21 - Ein Schimmer

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Was hatte sie im roten Bezirk zu suchen?
Was wollte sie von diesem Wissenschaftler?

Vollkommen gefesselt starrte Cress hinunter auf die Szene.
Die Blaue war auf eine andere Weise schön, als es die hübschen Mädchen im Außenbezirk waren. Sie war groß und schlank, mit perfekten Proportionen und dickem, gesunden, sattblauen Haar. Nicht nur ihr Körper, auch ihre Kleidung und ihr Schmuck standen in perfekter Harmonie miteinander. Sie trug blauen Taft, der nur ein paar Schattierungen dunkler war, als ihr Haar, und eine auffällige Libellenbrosche auf der Brust, über die sie mit ihren langen Fingernägeln fuhr.
Diese Frau war geschaffen worden, um zu herrschen, nicht um zu gefallen. Sie könnte Cresss zwischen ihren perfekt manikürten Fingern zerquetschen, wie eine bedeutungslose Ameise, wenn ihr danach stand. Dafür müsste sie nicht einmal einen Finger rühren. Ein einziger Befehl, gesprochen von diesen makellosen Lippen, wäre genug, um das Leben eines Farblosen zu beenden.

Er hatte Papiere über den Schreibtisch ausgebreitet, einen Stift aus der Tasche gezogen und deutete auf irgendetwas.
Sie drehte das Blatt zu sich um.

"Was für ein Schwachsinn", knurrte sie.

Die Adlige nahm dem Wissenschaftler den Stift ab und zeichnete irgendetwas ein. Ihre Stimme klang so unwahrscheinlich normal. Nicht übermenschlich, nicht giftig und arrogant, wie Cress es erwartet hatte, nur gestresst.

"Seid Ihr wirklich sicher, dass Ihr hier der Experte seid?", schnappte sie.

Er lehnte sich über den Plan, schwieg einige Momente und sah dann wieder zu ihr auf.

"Das ist unmöglich."

"Nein, ist es nicht", entgegnete sie entschieden.

Der viel ältere Mann starrte auf das Papier.

"Ich soll das bis Samhain ändern?", fragte er tonlos, doch sie erwiderte nichts.

"Das wird niemals funktionieren."

"Dann macht es möglich", war die lakonische Antwort der Adligen, die immer noch mit dem Rücken zu Cress stand.
Ihre Stimme war kühl wie frischer Schnee und schmeichelnd wie eine Sommerbrise zugleich.
Der Rote starrte auf die Tischplatte.

"Warum tut ihr mir das an?", fragte er dann erstickt. Cress lief ein Schauer über den Rücken. Wovon sprachen die beiden?

"Ich tue Euch gar nichts an. Euch brauchen wir schließlich."

Schlanke Finger tätschelten Knorrige. Die Diebin hob die Augenbrauen. Der Unterton, den die Blaue in die süßlichen Worte streute, war nicht zu überhören.
Sie würden nicht ihm Leid zufügen, sondern seiner Frau, seinen Kindern oder sonst jemandem, der ihm nahestand und dem Adel als Roter ausgeliefert war.

Was für ein durchtriebenes Miststück, dachte Cress, sitzt hier in blauem Samt und hat das Leben dieses Mannes vollkommen in der Hand.

Cress konnte sehen, wie der Rote schwer schluckte. Es gefiel ihm nicht, dass er von ihr herumkommandiert wurde, schließlich war sie jung und eine Frau. Wäre kein blaues Blut durch ihre Adern geflossen, hätte er sie wahrscheinlich einfach aus seinem Arbeitszimmer geworfen.

"Ihr wisst nicht, was ihr da in Bewegung bringt."

Seine eindringliche Stimme war so leise, dass Cress die Worte kaum verstand.

"Nehmt es Euch nicht heraus, mich anzuzweifeln. Ich habe es nicht nötig, mich vor Euch zu rechtfertigen", kam es ohne das geringste Zögern zurück.

"Nein. Nicht vor mir."

Ihre flache Hand landete auf dem Tisch, eine energische Geste, aber weit davon entfernt, die Beherrschung zu verlieren.

"Samhain. Und gnaden Euch die Sterne, wenn ihr versagt."

SkythiefWhere stories live. Discover now