26 - Gewitter

2.5K 296 19
                                    

„War jemand hier?", fragte sie die Kinder laut. Diese drückte sich vor dem Fenster aneinander. Noah presste einen flickenübersäten Teddybären an die Brust.

„Ob jemand hier war?!"

Cress Blick viel auf eine dunkle Verfärbung am Boden, die bis gerade unter dem Brett verborgen gewesen war. Blut. Sie drehte den Kopf, betrachtete den Abdruck dreier Finger an der Kante des Holzes.

„Gestern Nacht", sagte Gabriella eingeschüchtert, „war jemand hier. Ein Mann. Er hat uns gesagt, dass er uns nichts tun wird. Hat gesagt, dass er etwas reparieren muss."

Gabriella schluckte hörbar.

„Er hat gesagt, er kennt dich. Und, dass er auf dich wartet."

„Auf mich wartet?!",

Die Diebin war vollkommen perplex. Ihr Kopf ruckte herum, als Stimmen auf dem Gang ertönten. Menschen eilten vorbei. Cress Atem stockte, als sie den tiefen Bass des Kreuzbuben erkannte. Ihr Blick fiel auf die Kinder. Sie hatte keine Wahl. Sie musste die beiden mitnehmen, wenn sie erfahren wollte, was sie wussten, ohne dabei von den Clubs geschnappt zu werden. Cress zückte ihr Taschenmesser und löste ein weiteres Brett vom Boden. In einer einzigen, fließenden Bewegung zog sie die schwarze Tasche hervor, die sie in dem normalerweise unbewohnten Zimmer deponiert hatte. Das Ersatzwerkzeug, mit dem sie zur Not neue Drahtseildocks schaffen konnte und ein paar andere Dinge befanden sich darin. Doch die Schutzausrüstung würde nicht für sie alle reichen. Wieder krachte Donner über ihren Köpfen, so laut, dass die Scheiben klirrten.

„Wie gut seht ihr inzwischen wieder?", fragte sie Gabriella. Das Mädchen quietschte auf, als Cress ihr die schwere Jacke um die Schultern legte. Ihre Augen waren nur noch ganz leicht rosafarben.

„Nicht gut. Verschwommene Schatten", antwortete sie, während Cress ihre zweite Jacke zuzog. Das musste reichen. Noah bekam ihre Regenjacke und die Schutzbrille, während sie den Kindern erzählte, dass sie ruhig sein und mit ihr kommen mussten. Zwei Atemmasken hatte sie, für sich selbst musste sie auf dem Weg noch eine finden.

„Wieso?", Gabriellas Stimme klang ängstlich, „Was machst du mit uns?"

Cress spähte hinaus auf den menschenleeren Hof. Sie wusste nicht, was Marie tat, aber es schien alle Clubs in der näheren Umgebung von dort zu vertreiben.

„Es gibt sehr böse Menschen hier", sagte Cress, während sie das Gitter abschraubte und leise an die Wand lehnte, „Bis gerade waren wir hier sicher, aber jetzt müssen wir ganz schnell hier verschwinden. Und ihr kommt mit mir."

Sie zögerten, doch die Diebin agierte so entschieden, dass sie schon nach wenigen Momenten das erste Kind zur Feuerleiter hinauf hievte. Gabriella konnte klettern, auch wenn sie noch schwach war, doch Noah musste Cress auf die Schultern nehmen. Ein Glück, dass das Kind leicht war. Schwer atmend ohne den Schutz ihrer Maske und unter dem zusätzlichen Gewicht des Kindes, kletterte Cress bis in den zweiten Stock hinauf. Von dort aus konnten sie die Treppen nehmen. Als sie oben auf dem Dach standen und der Wind ihr die Haare um den Kopf wirbelte, hatte es zu regnen begonnen. Die Kinder duckten sich tiefer in ihre Jacken, als die Tropfen leise zischend auf den dichten Stoff trafen. Cress musste die Welt erst wieder gerade blinzeln, bevor sie sich die dritte Atemmaske, die sie auf dem Weg aufgeSammelt hatte, über Mund und Nase zog. Sie hatte selbst keinerlei Schutz gegen den Regen, der scharf riechend an ihren Oberarmen hinunter rann. Doch ihre Haut warf unerklärlicherweise keine Blasen, wie die der unglücklichen Jen. Schon in der Nacht des Cyborg Angriffs hätte Cress sich einen Regenbrand einfangen müssen. Nichts dergleichen war geschehen. Die Diebin nahm Noah auf den Rücken und schnallte Gabriella vor sich an die zweite Rolle. Sie konnte keines der Kinder alleine fliegen lassen, wenn sie nicht in der Lage waren, ihren Aufprall abzufedern, weil sie die Wände auf der anderen Seite des Abgrunds nicht kommen sahen. Cress konnte nur hoffen, dass ihre Seile dem zusätzlichen Gewicht standhalten würden. Während sie arbeitete, erklärte sie den Kleinen, was sie tat und immer wieder wieso sie leise sein mussten. Cress war klar, wie geradeheraus wahnsinnig ihr Vorhaben war. Das fliegen alleine war schon ein Risiko, aber mit zwei kleinen Kindern, um die sich erst vor ein paar Tagen sämtliche Gilden geschlagen hatten, durch die Straßen zu fliegen, war geradezu unmöglich.

SkythiefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt