17 - Schlaflos

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Die Studenten der Universität des Kerns waren oft noch wach um diese Uhrzeit, meist um kurz vor den Deadlines noch Essays abzugeben. Zwar besuchten Blaue und Silberne die Universität zusammen, doch die Studenten der Adelshäuser und die des Ordens blieben außerhalb ihrer gemeinsamen Curricula in der Regel für sich. Die jungen blauen bezeichneten ihre silbernen Komillitonen als Spießer, da diese gemäß den Regeln des Ordens keinen Alkohol tranken oder sonstige Drogen konsumierten. Die Silbernen rümpften dagegen die Nase über das ausschweifende Leben der Blauen. Kein blauer Student hatte je den Fuß in den Gemeinschaftsraum der silbernen Studentenschaft gesetzt, der heute beinahe leer war. May war wenig überrascht, als sie die drei Menschen auf dem Sofa erkannte. Jade, die im Schneidersitz in einem Meer aus Textmarkern und dicken Büchen dasaß und auf ihren Kaffee pustete, lernte digitale Karteikarten auf ihrem Laptop. Ihr weißes, krauses Haar hatte sie zu einem wirklich sehr unordentlichen Dutt auf ihrem Kopf hochgesteckt, die kreisrunde, weiß gerahmte Brille hing etwas zu weit vorne auf ihrer Nase. Sie hatte den Kopf an Ascobs Schulter gelehnt, der anscheinend eingeschlafen war, während er auf die Rückkehr seiner Schwester wartete. Der dritte im Raum war kein Silberner, sondern ein Roter, der nervös auf und ab ging. Er dürfte gar nicht hier sein. May konnte förmlich sehen, wie es hinter der Stirn des drahtigen jungen Wissenschaftlers rumorte. Nick war der Erste, der sie bemerkte. Er hielt mitten in der Bewegung inne und hob den rubinroten Blick, um sie anzusehen.

„May", entfuhr es ihm erleichtert und er kam zu ihr herüber, blieb aber auf Abstand, als die Knochenschwestern hinter der Assistentin der Hohen eintraten, wie drei helle Geister, die sie heimsuchten. May biss sich auf die Zunge und senkte den Blick, als die hochgewachsenen Nocturnaschwestern in ihren strahlend weißen HighTec Rüstungen den Roten von Kopf bis Fuß abfällig musterten.

„Hast du dich verlaufen?", fragte Cheleste den hoch qualifizierten Plasmawissenschaftler, als würde sie mit einem kleinen Kind sprechen. Nick senkte den Blick, entschuldigte sich eilig und eilte an May vorbei aus dem Raum, aber nicht, ohne ihr noch einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Er wusste, dass er hier als Roter keinen Zutritt hatte. Wieso war er mitten in der Nacht hier? Aus dem gleichen Grund, wie Ascob und Jade? Cheleste starrte dem Roten noch einen Moment hinterher, bevor sie die Theologiestudentin und Mays Bruder grüßte. Keiner ergriff Partei für Nick, obwohl die beiden sich von seiner Anwesenheit nicht im Geringsten gestört gefühlt hatten. Die vielen leeren Flaschen, die im Regal hinter der Bar aufgereiht worden waren und durch die von hinten Licht viel, tauchten den Raum in buntes Licht.

"Kaffee irgendwer?", fragte Alcha, die wohl umgänglichste der Drillinge, in die Runde und gähnte hinter vorgehaltener Hand. May nickte dankbar, bevor sie sich neben ihren Bruder auf die Ledercouch sinken ließ. Schlafen lohnte sich ohnehin nicht mehr, denn in einer guten Stunde würde die Hohe den König vor Gericht stellen und jeder einzelne von ihnen würden während der Verhandlung anwesend sein oder diese zumindest auf einem Bildschirm verfolgen.

„Was ist passiert?", fragte Jade und setzte sich auf, um May aus müden Augen anzublinzeln.

„Rya hat die Fassung verloren", murmelte May, „Sie ist direkt zu Miaserus marschiert."

Ascob und seine Freundin tauschten einen unruhigen Blick.

„Du bist blass", stellte Mays Bruder sanft fest. Sie brummte nur etwas Unverständliches und zog ihr Tablet aus der Tasche, die sie auf dem Weg hierher aufgelesen hatte. Ascob war drei Jahre älter als sie, und würde nach seinem Abschluss in der Garde der Hohen arbeiten. Anstatt ihre Neigung zu den Geisteswissenschaften zu teilen, trainierte er mit den grünen Soldaten, um seinen Körper in Bestform zu halten. Er ließ sein Politikstudium mehr dahinplätschern, als sich wirklich damit zu befassen, was ihm schon einige hitzige Diskussionen mit May und den Eltern der beiden eingebracht hatte.

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