21 - Hexen und Dämonen

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Orpheus Valeria starrte mit weit aufgerissenen Augen über die Brüstung der Loge. Er hatte die Hände um den fein gearbeiteten Stein gekrallt, die Lunge voller Rauch. Angstschweiß rann ihm den Nacken herunter, während er seinem Tod ins Auge sah. Er begriff es nicht. Er begriff nicht, wie so etwas real sein konnte. Wie er die Hitze auf der Haut spüren konnte. Den Ruß auf der Zunge, wie ein bitteres Versprechen.

Cress Cye war mitten ins Feuer gesprungen.
Die wahnsinnige Diebin hatte sich umgebracht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Die Cress, die er gekannt hatte, hätte ihr Leben nie so einfach weggeworfen, auch nicht nach tagelanger Folter. Doch die Cress, die er gekannt hatte, hätte auch nicht versucht, ihn zu manipulieren. Jetzt war sie fort. Verschwunden im Feuer, wie eine der angeblichen Hexen im Mittelalter.

Keuchend wälzte er sich zur Seite. Sein Kopf dröhnte, zum Teil von der Wucht der Flammen, zum Teil, weil er bei der Explosion durch die Loge geschleudert worden war. Als er die Hand hob, um seine Schläfe zu betasten, schimmerte Blut auf seinen Fingern.
Seine hilflose Familie wurde in den tanzenden, grausamen Schein des Feuers gebadet. Orpheus kroch zu seinem Vater hinüber, um sich zu vergewissern, dass er nicht verletzt war. Der Herr der Unterwelt war schon wieder auf den Knien, als sein Sohn ihn erreichte. Hustend, das pechschwarze Haar, das nur Theseus geerbt hatte, wild im von Funken glühenden Wind flatternd.
Wenn er wegen der Druckwelle nicht schon mit der Brust auf dem Stein liegen würde, hätte Orpheus spätestens beim Anblick der Panik in den Augen seines Vaters den Boden unter den Füßen verloren.
Noch nie hatte Hades ausgesehen, als hätte er wirklich Angst vor etwas. Doch als er die Feuersäule sah, die mitten aus dem Stein seines Richtplatzes, mitten aus der Euphorie seines Spektakels erwachsen war, da packte die Angst den mächtigen Mann, wie ein biblisches Ungeheuer. Orpheus hatte noch nie jemanden so sprachlos gesehen.

„Raus hier. Sofort", brüllte Orpheus die orientierungslosen, panischen Menschen um sich her an. Versuchte, seine eigene Panik zu unterdrücken. Er war unfähig, aufzustehen, weil die Welt immer wieder vor seinen Augen verschwamm, aber das hätte ihm ohnehin nicht viel genützt.
„Kriechen! Los! Raus hier!", befahl er einem Wachposten, der ihn nur verstand, weil er direkt in sein Ohr schrie. Doch erst als Orpheus ihn schüttelte, kam leben in den Mann.
Es dauerte mehrere Minuten, bis die ersten die Tür am anderen Ende des Aufgangs erreichten und hinaus stolperten. Einer der Vorhänge hatte Feuer gefangen. Orpheus kroch zurück in die Loge, fluchend und schweißgebadet, um seinen älteren Bruder zu holen.
Aeneas hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Der älteste Valeria Bruder war zwar gebaut wie ein Stier, aber abergläubisch. Was auch immer das Feuer wirklich ausgelöst hatte, in Aeneas Kopf tanzten darin wahrscheinlich gerade Hexen und Dämonen herum.

„Steh auf, Aeneas!"
Orpheus packte ihn bei den Schultern und schüttelte den blonden Hünen, der sich schreiend die Hände vor die Augen presste.
„Aeneas!"
Der ganze Vorhang brannte nun. Stoffetzen schwebten auf sie herunter. Orpheus schlug eine Flamme auf seiner Schulter aus, bevor er mit seinem vollen Gewicht begann, seinen Bruder hoch zu hiefen. Denn obwohl sie sich alle regelmäßig anschrien war er nicht bereit, ihn zurückzulassen.
Nicht eine Sekunde lang dachte Orpheus darüber nach, sich selbst zu retten. Als Aeneas in der Panikattacke, die seinen Verstand ausschaltete, nach Orpheus schlug, sah er drei Fäuste auf sich zu rasen. Er schaffte es nicht, auszuweichen, paralysiert von der Kopfwunde und dem Rauch. Immer noch nicht gewöhnt daran, nur auf einem Auge sehen zu können. Orpheus Kopf wurde zur Seite geschleudert.
Er brach in dem Moment zusammen, als die brennenden Vorhänge auf sie herunterstürzten.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now