27 - Pläne

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Eine Stunde später saßen sie alle mit Tonbechern, in denen mit Milch gemischter Tee abkühlte auf den Sitzsäcken in Katenas Zimmer. Cress hatte ihr alles erzählt, immer wieder unterbrochen von den Fragen der Kinder. Kat und die jungen Geister hatten sich erst ziemlich misstrauisch gegenübergestanden, aber inzwischen war Noah mit dem Kopf dem Schoß der Blonden eingeschlafen. Diese strich ihm zärtlich das Haar aus der Stirn.. Es war so viel besser Gabriella bei jemandem zu sehen, dem Cress vertraute, so weit weg von den Clubs wie möglich.

„Du brauchst das Schwert. Wenn er es so sehr will, dann lässt er dich wahrscheinlich in Ruhe, wenn du es ihm einfach übergibst", empfahl sie leise, um die kleinen Geister nicht zu wecken.

„Was sollte ihn davon abhalten mich einfach zu töten, weil ich seiner Meinung nach zu spät bin?", seufzte Cress.

Kats Lippen wurden schmal.

„Das ist nicht lustig."

„Das meine ich auch nicht lustig."

„Bei dem Geld, das er ausgegeben hat, um dich bei noch nicht einmal zwei Stunden Verspätung zu finden und wenn du sagst, dass er ein Adliger ist ... dann hat er genug davon, um Diamonds, Clubs, Spades und – die Sterne mögen es verhindern – die Hearts auf dich anzusetzen. Er kann dich für den Rest deines Lebens von jedem einzelnen, gierigen, hungrigen Farblosen jagen zu lassen."

Cress starrte auf ihren Tee, während die schonungslosen Worte zu ihr durchdrangen, wie durch dicken Filz. Beim Gedanken an Nanas Assassinen lief es der Diebin eiskalt den Rücken hinunter. Wenn die Summe stimmte, würde Siva Shkarah nächstes Mal nicht mehr davon absehen, sie von einem Hochhaus zu werfen. Doch so ungeheuerlich die Situation war, der scheinbar einzige Ausweg war noch um einiges schlimmer. Ich warte auf dich. Sie rüttelte Gabriella sanft an der Schulter, die gähnend erwachte. Kat murmelte etwas missbilligendes, doch Cress ließ sich davon nicht abhalten.

„Der Mann, der in Eurem Zimmer war", fragte sie die Kleine, „was genau hat er gesagt?"

Der junge Geist richtete sich auf, schlang die Arme um die Knie.

„Er hat gesagt", die Kleine gähnte, „dass wir leise sein sollen, dass er uns nichts tut und sofort wieder weg ist." Sie rieb sich die wahrscheinlich immer noch stechend schmerzenden Augen.

„Und?", fragte Cress nach.

„Lass sie sich ausruhen", bat Kat.

„Sagt dem Schattenvogel, dass ich auf ihn warte", zitierte Gabriella, „Ich denke er weiß, wo er mich finden kann."

Cress biss die Zähne zusammen, fing Katenas angsterfüllten Blick auf.

„Wer ist dieser Mann?"

Cress stellte ihre Tasse ab und lehnte sich im Halblicht der bunten Lampen zurück.

„Julian d'Alessandrini-Casanera."

Kats Mundwinkel zuckten, bevor sie in herzliches Gelächter ausbrach. Als Cress nicht mitlachte, verstummte sie. Unglauben trat auf ihr Gesicht.

„Ich muss in den Palast", stellte Cress dann ohne Umschweife fest, mehr zu sich selbst, als zu der stillen goldblonden Schönheit ihr gegenüber, die sogar aufgehört hatte vor und zurück zu wippen. Der entsetzte Blick, den Katena Cress zuwarf, ging dieser durch Mark und Bein.

„Das kann nicht dein Ernst sein!"

Schweigen breitete sich aus, nur unterbrochen von Noahs ruhigem Atem. Gabriella hatte sich in ihre Decken gekuschelt, nippte an ihrem Tee und lauschte jedem Wort. Die Wärme der Flammen in einer der runden, bunten Lampen spielte auf Cress Haut, doch sie fror trotzdem.

