Kapitel 63 - Von Luftschlössern und Monstern unterm Bett

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Kapitel 63

Von Luftschlössern und Monstern unterm Bett


~Mile~

Wie es jeder in seiner Kindheit erlebt haben musste, so war auch Mile einmal krank gewesen. Nichts wirklich Ernstes. Schnupfen, Husten, Bauchweh, die Grippe, Windpocken oder Fieber. Erkältungen, die einen kleinen Bauernjungen in dieser Welt vielleicht dahingerafft hätten, doch in der sterblichen Welt, wo es für alles ein Mittel gab, waren sie kaum die Sorge wert.

Mile hatte es immer gehasst, ans Bett gefesselt zu sein. Im Waisenhaus hatte er geglaubt, die Langeweile und die ekelhafte Medizin würden ihn noch umbringen.

Nicht ganz so schlimm war es zu Hause gewesen. Damals hatte er seine Eltern gehabt, die ihm seinen liebsten Tee gekocht und ihm Geschichten erzählt hatten.

»Warum werden Menschen krank?«, hatte Mile einst seinen Vater gefragt. Er war damals etwa sechs Jahre alt gewesen und hatte bei schönstem Wetter an einem Sonntag im Bett bleiben müssen, da er die Grippe gehabt hatte.

Ignatz hatte Mile einen Teller Zwieback in die Hand gedrückt, sich auf den Schreibtischstuhl gesetzt und mit nachdenklichem Blick seinem Sohn beim Essen zugesehen. So in der Art war es immer von Statten gegangen, wenn eines seiner Kinder den Herrscher etwas gefragt hatte. Eine normale Antwort hatte man nie bekommen. Immer hatte Ignatz sie in einer kleinen Geschichte verpackt. So auch damals. »Weisst du noch, als Mamas Auto letztes Jahr kaputt gegangen ist?«

Da sein Mund voll mit Zwieback gewesen war, hatte Mile nur genickt.

»Dann weisst du auch noch, was wir damit gemacht haben?«

Wieder hatte er genickt und krümelspuckend »Reparatur!« gerufen.

Lachend hatte sein Vater weiter gefragt: »Ganz genau. Weisst du, was am Autokaputt war?«

Da Mile das passende Wort nicht eingefallen war, hatte er einfach die Hand ausgestreckt und das Handgelenk gedreht.

»Stimmt«, hatte Ignatz bestätigt. »Das Auto ist nicht mehr angesprungen. Warum passiert so etwas?«

Schulterzucken von Seiten seines Sohnes.

»Siehst du? Das kann ich auch nicht beantworten. So etwas passiert halt. Manchmal ist ein Maschinenteil abgenutzt oder es ist durch einen Unfall kaputt gegangen. Der Verschleiss geht mit der Zeit einher und alles nutzt sich irgendwann irgendwie ab. Aber jetzt ist das Auto repariert und es funktioniert wieder einwandfrei, nicht?«

Mile hatte den Kopf schräg gelegt, kurz nachgedacht und dann bestätigt.

»Und genauso ist es auch bei den Menschen, verstehst du?«

»Hä? Menschen kriegen kaputte Teile und müssen dann in die Reparatur?«, hatte er verwirrt gefragt.

Wieder hatte Ignatz gelacht. Ein Geräusch, das die Räume des alten Fachwerkhauses, das ihr zu Hause gewesen war, oft erfüllt hatte. Dann hatte er sich grinsend vorgebeugt, ihm mit einem Finger in die Brust gepiekt und erklärt: »Da drin stecken menschliche Teile. Die sind wie Maschinen, nur nicht aus kaltem Metall. Sie sind warm und schleimig. Man nennt sie „Organe". Stell dir den Menschen mal wie eine Maschine aus Fleisch vor. Das Herz könnte dein Motor sein. Es pumpt dein Blut. Das ist wie dein Treibstoff. Deine Knochen sind das Gerüst und Fleisch und Haut sind die Hülle, Schale oder Wände – wie du das auch nennen willst. Das Gehirn ist der Computer, der alles dirigiert. Und dein Bauch wandelt Essen in Energie um, du hast also ein ganz eigenes Kraftwerk da drin.

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