83 - Flucht

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Renées Blick suchte den seinen.

„Ihr seid immun gegen das Gas."

„Ihr wisst davon?"

„Ja. Inzwischen sollte es fast die ganze Stadt eingenommen haben."

Ganz kurz schweifte ihre Konzentration ab.

„Hoffentlich erwischt es das Farblose Miststück, das uns durch die Lappen gegangen ist."

Er packte ihre Unterarme vor Schock so fest, dass sie aufschrie.

„Was?!"

Er hatte sich so daran geklammert, dass zumindest Cress in Sicherheit war.
Dass er zumindest eine Sache richtig gemacht hatte.
Geschockt erwiderte sie seinen Blick.

„Du wusstest es", keuchte Renée entsetzt, „Du wusstest, dass seine Exiladlige farblos war."

Jedes Feuer, das in seinem Blut gebrannt hatte, erstarb.
Julian ließ ihre Arme los, wirbelte zu May herum.
Sein Blick war gehetzt geworden. Wild.
Es war zu viel, was da alles über ihn hereinbrach.

„Sie ist keine Bürgerin. Wenn wir sie nicht finden, stirbt sie."

Mays Blick blieb unbewegt, während sich in Julian erneut eine so überwältigende Hitze aufbaute, dass er meinte, zu verbrennen.
Er hielt das nicht mehr aus.
Der Mund seiner Verlobten stand offen, während sie seine Reaktion beobachtete. Verrat zeichnete sich auf ihren Zügen ab.

„Wir müssen in den farblosen Bezirk.", die Blicke der grünen Soldaten lagen schwer auf ihm.

Ein General, für den sie gekämpft hatten.
Ein General, der sie jetzt im Stich lassen würde.

„Warte, was?", fragte Renée heftig, aber May nickte nur.

Sie trug keine ihrer Masken, jede Emotion war klar von ihrem Gesicht ablesbar.

„Renée, vertraust du mir?", fragte er. Sie starrte ihn an. „Vertraust du mir?!", wiederholte er, heftiger.

Sie nickte.
Und der Schock über die Rücksichtslosigkeit in den Augen von Miaserus Sohn, der Schock über diese ganze Situation, wurde jetzt doch hinter eine Mauer zurückgedrängt. Denn bevor sie eine Adelige, seine Braut und Lady war, war sie vor allem eines: Eine Soldatin.

„Flieh an die Außenmauer. Sorge dafür, dass sie alle mit uns marschieren."

Blaue Augen suchten blaue Augen. „Sie wird dich bekommen, wenn du hierbleibst."

Er ließ seinen Blick für eine Sekunde aus dem Fenster schweifen, hinaus über die nächtliche Stadt, bevor er mit einem „Los!" die Treppen hinunter stürmte.

May links von ihm, das Gesicht schmerzverzerrt und gestützt von Lukas, der sie nach ein paar Schritten kompromisslos hochhob.

Renée rechts von ihm, augenscheinlich unverletzt und mit steinhartem, wunderschönem Gesicht.

Seine Stimme wurde leise, wie ein Wintermorgen:
„Ich könnte es alles nehmen. Ich müsste nur die Hand ausstrecken und ich könnte es alles nehmen."

Sein Atem war viel zu schnell, seine Schritte zu laut.
Er war kurz davor sich in ein Inferno zu verwandeln.

„Schau mich an."

Die Stimme seiner Verlobten rief Erinnerungen an die sabotierte Hochzeit wach.
Was war das für ein Kinderstreich gewesen, im Gegensatz zu dieser Flucht?
Über ihrer perfekt gezupften Augenbraue zuckte ein Nerv.
Und er schaute sie an, zumindest kurz.
Das bisschen Halt, das sie ihm gab, hielt ihn auf den Beinen.

SkythiefWhere stories live. Discover now