5 - RedLipRoulette

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Das blau flackernde Kartenkreuzsymbol, das mannshoch über dem Eingang der Spelunke befestigt worden war, spiegelte sich tausendfach in den Pfützen, die sich auf dem schmutzigen Asphalt vor dem Eingang gebildet hatten. Glasscherben schimmerten hier und da im viel zu sauren Wasser, als hätte eine Party Gesellschaft im Eifer des Gefechts das ein oder andere Glas zerbrochen. Normalerweise war der Vorplatz um diese Zeit voller Leute. Die Männer und Frauen des Kreuzbuben, die man allgemein ‚Fiori' nannte, nach der italienischen Bezeichnung dieser Kartenfarbe, tummelten sich gerne hier, bevor sie in die Nacht aufbrachen, um schmutzige Geschäfte für ihren Gönner zu erledigen oder sich zum alten Mike an die Bar setzten, um zu trinken, bis sie nicht mehr stehen konnten.

Heute Nacht war es still, während Cress den Clubssquare überquerte. Die Hochhäuser links und rechts waren größtenteils bewohnt und im Normalfall alle bewacht. Shkarah sollte gar nicht bis hierhin vordingen können. Doch heute Nacht schien irgendetwas in der Luft zu liegen. Hoffentlich haben sie immerhin die Kinder bekommen, wenn ich dafür schon halb draufgegangen bin, dachte Cress bitter, während sie Pfützen voller Zigarettenstummel auswich und allmählich der Bass der Musik zu ihr durchdrang. Durch das blaue Licht und die Schatten, die es hervorrief, sahen die beiden breitschultrigen Verbrecher vor dem Eingang aus, als seien sie gerade aus der Unterwelt emporgestiegen, um die Lebenden heimzusuchen.

Der Kreuzbube, der in diesem zwielichtigen Lokal residierte, kannte sich mit Manipulation besser aus als so mancher Adliger. Zwei schmutzige Farblose durch Licht in soeben den Feldern der Bestrafung entronnene Geister zu verwandeln, war eine seiner leichtesten Fingerübungen.

"Kleine, sicher, dass du da rein willst?", fragte der rechte Fiore anzüglich grinsend und verlagerte das Gewicht. Er spielte hinter seinem Rücken mit irgendetwas herum, vermutlich einem Messer. Cress las es aus seinen Bewegungen, wie ein Literaturstudent zwischen verworrenen Chiffren gelesen hätte, um deren Bedeutung zu finden. Sie lachte leise und zog den Reißverschluss an ihrem Ärmel auf, um ihren Unterarm und das Clubs Tattoo darauf zu offenbaren. Dabei entblößte sie auch ihr zweites Tattoo, das trotz aller Vermummung sofort offenbarte, wer sie war. Die Umrisse des kunstvollen Vogels auf der Innenseite ihres Handgelenks brachte die beiden Wachen dazu, sich gerader hinzustellen.

Normalerweise flog Cress über die Köpfe der übrigen Clubs hinweg, wenn sie in das RedLipRoulette wollte und hatte es nicht nötig, den eigentlichen Haupteingang zu benutzen. Man war es nicht gewohnt, sie hier zu empfangen.

"Phil, du Idiot", knurrte die zweite Wache, packte den Neuen und zog ihn zur Seite, bevor er mit einem „Willkommen zuhause, Schattenvogel" den Weg freigab. Die Diebin lächelte.

Schatten tanzten hinter der schon lange nicht mehr geputzten bunten Glastür, als sie ihre Finger um die Klinke schloss und in das dunkle Herz der Verbrecherszene dieser Stadt trat. Zigarettenrauch hing dick wie Nebel in der Luft, vermischte sich mit angetrunkenem Gelächter, den metallischen Melodien der Spielautomaten und stieg mit dem Gestank nach billigem Alkohol vermischt zur kuppelförmigen Decke hinauf. So manches Augenpaar wandte sich dem Neuankömmling zu, der anscheinend noch im Regen draußen herumgestreunt war. In Anbetracht dessen, dass es relativ wenige so kleine, junge Frauen gab, die in sich in diesen Gefilden herumtrieben, war wohl selbst für die schon in der frühen Nacht benebelten Gehirne der anderen Clubs klar, dass der Schattenvogel heute am Boden unterwegs war. Vielleicht war es gar nicht schlecht für ihren Ruf, wenn Cress sich wieder einmal unter die Leute mischte.

Die Bar lag am anderen Ende des Raums und stach hell erleuchtet aus dem Chaos der zusammengewürfelten Einrichtung aus Plastikstühlen, geflickten Sofas und verschlissenen Sitzkissen, Stehtischen mit undefinierbaren Flecken und edlen, lackierten Kommoden mit Zigarettenlöchern hervor. Die Musik war so laut, dass Cress sich am liebsten die Hände auf die Ohren gepresst hätte.

SkythiefWhere stories live. Discover now