Kapitel 42

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Kapitel 42

Ihr Gesicht hat fast dieselbe Farbe wie das weiße Laken auf dem sie liegt. Ihre Haare liegen lockig neben ihrem Kopf. Ihre Augen hat sie geschlossen. Sie sieht aus als würde sie friedlich schlafen. Das schwarze Kleid bedeckt ihre Wunde, niemand kann sie sehen.

Sie sieht so unschuldig aus, so ruhig. Doch in ihren Wangen fehlt das rosa, ihre Lippen sind ebenfalls blass. Auf den ersten Blick mag sie aussehen als schliefe sie, aber wenn man genauer hinsieht weiß man, dass sie nicht mehr lebt.

Ermordet von irgendeinem Polizisten, weil sie mich retten wollte. Tränen laufen über meine Wangen und Louis nimmt meine Hand. Warum musste das nur passieren? Sie ist viel zu jung um zu sterben. Warum haben sie ihr nicht geholfen?

Weil sie nicht konnten, erinnere ich mich selbst. Es war zu spät. Sie war bereits tot als wir aus dem Auto stiegen. In meinen Armen ist sie gestorben. Noch immer kann ich es nicht glauben. Das alles kommt mir so vor, als sei es nur ein schlechter Traum, als würde ich jeden Moment aufwachen und wieder in Helens strahlendes Gesicht sehen.

Aber es ist kein Traum, es ist die bittere Realität. Und jetzt werde ich sie das letzte Mal sehen. Bob sagt noch irgendwelche letzten Worte und dann machen sie den Sarg zu. Mein Inneres zersplittert in tausend kleine Teile.

Es ist das erste Mal, dass jemand gestorben ist, der mir wichtig war. Neben mir sehe ich Lini, ihre Augen sind rot und angeschwollen. Meine sehen wahrscheinlich nicht besser aus. Mir tut es so unglaublich leid für sie, sie hat ihre einzige Schwester verloren.

Am liebsten würde ich zu ihr hingehen und irgendwas sagen. Doch erstens wüsste ich nicht was und zweitens habe ich Angst, dass sie mir die Schuld am Tod ihrer Schwester gibt. Ich glaube das könnte ich nicht ertragen.

Die Trauerfeier war nun vorbei. So langsam verließen die Leute den Raum, doch ich blieb stehen und betrachtete weiterhin den Sarg. Er ist mit kleinen Rosen verziert und hätte Helen sicherlich gefallen. Nur hat sie davon nichts mehr.

Ich spüre, dass Louis einen leichten Druck auf meine Hand ausübt. Er will gehen, und er will, dass ich mitkomme. Wahrscheinlich ist es besser. Die Atmosphäre hier zieht mich nur runter. Ich folge ihm aus dem Raum und sehe, dass Mino direkt hinter uns ist.

Ohne ein Wort zu reden, gehen wir in Louis Zimmer. Seit einer Woche war das unser Zufluchtsort. Niemand war je gekommen, jeder ließ uns in Ruhe. Sowohl Mino als auch ich hatten hier geschlafen. Nach der Nachricht von Helens Tod bin ich kein einziges Mal in unser Zimmer gegangen, ich konnte es nicht ertragen.

Bis jetzt hatte auch niemand was dazu gesagt, dass ich in einem Jungenzimmer schlief. Aber ich habe die Befürchtung, dass das nicht lange auf sich warten lässt. Ich setze ich auf ein Bett und die anderen tuen es mir gleich.

Ohne ein Wort zu sagen, starren wir einfach die Wand gegenüber von uns an. Ich habe das Gefühl, als fehle ein essenzieller Teil von mir, was auch nicht ganz unwahr ist. Die letzten Tage ohne Helen waren die reinste Qual.

Keiner von uns hatte auch nur einmal gelächelt, Helens fröhliche Wärme fehlte. Ihre Abwesenheit war permanent spürbar. Eine lähmende Taubheit hatte sich in mir ausgebreitet. Jede meiner Handlungen verspürte ich nicht als meine Handlung, sondern als die einer anderen Person.

Ich hatte das Gefühl, als würde ich mein Leben aus der Sicht eines anderen betrachten. Die Erinnerung an den Moment, an dem Bob uns die Nachricht überbrachte, hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt.

Ich sehe es noch genau vor meinem inneren Auge. Nachdem man Helen weggebracht hatte, bin ich duschen gegangen, schließlich war ich übersäht mit ihrem Blut. Danach haben wir uns in den Gang vor die Krankenstation gesetzt.

RebellionWhere stories live. Discover now