43 - Teegespräche

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Er klimperte noch einmal mit dem Löffel gegen seine Tasse, bevor er ihn auf dem Tisch ablegte.

Die Präzision in seinen Bewegungen war garantiert antrainiert.

Cress wog innerhalb eines Sekundenbruchteils ihre Chancen ab.

Es irritierte sie, dass er sie immer noch fragend anstarrte. Sie hatte es sich wohl nicht eingebildet, dass der Kronprinz ihr Tee angeboten hatte.

Cress blieb stumm.

„Mit oder ohne Zucker? Milch?", fragte Julian d'Alessandrini-Casanera weiter. Er wartete nicht auf ihre Antwort, bevor er einen Zuckerwürfel in das heiße Getränk rührte.

„Sehr schön, dass meine Einladung angekommen ist", lächelte der Kronprinz, bevor er ihr die Tasse entgegenhielt, „Wie schön, Euch kennenzulernen."

Stille folgte, nur unterbrochen von Klaviermusik und dem Knistern des Feuers. Cress verzog den Mund, als ihr aufging, was die wenigen Worte des Kronprinzen offenbarten. Er hatte ihr mit einer so dreisten Leichtigkeit diese Falle gestellt, dass es an eine Kunstform grenzte. Was hatte dieser Mann vor, den sie das letzte Mal schwer blutend unter Maries Händen gesehen hatte? Immer noch schwebte die Tasse zwischen ihnen.

„Nicht vergiftet", der Kronprinz blies einen Rauchkringel von dem feinen Porzellangefäß, bevor er einen Schluck nahm, um es ihr zu beweisen. Blaue Augen ruhten auf der Diebin, als diese misstrauisch die zwei Schritte zu ihm vortrat und die Tasse ergriff.

Zwei langsame Schritte rückwärts. Was bei den Sternen wollte er von ihr?

„Schön."

Der Sohn des Königs schlug die langen Beine übereinander, lächelte schmal.

„Jetzt, wo wir uns alle entspannt haben, können wir ein zivilisiertes Gespräch führen. Ich bin sicher du hast vergessen anzuklopfen."

Cress konnte nicht verhindern, dass ihre rechte Augenbraue um ein paar Millimeter in die Höhe wanderte. Ein verspieltes Funkeln hatte seine Augen in Besitz genommen. Es war unmöglich, dass er sie erkannt hatte.

Er warf einen Blick auf seine Uhr, „Wann auch immer Ihr bereit seid, meine Schöne. Ich gehöre die ganze Nacht nur Euch."

Cress zweite Augenbraue wanderte in schwindelerregende Höhen. Sein Lächeln war verführerisch, düster. Ihr Herz begann zu klopfen, als ihr aufging, dass er sie für eine echte Tänzerin halten musste. Er hatte eines von Federicys Mädchen erwartet. Es war unschwer zu erkennen, was er sich von dieser Nacht versprach. Ihre Brust wurde eng. Wie sollte sie es nur schaffen, sich aus dieser Situation wieder zu befreien? Der Sohn ihres Erzfeindes könnte innerhalb weniger Momente die Wachen, die sie so sorgfältig vermieden hatte, in das Zimmer rufen. Gänsehaut jagte ihren Rücken hinunter, als sie scheinbar zufällig den linken Träger ihres Kleids nach unten rutschen ließ. Sein Blick folgte dem dünnen Stoffstreifen. Cress war kurz davor, sich auch den zweiten Träger von der Schulter zu streifen, als der Kronprinz amüsiert schnaubte und sie innehielt. Er grinste in seinen Kaffee, als er sagte:

„Ich weiß, wer ihr seid."

„Lasst mich raten", sie streckte ihre Beine auf dem Sofa aus, „Ihr habt mich tanzen gesehen."

Sie senkte den Kopf, hatte die Finger bereits an den Knöpfen des Kleides, als er zum verbalen Schlag ausholte:

„Cress Cye, begnadete Diebin, zum Tode verurteilt, weil sie es irgendwie geschafft hat den Sarg der Hohen zu stehlen, ohne in der Luft zerrissen zu werden. Nie festgenommen, trotz aller Bemühungen des Ordens. Glaubst du wirklich, dass ich die Menschen vergesse, die mir das Leben retten?"

