Kapitel 73 - Ein Goldstück für deine Gedanken

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Kapitel 73

Ein Goldstück für deine Gedanken


~Sabrina~

»Hunger? Durst?« Eril wartete nicht auf eine Antwort. Er zog die Tür eines rustikalen Sekretärs auf, der zusammen mit einem Tisch, zwei Bänken, einem Stuhl und einem mit ein paar schäbigen Büchern gefülltes Regal zum spärlichen Mobiliar des fensterlosen Raumes gehörte. Er holte Gläser und einen Krug und stellte sie vor sie auf den Tisch. Es bildete sich eine Pfütze, als er beim Versuch, ihr einzuschenken, danebenleerte. »Mattre!« Er versuchte, die Katastrophe mit dem Ärmel seines grauen Gambesons aufzuwischen, doch das brachte sichtlich nichts.
»Da... liegt ein Handtuch, ich...«
»Du«, fauchte er, »rührst dich nicht!« Eine ziemlich unnötige Zurechtweisung, denn weit wäre sie ohnehin nicht gekommen. Die Fussfessel, die er ihr zuvor angelegt hatte, kettete sie an ihre Sitzbank. Auch ihre Hände waren gefesselt und dank des Obsidianarmbandes konnte sie sich nicht einmal auf ihr Eis verlassen.
Eril richtete sich auf, griff nach dem Handtuch auf der Stuhllehne des Sekretärs, das Sabrina gemeint hatte und beseitigte sein Missgeschick.
Mittlerweile hatte Sabrina keinen Zweifel mehr. Eril war betrunken. Die Spitzohren des Elfs glühten und seine verquollenen Augen blickten stumpf. Entweder hatten das die anderen Soldaten nicht gemerkt oder es war ihnen egal. Sie hatten ihn in dem kleinen Raum, der gleich neben dem Bunker lag, mit ihr alleingelassen und sich vor dem Eingang platziert.
»Ist das so was wie ein Aufenthaltsort für die Soldaten? Sieht nicht aus wie eine Folterkammer«, stellte sie fest und gab sich Mühe, möglichst neutral und ruhig zu klingen.
»Dachtest du, ich spanne dich sofort auf eine Streckbank?«, brummte Eril und zog eine Schale voll geschnittener Brotscheiben aus dem Sekretär. »Das hier ist der Pausen-und gelegentliche Verhörraum. Ich weiss, dass Folter bei dir nichts bringen wird, dafür bist du zu stur.«
Sabrina heftete ihren Blick auf seine Augen. Nicht, weil sie in ihnen lesen wollte oder derartiges, nein. Sie versuchte nur, nicht das Brot anzuschmachten, das so verführerisch frisch duftete. Eril erkannte, was sie da tat und schnaubte. »Komm schon, du bist am Ende. Es ist Abend, das hast du nicht gemerkt, oder? Ist auch schwer, wenn man keine Fenster hat. Jetzt greif zu!«
»Ach, nur damit du es dann leichter mit mir hast? Das Wasser da, das ist sicherlich mit dem gleichen Gift verseucht, mit dem ihr die Bewohner Tempus' zwingt, für euch Verbrecher ihr Leben zu lassen!«
Eril lächelte böse. »Selbst wenn, bei dir würde das nicht wirken. Du bist eine Herrscherin, kein gewöhnlicher Mensch. Dein Wille ist zu stark. Oder wie ich schon sagte, du bist zu stur!«
Sabrinas Blick stahl sich hinab zu den Brotscheiben. Schliesslich schnappte sie sich drei und biss herzhaft zu.
»Schön, Püppchen«, brummte Eril und gönnte sich seinerseits einen Schluck aus einem Fläschchen, das er aus einer Gürtelschlaufe befreite. Die Substanz roch süsslich. Schnaps?
»Du trinkst neuerdings?«, fragte sie spitz und spuckte Brösel.
Eril schenkte ihr einen düsteren Blick.
»Hab die Fahne schon gerochen, als du mir ins Ohr gebissen hast. Was war das eigentlich für eine scheiss Aktion?«
Eril sprang auf und zog sein Schwert. Die Klinge schwebte genau über ihren Augen. »Nur weil ich dir jämmerlichen Haufen Essen und Trinken gegeben habe, anstatt dir die Nägel aus den Fingern zu ziehen, heisst das nicht, dass du aufmüpfig werden solltest. Die Rebellen sind gefallen, du bist eine Gefangene und ich«, er machte eine genüssliche Pause und grinste böse, »hasse dich noch immer! Verstanden?«
Sabrina schluckte und nickte. Unauffällig griff sie erneut in den Brotkorb und versteckte die Beute in den Hosentaschen.
»Schön!« Er setzte sich, hielt das Schwert aber in Griffweite. Wieder nahm er einen kräftigen Schluck Schnaps, lehnte sich lässig breitbeinig zurück. »Du hast dich verändert«, brummte er und es klang beinahe anerkennend.
Grimmig trank Sabrina einen Schluck Wasser. »Du auch, bist jetzt noch arroganter. Und deine Haare sind länger...«
Automatisch griff der Elf sich an den Hinterkopf, wo er das braune Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden hatte. Sein Blick fiel ins Leere, seine Lider flatterten und erst glaubte Sabrina, er würde zu weinen beginnen, doch als er sich ihr wieder zuwandte, waren seine Züge hart wie Stein. »Sie nennen mich hier die Krähe, weisst du? Ein falscher Rabe. Früher Verbündeter der Herrscher, jetzt ein Scherge der Dunklen. Ja, ich bin anders. Du bist der Grund dafür, das ist dein Verschulden.«
»Darum geht es dir also?«, murmelte sie und auf einmal lag das Brot ihr schwer im Magen. Arillis...
Eril sagte nichts, kippte sich nur das letzte Bisschen Schnaps aus dem Fläschchen in den Rachen. Er hustete.
»Bist du deshalb hierhergekommen? Zu den Dunklen? Um dich zu rächen?«
Er lachte etwas zu heftig und wischte sich unkoordiniert übers Gesicht. »Auch, ja.«
»Und... was sagt Arseel dazu?«
Er rümpfte die spitze Nase. »Nichts...«
»Ihr redet nicht.«
»Ja, du hast auch einen Keil zwischen uns getrieben, zwischen mich und meinen besten Freund, meinen Bruder! Glückwunsch, Püppchen.«
»Ich habe es schon immer gehasst, dass du mich so nennst.«
Er wog den Kopf hin und her, musste sich dabei an der Tischkante festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Arillis hat es auch nicht gemocht. Darum habe ich dich immer so genannt, weisst du? Ich wollte ihr irgendwie zeigen, dass du und ich, Sabrina, nur Mittel zum Zweck waren. Weil ich dich benutzen musste, so wollte es der Graf...« Er lächelte bösartig. »Du hast mir gar nichts bedeutet.«
Sie schnaubte. »Erzähl mir was Neues.« Sie zögerte. Vielleicht konnte sie seinen Zustand ja ausnutzen... »Was... wollte der Graf damit bezwecken?«
»Einfluss«, brummte der Elf und überprüfte, ob da nicht doch noch etwas Schnaps in seinem Fläschchen war. »Für die Suche...«
»Suche?«, hakte sie nach, scheinbar zu hastig, denn Eril traktierte sie sofort aus zusammengekniffenen Augen. Er stand auf, ging im leichten Zickzack um den Tisch herum, blieb hinter ihr stehen. »Du bist noch immer zu neugierig«, flüsterte er. Sie vernahm ein metallisches Scharren, dann spürte sie kaltes Metall an ihrer Wange. Die Spitze eines Messers erkundete ihr Gesicht.
»Ja, ich suchte hier nach Rache, Sabrina. Aber wie soll ich sie servieren?« Er gab mehr Druck auf das Messer. »Auge um Auge? Zahn um Zahn? Narbe um Narbe? Verlust um Verlust?« Er zog einen Schnitt über ihre Wange. Nicht tief, doch sie spürte das Blut zu ihrem Kinn hinabrinnen.
Er liess von ihr ab. »Meine Rache beginnt hier, Püppchen.« Er spuckte den Kosenamen aus, als wäre es ein Schimpfwort. »Ich sehe zu, wie dein Leben in tausend Scherben zerbricht. Ich werde mich an deinem Leiden laben.« Er warf das Messer achtlos auf den Tisch. »Ich will, dass du weisst, wie das ist«, flüsterte er und setzte sich unbeholfen neben sie. »Wenn dir alles entrissen wird, was du liebst. Wenn deine engsten Freunde sich von dir abwenden. Wenn du zu Entscheidungen gezwungen wirst, Dinge tust, die du bereust und...« Nun begann er tatsächlich zu weinen. Dicke Tränen kullerten ihm von den langen Wimpern, er verzog das Gesicht wie ein Kind...
»Du bist betrunken«, meinte sie leise. Ohne es zu wollen, hatte sie Mitleid. »Eril, so muss das hier nicht sein. Ich verstehe, dass du leidest, aber... Arillis Tod ist nicht dein Ende.«
Der Elf lachte. »Du bist so selbstgerecht. Denkst du, ich habe nicht davon gehört? Wie du diesen Piraten aus dem Reich der Toten zurückgebracht hast. Ausgerechnet du willst mich belehren?« Er holte aus und schlug ihr ins Gesicht, sodass sie von der Bank fiel. Ihr angeketteter Fuss verdrehte sich schmerzhaft. »Das ist alles deine Schuld, du hast das verbockt, es wäre nie so weit gekommen, der Graf hätte sich nicht auf eine Seite schlagen müssen, ich hätte mich nicht auf eine Seite schlagen müssen. Arillis würde noch leben!«
Als er begann, auf sie einzutreten, krümmte sie sich zusammen, zog den Kopf ein und hob die Arme in den Nacken. Er traf sie im Rücken, am Schienbein, an den Schultern und am Kopf, bis sie Sternchen sah.
Irgendwann hatte er keine Kraft mehr. Er fiel neben ihr auf den staubigen Boden, weinte noch mehr. »Du hast alles, alles verdorben. Das hast du aus mir gemacht! Winsle um Gnade, ich bin deine Hölle!«
Sabrina hustete. Vorsichtig setzte sie ich auf. »Nein«, murmelte sie und tastete ihre Stirn ab, wo er sie zuletzt am härtesten getroffen hatte. Sie spürte schon, wie ihr kaltes Blut in die Augenbrauen lief. »Das ist gar nicht meine Schuld.« Sie zog die ebenfalls blutende Nase hoch. »Arielles Tod war meine Verantwortung, ja. Aber ich habe sie nicht getötet. Genauso wenig habe ich dich nach Tempus geschickt und habe dir befohlen, dich den Dunklen anzuschliessen. Das waren dein Graf und du selbst. Du, Eril, hast dich vom Hass leiten lassen, hast den falschen Weg eingeschlagen. Nun kommst du nicht damit klar, kannst dich selbst nicht mehr leiden.« Sie schmeckte Eisen auf der Zunge. »Ich bin dein Sündenbock für all die Scheisse, die dir passiert und die du gebaut hast.«
Die graublauen, in tiefen Höhlen liegenden Augen hingen an ihren Lippen, er unterbrach sie nicht.
»Fahr zur Hölle, Eril. Deine Rache ist mir scheissegal. Ich bin nicht wegen dir hier. Ich bin hier, weil ich Verantwortung übernommen habe. Man kann mich für viele Tode schuldig sprechen, aber nicht für den deiner Liebe. Falls du mir etwas zu sagen hast, das nicht mit Arillis zu tun hat, dann schiess los. Ansonsten bringst du mich jetzt zurück in meine Zelle. Du brichst mich nicht, Eril.«
Er verharrte noch einen Moment in seiner Erstarrung, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Du bist so dumm, Sabrina.« Er zog sich an der Wand hoch, packte sie am Kragen und zerrte sie ohne Rücksicht auf ihre Verletzungen zurück auf die Bank, grub die Hand in ihr Haar und presste ihren Kopf auf die Tischplatte. »Du bist hier gefangen, Sabrina. Du, nicht ich. Ich entscheide, was ich sagen will, was die Wahrheit ist. Die Dunklen haben gesiegt und du weisst doch, wer Geschichte schreibt. Die Sieger. Du hast versagt! Hättest du anders gehandelt, wäre Arillis noch am Leben. Arillis, Drosselbart und all die anderen. Du kannst Arillis bestreiten, aber nicht die, die dort draussen für dich ihr Leben gelassen haben. Auf deinem Gewissen häufen sich die Leichen der Unschuldigen. Auf deinem und dem deines Bruders. Ihr habt versagt, ihr seid Schuld, ihr habt verloren, alles ist vorbei! Zerbrich, Sabrina, zerbrich!« Er beugte sich zu dem Ohr herab, in das er zuvor noch gebissen hatte. Sie roch den süssen Schnaps, als er flüsterte: »Und so wurdet Ihr der Tod, junge Eisprinzessin. Zerstörerin von Twos.«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now