77 - Geschlagen

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„Wieso gibst du dir überhaupt solche Mühe, wenn du uns sowieso alle töten willst? Wenn der König oder sein Erbe leben, kann man schlecht eine Diktatur aufbauen, habe ich Recht?", fragte er.

Sie hatten die grünen Wachen abgezogen, weil er viele Freunde unter ihnen hatte.

Sie hatten die Adligen von ihm ferngehalten.

Sie wollten, dass er allein war, denn allein war er weniger gefährlich. Dabei hatte er selbst noch gar keine Ahnung, wie gefährlich er eigentlich war.

"Dich töten?"

Dominique kam auf ihn zu, die Zunge schwer von Spott.

"Das ergibt in deinem hübschen Kopf doch hoffentlich keinen Sinn, sonst bist du um einiges dümmer als ich gedacht habe."

Sein Blick verkeilte sich in den seiner Schwester.

Ozeane und Pech, Himmel und Öl. Und da verstand er.

Die letzte, große Piñata platzte über seinem Kopf auf und überschüttete ihn nicht mit Süßigkeiten und Glitzer, sondern Entsetzen.

Er hatte es nicht wahrhaben wollen.

Er zitterte.

Teils vor Wut, teils vor Verzweiflung, vor Hass und Verrat.

Die Hilflosigkeit war das schlimmste von allem.

Das Kartenhaus, das er aufgebaut hatte, war in sich zusammengefallen und jetzt stand er vor einem Trümmerhaufen.

Er sagte nichts, als die Ordensdamen hereinkamen, er tat nichts, als sie Skalpelle und die Liege brachten.

"Wir werden dir einen winzigen Wahrheitsstein einsetzen, mein Großer. Sodass ich dich im Auge behalten kann und du uns nicht in die Quere kommst. Du wirst nicht sterben. Aber du wirst auch nicht mehr entscheiden können, was du tust, sagst oder denkst. Ist das nicht schön? Das macht das Leben so viel einfacher."

Ophelias Lächeln war verrutscht, während sie Dominiques Worten lauschte. Aber sie war zu klug, um etwas zu sagen. Sie kannte den Plan und dieser Teil gefiel ihr anscheinend noch weniger als der Teil, in dem sie einen Massenmord begingen.

Julian stand da wie eine Statue, den Blick auf die Stadt hinter den Silhouetten der beiden Monster in Menschengestalt gerichtet, die durch die Pelze wilder Tiere wahrscheinlich mehr von ihren wahren Wesen zeigten als je zuvor.

Seine Knöchel traten weiß hervor, so fest hatte er sie um das steinerne Geländer geklammert.

Miaserus atmete immer noch schwer, seine Augen waren flehentlich auf Julian fixiert.

Er musste nicht einmal hinsehen, um sich sicher zu sein.

„Weißt du, es macht das Leben aus, dass es manchmal nicht einfach ist. Der Tod ist ziemlich einfach. Und er ist manchmal eine Rettung."

Ein hauchfeines Stirnrunzeln erschien auf dem Gesicht seiner Schwester.

Aber Julian war schnell.

Der Dolch flog durch die Luft.

Und seine Schwester war einen Moment zu lange abgelenkt, sodass Miaserus die Waffe auffangen konnte. Stahl blitzte auf, der oberste Ratsherr stöhnte und seine Tochter quietschte vor Entsetzen.

Sein Blick verschränkte sich mit dem seines Sohnes.

Julian konnte das ‚Danke' nur von seinen Lippen ablesen.

Er hatte sich entschieden.

Denn jetzt war er der Einzige, der leiden musste.

Er senkte den Blick auf seine Schuhspitzen und fragte sich, ob er nicht eigentlich der Bösewicht in seiner Geschichte war.

SkythiefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt