Kapitel 31

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Kapitel 31

Ich bin zurück in mein Zimmer gegangen und schließe die Tür hinter mir. Zwar weiß ich, dass die anderen eigentlich mit mir rechnen, aber das ist mir egal. Ich setze mich zusammen mit der Kiste aufs Bett. Minutenlang starre ich nur die Inschrift an. Ich habe Angst davor die Kiste zu öffnen. Was wenn der Inhalt mich enttäuscht, wenn die Dinge meiner Mutter mich schockieren, in welcher Weise auch immer? Aber ich muss einfach wissen was sich darin befindet. Meine Hände liegen schon auf dem hölzernen Deckel. Ein Splitter bohrt sich in meinen Finger, doch der blasse, stechende Schmerz ist nichts zu dem, was mein Herz spürt. Ein stätiges Zusammenziehen mit dem Druck eines Elefanten, der auf meinem Herz steht.

Ich atme noch einmal tief durch, versuche alle meine Zweifel und Ängste in den Hintergrund zu drängen und öffne dann mit zitternden Händen die Kiste. Ganz oben liegt ein Foto von einer Frau, deren Gesicht mein eigenes ist. Selbst ihr glückliches, fürsorgliches Lächeln gleicht dem von mir. Und auf dem Arm hält die Frau ein Baby, das ihre Augen und ihre Grübchen besitzt.

Das Foto ist noch recht gut erhalten. Ich nehme es aus der Kiste heraus um es genauer zu betrachten. Auf der Rückseite steht März 1998. Das war nach meiner Geburt. Mit Tränen in den Augen begreife ich, was ich da sehe. Meine Mutter, Amanda Flynn, mit mir auf dem Arm. Und auf einmal greift eine eisige Hand nach meinem Herzen und drückt es zusammen.

Ich schaue mir das Bild genauer an und verstehe, warum mein Vater sich in sie verliebt hat. Meine Mutter war wunderschön, mit dem weichen, seidig glänzenden braunen Locken, die ihr geschmeidig über den Rücken fließen, und den offenen, glücklichen braunen Augen, die schelmisch und voller Glück das Baby auf ihren Armen anstrahlen. Und dazu kommen ihre schmalen aber sinnlichen Lippen, die sich zu einem warmen und liebevollem Lächeln geformt haben. Sie war wirklich wunderschön.

Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich sie nie wirklich kennen lernen werde. Vielleicht durch Erzählungen, aber einen persönlichen Eindruck werde ich mir nie machen können. Die eisige Faust die mein Herz umklammert hält, zerquetscht es, sprengt es in tausend kleine blutige Splitter, die in Form von eisigen Tränen meine Augen verlassen.

Ich lege das Bild zur Seite und schaue zurück in die Kiste. Ein silbernes Armband liegt noch dort. Es ist vollkommen schlicht, aber trotzdem schön. Ich schaue noch einmal auf das Foto und sehe das Armband an ihrem Handgelenk baumeln. Es hat also ihr gehört, vielleicht sogar ein Geschenk meines Vaters. Ich nehme das Armband und öffne den Verschluss um es mir dann umzulegen. In der Kiste befindet sich noch ein kleines Söckchen was vermutlich mal mir gehört hatte. Es sieht nicht besonders aus, doch für mich ist es tausendmal schöner als all die Kleider die ich zuhause in meinem Schrank habe. Ebenfalls in der Kiste ist ein ledernes Buch. Ich schlage es auf und die ersten Worte die ich lese sind Liebes Tagebuch,

Ich klappe es wieder zu. Ich bin mir nicht sicher ob ich es lesen will. Es sind ihre persönlichen Gedanken, die nicht gelesen werden sollten. Klar, es ist meine Mutter, aber ich fühle mich zumindest im Moment nicht bereit dazu. Zurzeit ist sie schließlich noch eine Fremde und es fühlt sich falsch an so in ihr Privatleben einzudringen.

Ich will das Tagebuch und das Foto schon wieder in die Kiste räumen, als ich noch einen Brief auf dem Boden der Kiste entdecke. Ich nehme ihn raus. Auf dem Umschlag steht 'Für meine kleine Prinzessin Keira'. Der Brief ist an mich gerichtet. Mit zitterender Hand öffne ich den Umschlag und hole das leicht vergilbte Blatt heraus.

Mein Engel,

ich weiß nicht ob du bei deinem Vater aufwächst oder bei mir. Vielleicht hat er es auch endlich geschafft sich von der Furie zu trennen, die er seine Frau nennt, und wir leben alle drei zusammen.

RebellionWhere stories live. Discover now