28 - Wein und böse Blicke

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Wenn es etwas gab, das May noch mehr hasste als illegale Hinrichtungen, dann waren es die Bankette, die diese illegalen Hinrichtungen wieder gut machen sollten. Denn die Stimmung war, wenn das denn möglich war, noch schlechter. Zwischen Kristalllüstern, Silberbesteck und Kerzenschein warfen sich die Ordensdamen auf der einen Seite des Tischs und der blaue Adel auf der anderen Seite düstere Blicke zu, während der König blutroten Wein in seinem Glas schwenkte und betont gute Laune an den Tag legte.

Miaserus Alessandrini hatte Vertreter der dreizehn Ordensfamilien eingeladen, um seinen guten Willen zu zeigen. Ein Friedensangebot, das aus dem teuersten Wein der Stadt, einem Pianisten, einem Streichquartett und genug Essen für eine kleine Armee bestand. Er hatte sogar den Morgenpavillon, das geheime Juwel des blauen Palasts, für diesen Abend aufgesperrt. Eine große Geste, denn es war allgemein bekannt, dass der König diesen Saal mit der Glasdecke, der halb über die Steinmauern hinausragte und durch die Panoramafenster einen überwältigenden Ausblick über die Stadt erlaubte, zu jeder Tages- und Nachtzeit verschlossen hielt.

Niemand wusste wieso. Doch selbst der besondere Ort hätte die Hohe nicht dazu bewegen können, ihren Stolz zu überwinden und zu diesem Tanz zu erscheinen. Es hatte die Überzeugungskraft von Mays Mutter und weiteren engen Vertrauten gebraucht, um Rya dazu zu überreden, dieses Friedensangebot nicht auszuschlagen. Eine Weigerung wäre nicht gut ausgegangen, nachdem sie den König vor das Gericht des hohen Ordens gezerrt hatte. Natürlich hatte er sich selbst begnadigt, aber hier ging es um das Prinzip.

May hob ihre Kuchengabel und schob sich ein Stück Erdbeertorte in den Mund, ohne den wachsamen Blick von den Blauen am anderen Ende des Tischs abzuwenden. Hauptsächlich junge Männer aus dem Hochadel. Sie warf einen angespannten Blick zu dem Streichquartett hinüber, das neben dem Pianisten, der schon seit einer Stunde Melodien vor sich hin klimperte, Stellung bezog. Früher oder später würde das hier auf einen Tanz unter Todfeinden hinauslaufen.

Großartig.

Alcha, Coria und Cheleste hatten an der Tür Stellung bezogen und lieferten sich seit sie den Raum betreten hatten Blickduelle mit der Frostgarde.

Selbst Julian d'Alessandrini-Casanera sah heute blasser aus als sonst. Er hatte auch nichts gegessen, bemerkte May. Es sollte beruhigend sein, dass selbst ein Prinz sich den Magen verderben konnte. Seine Augen schnellten zu ihr, sodass der Gedanke gefror, ehe sie ihn vollenden konnte. May schluckte und richtete sich auf, um die Angst zu überspielen, die sie traf wie ein kalter Regenschauer. Sie senkte den Blick wieder auf ihren Kuchen. Jeder der Alessandrinis war für sich schon gruselig genug, aber wenn die Eisdynastie gebündelt an einem Ende des Tischs saß, dann schien die Raumtemperatur gleich um ein paar Grad zu fallen.

Gänsehaut schoss über ihre Arme wie Raureif in einer Winternacht. Am liebsten wäre sie sich mit den Fingern über die Lippen gefahren und dann ein x zwischen ihre Schlüsselbeine gemalt, um das Böse mit der Kraft der Sterne zu verscheuchen.

„May?", Ascob legte seine Kuchengabel auf zwanzig nach vier und wandte sich seiner kleinen Schwester zu. Diese freute sich schon auf ein bisschen Ablenkung, bis sie den Ausdruck auf Ascobs Gesicht sah und augenblicklich misstrauisch wurde. Sein Blick war eindringlich, als ob er gleich ein ernstes Thema ansprechen würde.

„Was ist denn los?", flüsterte sie und warf der Hohen neben sich einen vorsichtigen Blick zu. May hatte das Gefühl, dass was auch immer Ascob vorhatte, nicht für die Ohren ihrer Mentorin bestimmt war. Sein Blick kühlte weiter ab. Das neckische Flackern in seinen Augen verblasste immer mehr. May rutschte abwesend auf dem Stuhl herum, während sie darauf wartete, dass ihr Bruder mit der Sprache herausrückte. Sie hatte ihr ganzes Leben schon unter seinem Urteil gelebt. Jede ihrer Handlungen wurde beobachtet, von ihren Eltern oder ihrem großen Bruder. Er schwieg immer noch, als ob er erwarten würde, dass sie selbst auf das kam, was ihn so grimmig stimmte.

SkythiefWhere stories live. Discover now