, Cress, flehte er innerlich, bitte.
Er wusste nicht, wie lange es noch dauern würde, bis sie realisierte, dass sie ohne ihn so viel besser dran wäre. Wie kaputt er noch werden musste, damit sie entschied, dass es sinnvoller wäre, ihr eigenes Leben zu retten, als das seine. Er war zu einer Zumutung geworden, zu einer Last auf ihren Schultern und er war sich dessen bewusst. Nichtsdestotrotz tat es fast mehr weh, als sie den Blick abwandte.
Er biss die Tränen zurück, während der neue Verband angelegt wurde und sah dabei nicht, wie sie verräterisch das Gesicht verzog.

Sie wartete, bis die Tür hinter Wachen und Pflegern ins Schloss fiel, bevor sie sich ihm näherte.

„Werden die Schmerzen besser?", fragte sie, als sie sich neben ihm auf das Bett setzte, „Oder soll ich noch einmal diesen Arzt bedrohen, damit er mehr Schmerzmittel rausrückt?"

Er schnaubte, was einen erneuten Stich durch seinen Brustkorb jagte.

„Sehr zuvorkommendes Angebot, Cress Cye, aber ich lehne dankend ab."

„Spiel nicht den Helden, Alessandrini", forderte sie leise, „Andere wären bei diesen Verletzungen gestorben."

„Bitte lass uns nicht wieder die Sterbe-Debatte anfangen", stöhnte er, „Wer von Klippen springt ..."

Smokehands (Skythief pt. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt