62 - Asche

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Als Julian zurück in die Suite trat, hatte die Diebin anscheinend seinen Dia Projektor gefunden. Sie starrte ein Meer aus gelben Blüten unter einem blauen Himmel an und drehte zuerst nicht einmal den Kopf, um ihn anzusehen. Das Bild wechselten zu einem Strand, an dem sich schäumende Wellen brachen. Schwer atmend, verschwitzt und mit rasendem Herzen ging er hinter ihr vorbei. Sein Kopf drehte sich. Er musste immer noch nach Rauch riechen, nach verbranntem Fleisch und geschmolzenen Knochen. Nach der Sünde, die ihm anhaftete wie Pech. Cress zuckte zusammen, als sie ihn bemerkte. Ihre Silhouette hob sich dunkel gegen das Bild des schäumenden Meeres ab. Sie musterte ihn in der Düsternis, die sie geschaffen hatte, um die Bilder einer längst vergangenen Welt besser sehen zu können. Das leise Surren des Diaprojektors war das einzige Geräusch in der Stille, während sie ihn ansah. Der Staub auf seiner Jacke, die Ascheflocken in seinen Haaren, das Zittern seiner Hände und die Blässe seines Gesichts innerhalb einer Sekunde wahrnahm.

"Was ist passiert?", fragte die Farblose langsam und ernst. Sie musste in ihrem Leben schon genug Mörder gesehen haben. Wer weiß, vielleicht sah sie ihm den Mord ja an. Auch ohne einen verräterischen Blutfleck oder ein verschmiertes Messer. Vielleicht konnte sie den Tod in dem Rauch riechen, der mit ihm ins Zimmer geweht war. Die Flammen sehen, die immer noch in seinem Inneren tanzten und irgendwann wieder hervorbrechen würden, blutrünstig wie ein ausgehungerter Löwe. Er hatte nicht einmal den Willen abzuwinken.

„Ich habe mich darum gekümmert", sagte er tonlos. Er hatte getötet. Diese Macht, die seit einer halben Ewigkeit in ihm schlief hatte ihn zu einem Mörder gemacht. Julian verstand nichts davon. Er war immer noch gefangen in seinem Schock. Aber mit Schmerzen kannte er sich aus, oder besser, wie man sie betäubte. Whiskey gluckerte in ein Glas, viel zu viel, aber das war ihm egal. Er hatte Ascob Silencia getötet. Ihn innerhalb einiger Wimpernschläge zu Asche zerfallen lassen. Das würde einen Krieg auslösen, einen Krieg, der die letzte Stadt und die ganze Welt entflammen würde. Er starrte ins Leere, während Übelkeit, Todesangst, Schuld und Unverständnis in ihm wüteten. Was hatte er nur getan? Wie hatte so etwas je passieren können? Er hatte ihn gut versteckt, hatte die Asche unter jahrhundertealten Steinen verborgen. Aber wenn es doch jemand herausfand, wenn jemand sie gesehen hatte oder zweimal darüber nachdachte, mit wem der Silencia Erbe zuletzt gesprochen hatte. Er stürzte den Whiskey hinunter und warf einen Blick auf die Uhr. Er musste Vorkehrungen treffen. Musste diese Starre loswerden und dafür sorgen, dass sich das hier nicht zu noch einer größeren Katastrophe entwickelte. Aber er wollte sich nicht bewegen, sondern am liebsten tot umfallen. Verbrennen und durch das offene Fenster davon wehen. Die Diebin lehnte inmitten ihres Meeres an der Wand, den Kopf schräg gelegt und die Arme vor der Brust verschränkt. Wellenreflexe tanzten über ihre feinen Züge. Obwohl ihre Stirn gerunzelt und ihr Blick ernst war, sagte sie kein Wort. Er stieß sich von dem Tisch ab und stakste ins Nebenzimmer. Weg von ihren prüfenden Blicken, weg von allen und jedem. Ascob Silencia war einer der schlimmsten Menschen gewesen, die er gekannt hatte. Er war gierig, gewalttätig und verboten leicht zu manipulieren. Aber dieses Ende hatte er nicht verdient. Er ließ sich auf das Bett sinken, die gefalteten Hände an die Lippen gepresst. Von Funken durchjagte Dunkelheit füllte seinen Kopf. Er war ein Mörder. Zwei seiner Kätzchen hüpften auf das Bett. Leicht, weich und warm kuschelten sie sich an ihn, tapsten über seine Brust und stupsten ihn an. Fast als ob sie prüfen wollten, ob er noch lebte. Und leider tat er das. Julian richtete sich wieder auf, zitternd und völlig am Ende, zwei schwarze Katzen im Arm. Wie hatte das nur passieren können? Die Diebin lehnte im Türrahmen, dunkel wie seine Gedanken. Er wusste nicht, was sie von ihm wollte, warum sie ihn nicht einfach alleine ließ. Er könnte einfach gehen. Aber wohin? Zu Ana? Zu Lucas? Zu seiner Schwester? Ein winziges, bitteres Lachen entwischte ihm. Er war alleine. Und er hatte es verdient alleine zu sein. Julian stand auf, ignorierte die stumm im Türrahmen stehende Cress und ging ins Bad. Er wusch sich dreimal die Hände, bevor er sich auszog und unter die Dusche stieg. Aber er konnte das Feuer nicht löschen, das in ihm loderte. Doch er würde alles dafür tun, dass nie wieder jemand dadurch zu Schaden kam, auch wenn es bedeutete, dass er verbrennen würde.

SkythiefWhere stories live. Discover now