29 - Ein Tanz

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Die Hohe und Miaserus trafen sich in der Mitte des Tischs, sie hakte sich bei ihm unter und das Streichquartett begann einen Walzer zu spielen. Die Ordensmitglieder und der Adel warfen sich seltsam berührte Blicke zu.
Erwartete man von ihnen, dass sie gemischte Paar bildeten?
May biss sich auf die Lippe uns starrte zu Boden. Sie dankte den Sternen dafür, dass Rya Hora ihre Pflichten über ihre eigenen Präferenzen stellte, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie sehr sie diese Frau doch bewunderte. Sie übernahm so viel Verantwortung, ohne auch nur einen Moment unter ihr zu ächzen, trat für das ein woran sie glaubte und schreckte keine Sekunde davor zurück, dem König und seinen Adligen die Stirn zu bieten.

Die Wut über Ascob köchelte immer noch in ihr, wurde aber von den Gedanken an ihre Mentorin etwas gedämpft und verblasste zu Rauch und Wasserdampf, als sie über den Tisch hinweg die eisigen Augen des Kronprinzen traf. Nur für eine Sekunde, was jedoch bereits ausreichte. May starrte auf ihre Schuhe und begann zu allen Göttern zu beten, während sich die getrennten Formationen des Adels und des Ordens langsam auflösten. Sie versprach, doppelt so viel zu lernen, sich wieder mit ihrem Bruder zu vertragen und insgesamt ein besserer Mensch zu werden, wenn man sie jetzt einfach mit ihrem Bruder tanzen ließ. Doch an diesem Abend erhörten die Sterne ihre Gebete nicht.

Wie die dunklen Wolken eines Sommersturms wirkte der Kronprinz mit jedem Schritt, den er sich ihr näherte, bedrohlicher. Sie wandte sich ab, um überaus betont nach einer Champagnerflöte zu greifen.
Es half nichts.
Jemand räusperte sich hinter ihr.
Die Augen anklagend zum Himmel erhoben und mit eiskalten Händen wandte sie sich zu Julian Alessandrini-Casanera um. Sie hoffte, dass man ihr ihre Panik nicht ansah. Er war so groß, dass sie auf Augenhöhe waren, obwohl May sonst viele Menschen überragte. Aus der Nähe konnte sie die Schatten sehen, die sich unter seinen Augen eingegraben hatten. Was ihn aber nicht weniger attraktiv oder angsteinflößend machte. Seine Lippen verzogen sich zu der Andeutung eines höhnischen Lächelns, dem seines Vaters nicht ganz unähnlich, während er elegant eine halbe Verbeugung machte und fragte: „Darf ich bitten?"

Panik schnürte ihr die Kehle zu.
Sie wollte ihre Röcke zusammenraffen und aus dem Saal fliehen. Hilfesuchend warf sie ihrem Bruder einen kurzen Blick zu, der sich neben ihr aufgebaut hatte, aber keine Anstalten machte, sie unter einem Vorwand aus der Gefahrenzone zu schleusen.
Der Kronprinz und der älteste Sohn des Silencia Clans musterten sich, aber während Ascobs Blick geradeheraus feindselig war, versüßte immer noch dieses sanfte Lächeln die herausfordernden Blicke des Alessandrini Erben.
May schluckte schwer. Wenn sie gerade keine Zuschauer hätten, würden sich die beiden jungen Männer wahrscheinlich einfach an die Kehle gehen. Fast wie zwei Tiere, die sich um ihr Revier stritten. Der Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht.

„Findet Ihr das nicht ein bisschen unhöflich?", fragte Mays Bruder mit einem Blick, der Stein schneiden könnte. Er verzichtete geflissentlich auf den formellen Titel.

„Was genau, Verehrtester?", erwiderte der Kronprinz, der anscheinend Gefallen an diesem Kräftemessen zu finden schien und beiläufig einen missbilligenden Blick zu dem Geigensolisten hinüberwarf, der gerade eine unsaubere Note gespielt hatte.

„Falls es Euch stört, dass ich Eure herzallerliebste Schwester zum Tanz auffordere, ohne Euch um Erlaubnis zu bitten, dann bin ich so frei, darauf hinzuweisen, dass sie die einzige Person ist, deren Einwilligung ich dafür brauche. Euer Einverständnis ist also unnötig", seine Aufmerksamkeit glitt zurück zu Mays Bruder.
„Außer natürlich, Ihr wollt mit mir einen Walzer tanzen, Ascob Silencia. Jederzeit. Ich führe."

Eine Ader auf Ascobs Stirn hatte bedrohlich zu pulsieren begonnen. Das unverschämte Grinsen des Alessandrini Erben verriet, dass er sehr wohl wusste, in welchem Wespennest er da herumstocherte. Nicht viele Menschen würden es mit so wenigen Sätzen schaffen, Ascob so in Rage zu bringen, dass May fürchtete, er könne jeden Moment explodieren. Um das zu verhindern, streckte sie dem Kronprinzen eine zitternde Hand entgegen. Er blinzelte, als hätte er schon fast vergessen, dass sie auch noch da war.

SkythiefWhere stories live. Discover now