„Bist du wahnsinnig geworden?!", flüsterte Kat harsch. Ihre Fußkettchen schimmerten, als sie das Gewicht verlagerte.

„Du bist farblos, Cress. Farblose kommen nicht in die Stadt, geschweige denn in den Palast. Der Versuch alleine ist Selbstmord", wisperte sie, als hätte sie Angst, gehört zu werden, „Wenn du das auch nur in Erwägung ziehst, wäre es um einiges leichter, sich direkt der Herzdame zu Füßen zu legen."

Cress hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Die Diebin trat innerlich einen Schritt zurück und betrachtete die Idee, die in den letzten Stunden in ihrem Kopf entstanden war. Diese war mehr als beängstigend und gar nicht mehr fassbar mit dem Wort verrückt. In ihren wildesten Träumen könnte sie nicht hoffen, dass es funktionieren würde. Doch es war ihre einzige Chance.

„Das ist dein Ernst", stellte Kat fest, „Das kannst du nicht tun."

„Im schlimmsten Fall können die beiden hierbleiben, nicht wahr?", sprach Cress ihre Gedanken aus, „Sie tragen das Clubs Tattoo noch nicht."

Der geschockte Blick der blonden Frau wanderte zum schlafenden Gesicht des kleinen Geistes auf ihrem Schoß. Bei dem liebevollen Ausdruck, der auf ihre Züge trat, war Cress sicher, dass sie hier gut aufgehoben sein würde. Doch Kat schüttelte den Kopf.

„Du gehst nicht."

„Und wie ich gehe."

„Offensichtlicher kann man keine Falle stellen!"

Katena sah aus, als würde sie Cress anflehen, zu bleiben. Die beiden Frauen kannten sich jedoch schon lange genug, dass die Blonde bereits wusste, wie sinnlos es wäre, eine Entscheidung anzuzweifeln, sobald Cress diese getroffen hatte.

„Kann ich mich auf dich verlassen?", fragte die Diebin nur und erntete ein sachtes Nicken.

„Natürlich."

Einen Moment lang war es still. Cress stellte ihren Tonbecher auf den Boden, während Kat sagte: „Du weißt, zu wem du musst, wenn du in den Palast willst."

Cress Stimmung wurde noch düsterer.

Sie vergrub den Kopf in den Händen und atmete langsam aus. „Ich war da nicht mehr, seit ..." „Ich weiß. Glaub ja nicht, ich habe die Nacht vergessen, in der du blutig geschlagen und kaum fähig zu laufen bei mir aufgetaucht bist."

Cress schüttelte den Kopf.

„Das kann ich nicht machen."

„Ich weiß", Kat griff sanft nach Cress Handgelenken und zog ihre Hände weg, sodass sie der Diebin ins Gesicht sehen konnte.

„Ich habe keine Wahl, oder?", fragte diese rau.

Katena legte den Kopf schief.

„Man hat immer eine Wahl. Aber in deinem Fall würde ich sagen ist die eine Möglichkeit um einiges mehr zu empfehlen als die andere."

„Gejagt werden oder Jagen."

„Ja."

Sie stand auf.

„Bevor du ihm sagst, was du willst, lass ihn schwören, dass er dich nicht an den König verrät. Lass ihn mit seinem Blut über einem Caz Kristall schwören, dann kann er das Versprechen nicht brechen", meinte sie langsam.

Cress warf die Hände in die Luft.

„Zum Glück gibt es Wahrheitssteine ja im Farblosen Bezirk an jeder Ecke. Warte, vielleicht treibe ich einfach den Sarg der Hohen noch einmal auf."

Kat blinzelte die Diebin an. Sehr lange, während diese sie anstarrte, als hätte sie sich vor ihren Augen in die Hand geschnitten, um sternweißes Blut zu präsentieren.

„Nein", meinte Cress langsam. „Nein, nein, nein. Du willst mir nicht erzählen, dass du all die Jahre Caz Kristalle hier gehabt hast."

„Nur einen. Einen kleinen."

Schock nagelte die Diebin an ihrem Platz fest, was Kat nur mit einem federleichten Lächeln kommentierte.

„Nicht nur du hast deine Geheimnisse, Cress."

SkythiefWhere stories live. Discover now