Kapitel 71 - Der Gewissenlose

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Kapitel 71

Der Gewissenlose


~Sabrina~

Sie hielt ihn fest, als könne er ihr jeden Moment entgleiten und fallen wie sein Bruder. Seine Tränen brannten auf ihrer Haut. Er zitterte und sie wagte nicht, sich den Schmerz vorzustellen, der ihn zum Beben brachte.
Sie hatte versucht, ihn zu einer der Kajüten zu bringen, doch Falk hatte sich geweigert, überhaupt aufzustehen. Er sass noch immer da, wo er gestanden hatte, als... Peter sich das Leben genommen hatte.
Smee hatte mittlerweile das Steuer übernommen und alle waren wieder an ihren Posten, doch jegliche Euphorie oder Aufregung war verschwunden. Die Schlacht hatte sie eingeholt, der Tod war ihnen zu nahe gekommen.
Falk hob seinen Kopf von ihrer Schulter. Er war bleich, seine Augen gerötet und ihr Ozean war stürmisch. Erschöpft vom Weinen lehnte er sich gegen das Schanzkleid. »Wie weit ist es noch?«, knurrte er und seine Stimme verriet ihr, dass er seiner Dunkelheit gefährlich nah war.
Sie wünschte, die Jolly Roger befände sich noch immer friedlich auf den Wellen des Lacco Lugondon schaukelnd weit, weit weg von Tempus, mehrere Wochen vom Palast entfernt, doch leider war die Realität eine andere. »Vielleicht zehn Minuten, wenn uns jetzt nichts mehr aufhält«, antwortete sie leise und legte ihre Hand auf die seine. Sie zuckte zusammen, als sie seine Qual wahrnahm. Falk brannte in seiner persönlichen Hölle. Sein zweites Geschwister, das er unter tragischen Umständen verloren hatte.
»Er war schon immer schneller als ich...« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte, was sich anfühlte wie ein Hieb ins Gesicht. »Oh ich bin verdammt...«
»Du weisst, dass es nicht deine Schuld ist, ja? Du kannst nichts dafür.«
»Aye«, knurrte er und wandte den Blick ab. »Mein Bruder hat mich schliesslich freigesprochen, bevor er sich in den Tod gestürzt hat.«
»Falk, hör auf...« Sie schob sich in sein Sichtfeld. »Was kann ich tun?«
Seine Kiefer malten. »Ich muss was umbringen und zwar schnell...«
»Dazu wirst du gleich Gelegenheit haben«, brummte Miles Stimme hinter ihr.
Sie sah zu ihm auf und zog die Brauen hoch.
»Ich weiss, sie hatten keine Zeit mehr für das Gesicht, aber das macht nichts. Da war zum Glück nichts Ernstes. Haufenweise blaue Flecken, das haben die Hellelfen schnell hingekriegt«, murmelte ihr Bruder und kratzte an dem getrockneten Blut auf seiner Stirn.
»Du hattest ein riesen Glück«, meinte Red, die neben ihn trat. Noch immer sass ihr der Schreck im Nacken, das sah man ihr an. »Bei allen Himmeln, wie kann man gleichzeitig so viel Glück und Pech haben?«
»Frag das lieber den toten Hans...« Ihr Bruder kniete sich zu ihr herab. »Wie geht es ihm?«, raunte er ihr zu.
»Wie es einem geht, wenn der Bruder vor den eigenen Augen Suizid begeht«, antwortete sie nüchtern. Sie wischte sich die dünne Eisschicht, die ihre eigenen Tränen auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten, weg, stand auf und knüpfte drei Säckchen von ihrem Gürtel los. Zwei verteilte sie an Red und Mile, den letzten behielt sie für sich. »Da drin ist unser Taxi auf die Brücke. Verteilt das Zeug nicht zu früh, wir brauchen nur eine winzige Priese, sie wird genügen, um vom Schiff auf die Brücke zu kommen«, erklärte sie ihnen.
Mile lockerte die Bänder um das Säckchen und ein leichter Schimmer erhellte sein Gesicht. »Wow...«
»Was habe ich gerade gesagt? Sei vorsichtig!«, ermahnte sie ihn.
Mile nickte und schnürte den Sack zu. Betreten legte sich sein Blick wieder auf Falk, dessen Augen Löcher in den Nebel starrten. »Es tut mir sehr leid, Falk. Wenn ich nicht so unaufmerksam gewesen wäre, hätte Morgan mich nicht überraschen können und...«
»Wir hätten den Bastard töten sollen, als wir Gelegenheit hatten. Ich hätte ihn umlegen sollen. Tausend Jahre Erfahrung auf See und ich habe nichts dabei gelernt. Begegnest du einem Arschloch, bring es um und gib ihm keine Chance...«
»Nein«, widersprach Sabrina. »Vergiss nicht, dass du auch einmal auf der falschen Seite gestanden hast. Und du hast deine Chance genutzt.«
»Ist das so?«, knurrte er und stemmte sich gegen die Reling, um aufzustehen. »Wenn ich nicht hier wäre, würde Peter jetzt noch leben.«
»Dafür ich vielleicht nicht.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn besser umarmen zu können. »Falk, du musst durchhalten, hast du gehört? Das Schicksal ist der Teufel, aber du darfst dich jetzt nicht gehen lassen. Halte durch, es ist die Hölle, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Weisst du, was ich meine?«
Der Pirat kniff die Augen zusammen, hielt die Luft an, als würde er versuchen, die Hölle auszusperren.
»Falk, schaffst du das?«
Er seufzte und rieb sich über die Augen. »Aye...«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now