74 - Marionetten

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Das erste, was Julian bemerkte, waren die Wachposten.

Es waren keine Grünen mehr, von denen er die meisten persönlich kannte, sondern die Frostgardisten seines Vaters, die die Gänge flankierten. Er wurde so misstrauisch, dass er Ophelia nur noch mit halbem Ohr zuhörte und dementsprechend einsilbige Antworten gab.

Hatte sein Vater sie angeworben, um ihn aufzusammeln? Würde er jetzt seine Strafe für seinen neusten Auftritt bekommen? Oder ... hatten sie Cress erwischt und zum Reden gebracht? Allein bei dem Gedanken wurde sein Atem gehetzt und er ballte die Hände zu Fäusten. Sie war vielleicht arrogant, waghalsig und impulsiv, aber das hätte sie nicht verdient. Hoffentlich war sie davongekommen. Hoffentlich war sie ganz weit weg von diesem Wahnsinn.

Er hatte eine Vermutung und betete, dass diese unbestätigt bleiben würde.

Als sie eine weitere Treppe hinaufstiegen und um eine Ecke bogen, war allerdings endgültig klar, dass sie ihn in die zwei Türme bringen würde.

Einem Ort, an dem Julian keine Macht hatte.

Prickelnde Kälte kroch seinen Rücken hinunter.

Ophelia brachte ihn in die zwei Türme.

Er begegnete ihrem Blick so neutral wie möglich, versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er ihr Gehabe schon lange durchschaut hatte.

Der blutrote Mund seiner Begleitung klappte auf, als wollte sie ihn einfach auffressen, aber sie sagte nur: „Die Kräfte deiner Schwester sind bereits erwacht. Sie würde sich sehr darüber freuen, mit dir zu feiern."

Sie garnierte den blumig formulierten Befehl seiner Schwester mit einem Lächeln.

Julian lächelte zurück, obwohl er am liebsten geschrien hätte.

Seine Schwester. Miaserus hatte sie klein gehalten, schnell verheiratet und dann völlig verdrängt, dass er eine Tochter hatte. Er hatte schon lange darauf gewartet, dass sie explodierte. Die brave, anständige Dominique hatte nicht vor ihm verstecken können, dass sie im Inneren brodelte wie ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen konnte. Hoffentlich würde ihr Vater sich angesichts der Macht, die seine Älteste nun besaß, kleinlaut verdrücken.

Er würde ihr den Triumph gönnen. Ihn mit ihr genießen.

Trotzdem nahmen Julians Gedanken, die eigentlich immer fokussiert und geradlinig verliefen, heute immer wieder scharfe Kurven.

Er musste hier schnellstens wieder raus, um nach Cress zu suchen.

Wenn sie in Schwierigkeiten war, konnte er sie vielleicht noch einmal herausboxen.

Seine Brust zog sich unwillig zusammen.

"Ich würde gerne, aber ich bin anderweitig eingeplant", setzte er an, wusste aber, dass er keine Chance hatte.

„Deine Termine für heute hat sie absagen lassen. Ist das nicht nett? Und es ist auch keine große Feier", sie warf ihm einen frostig blauen Blick zu, der bei all der Mühe, die sie sich gab, immer noch nicht warm und sanft wurde, „Nur im Kreis der Familie."

Er strich sich das Haar aus der Stirn. Immerhin, wenn seine Familie und damit auch die Hohe in einem Raum waren und feierten, dann konnte immerhin niemand Cress den Prozess machen, falls sie geschnappt worden war. Aber das hieß nicht, dass er deswegen mehr Lust darauf hatte. Julian seufzte.

„Also schön. Fünf Minuten. Ich bin wirklich gestresst."

Ophelia begann so breit zu lächeln, als hätte man die Mondsichel vom Firmament gepflückt und ihr diese anstelle von Zähnen in den Kopf gerammt. Der rote Lippenstift ließ selbige förmlich leuchten. Sie schaffte es, dass ihre Augen funkelten, als würde sie es ernst meinen.

SkythiefWhere stories live. Discover now