Er hatte wahrscheinlich den Dolch an ihrem Bein gesehen, genauso wie sie die altmodischen Degen über dem Kamin und das Messer in seinem Ärmel bemerkt hatte. Knapp außerhalb von Cress Reichweite schwang das Schwert des Wissenschaftlers in der Holzpuppe sanft hin und her. Auch den Zuckerlöffel behielt sie im Blick. Cress hatte genug mit Nanas Assassinen zu tun gehabt in den letzten Jahren, um Zuckerlöffel fürchten zu lernen.

Der Kronprinz versuchte gerade herauszufinden, ob sie ihn umbringen würde.
Er war klug und um einiges stärker als sie. Wer von ihnen in einem fairen Kampf, bei dem er nüchtern wäre und sie keine Drahtseile benutzen konnte, gewinnen würde, wusste sie nicht.

Die heiße Tasse war pure Folter für ihre ohnehin schweißnassen Hände.

Sie schwieg immer noch, wartete auf irgendeine weitere Demonstration seiner angeblichen Gleichgültigkeit. Doch es blieb still, zumindest bis er glorreich feststellte:

„Ihr habt Angst. Vor mir? Süß."

Genug.

„Ihr wisst, dass ich Eure Wachen unter Drogen gesetzt habe, damit Euch niemand schreien hört?", fragte Cress leise und hob den Blick von der trüben Flüssigkeit in ihrer Tasse, wie es eine Schlange getan hätte.

Er blinzelte nur träge wie eine gelangweilte Raubkatze.

„Das ist der aufregendste erste Satz, den ich seit langem von jemandem gehört habe."

Der Prinz beobachtete sie über die Teetasse, während er einen Schluck trank.
Sie hätte ihm am liebsten seine perfekte Nase gebrochen.
Sie kräuselte die Lippen.

„Schön, dass Ihr dieses Mal nicht ohnmächtig seid", knurrte sie.

Fragt sich, wie lange noch. Er ging nicht darauf ein.
Sie drehte sich nicht zu dem immer noch hin und her schaukelnden Schwert um, aber ihr Blick tanzte für einen Moment an der Wand entlang zu seinen anderen Schwertern.
Nur für eine Sekunde, aber das war lange genug.

Julian Alessandrini stellte das Glas ab. „Schön, oder? Knapp zweihundert Jahre alt. Und viel besser gearbeitet als dieser Zahnstocher", er deutete mit der Teetasse hinter sich.

Schon diese winzige Bewegung wirkte bedrohlich, auch wenn er immer noch diese alberne Papierkrone trug.
Sie taxierten sich, während er mit den schlanken Fingern, die er wahrscheinlich dem stundenlangen Spielen zu verdanken hatte, fast geräuschlos auf den Tisch trommelte.

„Du hast also keine Ahnung, was das ist? Soll ich es dir verraten?"

Ein Teekränzchen mit Geschichtslektion?

„Weißt du was, Cress Cye, ich glaube ich habe Lust noch ein Spiel mit dir zu spielen. Kein so Geschmackloses."

Ihr Kiefer verkrampfte sich. Jetzt bloß nichts Dummes sagen, ermahnte sich die Diebin.

Der Alessandrini Erbe hatte inzwischen genau die Ausstrahlung, die man bei einem Kronprinz erwarten konnte. Selbstbewusst, kühl und absolut entspannt. Verspielt.

Und das, obwohl er nur Sekunden zuvor rasend vor Wut auf eine Strohpuppe eingeschlagen hatte, nur Minuten zuvor von seinem Vater geschlagen worden war und knapp vor einer Stunde seine eigene Hochzeit ruiniert hatte.

„Wenn du gewinnst, dann kannst du den Zahnstocher haben. Wirklich, dir wird er wahrscheinlich viel besser stehen als mir. Wenn du verlierst ... dann überlege ich mir einen Preis."

Sie schnaubte. „Ihr habt es nicht nötig mit mir zu spielen."

Er zwinkerte ihr zu.

„Aber du hast es nötig mit mir zu spielen."

"Es wäre wahrscheinlich schlauer mich gleich aus dem Fenster zu stürzen", stellte sie ohne eine Spur Belustigung in der Stimme fest.

Julian d'Alessandrini-Casanera sah für einen Moment Richtung Fenster, sodass sein klar gezeichnetes Profil sich gegen die hellen Flammen abhob.

Das Haar fiel ihm ins Gesicht, als er eine Augenbraue hob.

„Ich gehe davon aus, dass ein Schattenvogel fliegen kann, Cress Cye, also ja, wahrscheinlich."

Er prostete ihr mit seiner Teetasse zu.

„Doch du musst zugeben: Das würde viel weniger Spaß machen."

SkythiefWhere stories live. Discover now