46 - Unheilige Gabe

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Die Schülerin der Hohen hatte Cress eine Anstellung in der Küche, ein stichfestes Alibi und Dienstbotenkleidung besorgt.

Sie war zu dem Schluss gekommen, dass Julians zwielichtige Verbündete keine direkte Gefahr darstellte und sich bis auf ironische Kommentare ziemlich zurückhielt.

May drehte einen schlichten Schlüssel im Schloss um.

„Bitteschön. Lass mich wissen, wenn du etwas brauchst." „Warte."

May war schon wieder im Begriff gewesen den Raum zu verlassen.

Durch ihren Kopf geisterten bereits die Pläne, die sie besorgen würde.

„Ich brauche Farben", meinte die Fremde langsam.

May legte den Kopf schief, schloss dann ganz langsam die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen.

Der Reißverschluss ihres Kleids drückte sich kalt in ihren Rücken.

„Farben?"

Sie musterte Cress, die über und über mit Farbe bedeckte Haut und ihre bemalten Haare.

„Du bist gar keine Gelbe."

Die Raumtemperatur schien um ein paar Grad zu fallen.

Sie hatte nichts im Palast zu suchen, wenn sie Rot oder Braun war.

Sie würde bestraft werden.

Vom hohen Orden, dem die öffentliche Rechtsprechung unterlag.

Nach den Regeln, die der Rat aufstellte.

„Was bist du? Rot oder Braun? Und was machst du im Palast?" Mays Stimme war scharf geworden, was sonst nie passierte.

„Jetzt hör' mir mal zu: Ich kenne dich seit ungefähr zehn Minuten und die einzigen Dinge, die ich über dich weiß sind dein Name, dass du die Schülerin der Hohen bist und mit Julian Alessandrini das System unterwanderst. Das ist nicht sehr vertrauenserweckend. Ich brauche Farbe. Das ist alles, was wichtig ist."

Kontaktlinsen.

Sie musste gefärbte Kontaktlinsen tragen, sonst würde sie ihre Augenfarbe verraten.

May ließ ihren Blick von den immer noch nackten Füßen der Tänzerin zu ihrem honiggelben, herausfordernden Blick wandern.

„An deiner Stelle würde ich schnellstens von hier verschwinden."

Cress legte den Kopf schief. „Darauf hätte ich ja fast selbst kommen können."

May gab sich keine Mühe ihre Missbilligung zu verschleiern. Die Fremde war schnippisch, selbstsicher und unfreundlich. Vielleicht musste man das heute sein, um im Palast zu überleben. Aber es nervte May.

Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht viel mit der Fremden zu tun haben würde.

~

Viele der Ordensmitglieder schlafwandelten.

In manchen Nächten waren die Gänge belebter als am Tag.

Die Wahrheitssteine waren das Zentrum der Macht des Ordens. Sie beeinflussten die Geister der Frauen und Männer, die über den Minen in einem Turm wohnten, der fast nur aus dem seltsamen Mineral bestand stark. Vor allem nachts.

Es war keine Magie.

Aber es gab auch keine stichfeste Erklärung, weder dafür, wieso der Großteil des Ordens schlafwandelte, noch, wieso May es nicht tat.

Als einzige.

Ihre Kopfschmerzen waren noch schlimmer geworden.

Wurde sie krank?

SkythiefWhere stories live. Discover now