Kapitel 75

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Kapitel 75

Seit zwei Stunden starre ich nun auf den Stadtplan. Bob hatte gesagt, ich solle die Stadt in Distrikte unterteilen, die mir logisch erscheinen.

Dort werden die Menschen dann je nach Krankheitsgrad untergebracht und behandelt, sodass die Verteilung von Personal besser geregelt ist.

Doch mir fällt es unsagbar schwer mich darauf zu konzentrieren. Viel zu viele andere Gedanken schwirren in meinem Kopf herum. Ich brauche eine Pause.

Außerdem könnte Balu ebenfalls einen Spaziergang vertragen, immerhin musste er auch zwei Stunden mit mir in diesem Büro hocken. Mit einem Pfiff errege ich seine Aufmerksamkeit und mache mich dann auf den Weg nach unten.

Draußen weht ein kühler Wind und ich bereue es, keine Jacke mitgenommen zu haben. Nun ja, jetzt ist es sowieso zu spät. Ziellos laufe ich durch die Straßen der Innenstadt.

Alles sieht so anders aus als vor ein paar Wochen. Die Zäune sind eingerissen, Geschäfte geplündert. Die sonst so lebhafte Innenstadt wirkt einsam und grau.

Nichts erinnert mehr an die wilden Partys oder die schicken Abendessen. Doch ich sehe nicht besser aus. Meine Kleidung ist vollkommen schwarz und passt sich somit der Umgebung an.

Nur Balu sticht mit seinen weißen Tupfern und dem fröhlichen Gebell hervor. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Es ist schön ihn so glücklich zu sehen. Wenigstens einer von uns.

Nach einer Weile merke ich, dass ich in bekannte Gegenden komme. Und ein paar Minuten später stehe ich auch schon vor unserem alten Haus. Es sieht verlassen aus, schließlich wohnen wir relativ am Rand.

Schon vor Wochen war dieser Bezirk geräumt worden. Und meine Mutter ist hier nicht mehr eingezogen. Sie wurde mit anderen Leuten der Oberschicht inhaftiert und wegen Mordes an meiner leiblichen Mutter angeklagt.

Meine Aussage über das Geständnis, dass sie mir gegeben hatte, reichte um sie zu verurteilen. Wahrscheinlich da die Richter sowieso eher mir zugeneigt waren.

Sie hat jetzt ein Leben in einer kleinen Zelle vor sich. Bob wollte die Prozesse so fair wie möglich halten und nicht alle Leute aus der Oberschicht per se einsperren.

Stattdessen wurden sie entsprechend ihrer Taten vor Gericht gestellt und bekamen einen mehr oder weniger fairen Prozess, abhängig von den Richtern.

Es ist unglaublich, wie sehr Bob eine neue Ordnung binnen zweier Tage erstellt hat. Aber er plant auch schon sein Leben lang an dieser Rebellion. Ich denke ihm war von Anfang an klar, was nach dem Ende passieren soll.

Ich konzentriere mich wieder auf das Gebäude und gehe zur Haustür. Verschlossen. Kräftig stemme ich mich dagegen und die Tür lässt ein knacken hören.

Ein weiteres Mal drücke ich mein Körpergewicht gegen die Tür. Doch sie öffnet sich noch immer nicht. Ungeduldig hole ich die Waffe von meinem Gürtel und schieße das Schloss auf.

Nun steht sie weit offen und ich kann eintreten. Alles hier ist dunkel. Ich betätige den Lichtschalter, doch es tut sich nichts. Aber das war zu erwarten. Seit der Rebellion gab es Stromprobleme in der Innenstadt.

Aber ich finde mich hier auch ohne Licht zurecht, immerhin habe ich hier fast mein ganzes Leben verbracht.

Ich betrete jeden einzelnen Raum. Alles sieht so leblos und trist aus. Nie wieder wird hier jemand wohnen. Naja, vielleicht doch, aber auf keinen Fall jemand unserer Familie.

Mein Vater ist tot, meine Mutter sitzt im Gefängnis und ich könnte es sicher nicht ertragen hier zu leben.

Schon jetzt ist es hart für mich hier zu sein. So viele Erinnerungen an meinen Vater, meine Vergangenheit. Vielleicht sollte ich besser gehen.

Doch vorher packe ich noch einige persönliche Dinge wie Fotos in einen alten Rucksack. Mit einem letzten Blick auf das Anwesen verlasse ich unser Grundstück. Wahrscheinlich auf ewig.

So langsam mache ich mich auf den Rückweg. Ich sollte mich wirklich auf meine Arbeit konzentrieren, schließlich sollte London so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden.

„Keira?", höre ich eine bekannte, doch gleichzeitig unvertraute Stimme. Ich drehe mich um sehe in das Gesicht meiner besten Freundin.

Es schockiert mich, wie sehr sie sich verändert hat. Sie sieht vollkommen ausgelaugt aus. Ihre Wangenknochen trete stark hervor, ihre roten Haare hängen matt ihre Schultern hinab.

Ihre grünen Augen sind gezeichnet von Angst und Trauer. „Lucy", hauche ich und gehe einen Schritt aus sie zu. Ich würde sie gerne umarmen, doch ich traue mich nicht. So viel ist passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

„Warum?", fragt sie mich und Tränen steigen in ihre Augen. „Lucy, du musst verstehen. Es ist besser so", versuche ich zu erklären, doch sie sieht mich nur verständnislos.

„Besser? Weißt du was ich die letzten Wochen durchgemacht habe? Was die anderen die letzten Wochen durchgemacht haben?", fragt sie, doch ich kenne nicht die Antwort darauf. Ich habe keine Ahnung, wie es für sie gewesen sein muss.

„Und Daniel? Warum bist du nicht mit ihm gegangen? Warum?" So gerne würde ich ihr Antworten geben, doch ich habe keine darauf. Natürlich könnte ich ihr das mit Daniel erzählen, doch ich glaube nicht, dass sie das hören will.

„Was ist? Willst du schweigen wie damals in der Polizeistation? Ich dachte du bist so taff?" Aus der Trauer wird Wut. Ich bin vollkommen überfordert mit der Situation. „Es tut mir leid", murmle ich, auch wenn es gelogen ist.

Klar tut es mir für sie leid, doch ich bereue nichts. Keinen einzigen Moment, denn die Welt ist jetzt ein großes Stück besser als zuvor.

„Nein, das tut es nicht", durchschaut sie mich. „Du hast dich verändert Keira, sogar noch stärker als zum letzten Mal. Ich kenne dich nicht mehr. Du bist nicht mehr meine aufgeweckte, süße Freundin. Nein, du bist eine kaltblütige Mörderin", schreit sie.

Ihre Worte treffen mich hart. Tränen schießen in meine Augen.. Lucy beginnt zu rennen. Ich folge ihr nicht, ich kann nicht. Ich bin wie erstarrt. Aber selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Es ist zu spät, ich hab es verbockt.

RebellionWhere stories live. Discover now