63 - Salz

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May fühlte sich zur Abwechslung einmal ausgeglichen. Sie hatte frisch geduscht, ihre Haare ordentlich zurückgesteckt und war auf dem Weg zu einem Brunch mit ihrer Familie. Rya hatte ihr einen Tag frei gegeben, hauptsächlich, weil sie am vorigen Tag nicht einmal oder zweimal, nein, sondern geschlagene drei Mal in Ohnmacht gefallen war, weil sie zu wenig Zeit zum Essen und Schlafen in ihren Tagesablauf eingeplant hatte. Obwohl der Himmel düster und wolkenverhangen war, war sie ungewöhnlich vergnügt. Die Schnittwunden an ihren Armen waren inzwischen so gut wie verheilt. Es war einer der guten Tage, einer an denen sie sich nicht bei jedem Roten, der auf den Gängen vorüberging einbildete, Rick wäre zurückgekehrt.

Aber als sie den Raum betrat, bemerkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Ihre Mutter lächelte nicht wie gewöhnlich, sondern hatte schwere Schatten unter den Augen.

Ascob fehlte. Er war nie unpünktlich.

„May. Setz' dich."

Was war nur passiert?

May konnte nicht verhindern, dass Angst in ihr hochstieg, als sie sich neben ihrer Mutter niederließ. Cesias Augen waren rot geädert, als hätte sie geweint.

„Mum", flüsterte May entrückt und griff nach der Hand ihrer Mutter, „Mum, was ist los? Wo ist Ascob?"

Cesia sammelte sich.

„May, Schatz", ihre Stimme brach, „Gestern Nacht gab es ein Feuer in den Süd-Ställen."

Das Wiehern war also gar kein Traum gewesen. Verständnislos drückte May die Hand ihrer Mutter noch fester.

„Machst du dir Sorgen, um deine Stute? Ist Arcanis etwas passiert? Den Stalljungen?"

Mays Mutter begann zu weinen. Das Tischtuch fing ihre Tränen auf, während May sich vor ihr hinkniete und ihr Gesicht in die Hände nahm.

„Mum, schon gut. Alles wird gut", flüsterte May, kurz davor, selbst in Tränen auszubrechen. Es war nie einfach, seine Eltern weinen zu sehen. Sie hatte Angst davor, zu verstehen, was ihre Mutter so am Boden zerstört hatte. Aber sie musste es trotzdem.

Cesia Silencia hob das von unendlicher Pein gezeichnete Gesicht zu ihrem jüngsten Kind. Ihre Stimme klang nicht wie ihre eigene, als sie sagte:

„May, dein Bruder war gestern dort. Er hat das Feuer nicht überlebt."

SkythiefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt