6 - Sternenprediger

4.6K 408 44
                                    

Sie ließ die Tür ins Schloss fallen, verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich an das rot lackierte Holz und stemmte eine Fußsohle dagegen.

"Ich höre."

Er trug eine Plasmamaske. High Tec der Adligen, die niemand im Farblosen Bezirk je besitzen würde. Winzige Roboter erlaubten es, das Gesicht eines anderen Menschen einzuscannen, und gaben dieses wieder, sobald man sie sich auf die eigene Haut strich.
Ihr Mund wurde trocken und sie leckte sich über die Lippen, während der Fremde seinen gefärbten Blick an ihr hinauf wandern ließ.

"Ihr seid seit langem der erste Mensch, der es schafft mich zu überraschen."

Eine behandschuhte Hand legte sich um den Bettpfosten, mit der er ihr leicht das Genick brechen könnte.

"Der Schattenvogel stahl den Sarg der Hohen. Alleine, eine Tonne massiven Caz Kristall aus dem Herzen der Stadt, direkt unter der Nase des hohen Ordens. Und hier stehe ich in einem Raum mit Euch."

Ihre Lippen verzogen sich zu einem winzigen, bösen Lächeln.

"Ich hatte mir euch Kernleute auch hübscher vorgestellt."

Sein Kiefer verkrampfte minimal und ihr Grinsen wurde noch breiter. Entweder war er eitel, oder hatte nicht erwartet, dass sie seine Verkleidung durchschaute.

"Was wollt Ihr haben?", fragte sie dann und warf einen immer noch scheinbar gelangweilten Blick auf ihre kaputten Fingernägel, obwohl ihr Puls sich kaum verlangsamt hatte seitdem er sich neben ihr an die Bar gelehnt hatte.

Der Schatten stand mit einem Adligen im Raum, einem General oder Prinz, der sich dazu herablassen musste, in den Geisterbezirk herunterzusteigen, nur um mit ihr zu reden.

Große, geheime Dinge mussten im Kern der Stadt passieren, von denen man in den farblosen Bezirken überhaupt nichts wusste.

Die Atemmaske an seinem Gürtel schlug gegen sein Bein, als er ein paar Schritte machte, um den Raum unter die Lupe zu nehmen und nach eventuellen Mithörern Ausschau zu halten.

„Wie hellhörig sind diese Wände?", fragte der Adlige.

„Taub genug, solange ich mit Euch rede."

Er hielt an der gegenüberliegenden Wand inne und klopfte dagegen, bevor er sich zufriedengab. Was wollte er auch tun, umgeben von Gesetzlosen, die sich nicht um den König und seine Gerichte scherten?

"Ihr seid die Dritte, die ich beauftrage. Noch eine Enttäuschung käme sehr ungelegen."

Die Diebin hob den Blick und starrte ihm in die falschen Augen.

Er musste es für Kränkung halten, weil sie nicht seine erste Wahl gewesen war. Doch bei allem rechtmäßigen Selbstbewusstsein war das verständlich. Cress war nicht leicht zu finden und ihre Dienste seit sie für die Clubs arbeitete teurer, als es sich die meisten Farblosen erträumen konnten. Nichtsdestotrotz sackte ihre Stimmung in ein schwarzes Loch ab. Denn Cress konnte sich denken, wer die drei anderen Beauftragten gewesen waren. Judy Coster, Lynwood Crawford und Owen Zentija. Zwei Diebe der Diamonds und ein Assassine der Hearts.

Alle drei waren vor kurzem kurz nacheinander zu riskanten Aufträgen in die letzte Stadt geschickt worden. Die beiden Diamonds hatte seitdem keine Seele mehr zu Gesicht bekommen und Owen würde in Kürze öffentlich hingerichtet werden.

Eiserne Klauen kratzten an Cress Herz entlang, dunkle Wut glühte darin, obwohl sie wusste, wie sinnlos ihr Zorn war.

Alle drei Beauftragten hatten gewusst, worauf sie sich einließen. Trotzdem wäre sie am liebsten aus dem Raum gejagt oder dem Fremden an die Kehle gegangen. Dieser Adlige war der Grund, wieso die Herzdame Owen in die Stadt geschickt hatte. Abscheu und mildes Interesse vermischten sich in Cress Innerem. Was konnte es sein, das die Anführerin der Hearts dazu brachte, ihren besten Assassinen zu einer so risikoreichen Mission auszusenden? Was wollte dieser Mann so unbedingt haben, dass er hier vor ihr stand?

SkythiefWhere stories live. Discover now