Kapitel 48 - Das Versprechen von niemals und immer

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Kapitel 48

Das Versprechen von niemals und immer


~Mile~

Das Feuer wärmte seine kalten Hände. Jedes Mal, wenn ein Regentropfen in eine der goldenen Flammenzungen fiel, zischte es leise und das Wasser verdampfte.
Verdammter Regen!
Mile war mittlerweile so durchnässt, dass ein Windhauch genügte und er am ganzen Körper fror. Doch Mile hatte ja sein Feuer, das ihn wärmte.
Er erreichte eine Kreuzung. An den Häusern konnte er sich nicht orientieren, denn die sahen alle gleich aus. Steinern, verlassen und nass. Er hätte auch nach dem Turm des Tempels Ausschau halten können, da dieser ja der Mittelpunkt der Stadt war, doch auch das war nicht möglich, denn dieser wurde von den anderen riesigen Gebäuden verdeckt.
Das Fazit war also: Er hatte sich verirrt! Schonwieder!
»Links oder rechts? Links oder rechts?«, brummte Mile ratlos. Er entschloss sich rein intuitiv für links. Drei Schritte später wurde er jedoch schon aufgehalten und zwar von einer Stimme.
»Das ist die falsche Richtung, Mylord!«
Mile blickte sich suchend um.
»Wer spricht da?«
»Nur ein Junge«, antwortete die Stimme. Sie klang jung. Beinahe kindlich. Mondkind? Nein. Diese Stimme war eindeutig männlich, noch vor dem Stimmbruch.
Mile spitzte die Ohren. Sein übernatürliches Gehör erlaubte ihm, den Sprecher zu orten. Irgendwo hinter ihm auf der rechten Seite. Vermutlich hinter einer Hausecke...
So drehte Mile sich um und starrte zu besagtem Versteck. Nun, ein Versteck war es nun nicht mehr, denn der geheimnisvolle Unbekannte stand bereits sichtbar auf der Strasse.
Peter Pan.
Mile hatte bisher nicht mehr als zwei Worte mit dem Jungen aus dem Nimmerland gewechselt. Er hatte schlicht andere Prioritäten und zu wenig Zeit gehabt. Doch nun stand er vor ihm. Peter Pan. Der Held seiner Kindheit.
Er hatte sich den Jungen, der niemals erwachsen wird, anders vorgestellt. Vielleicht etwas grösser, die Kleider wie in den Filmen aus grünem Stoff oder aus Blättern. Dieser Peter trug stinknormale Kleider. So stinknormal, wie sie in der Märchenwelt sein konnten. Ein weisses Leinenhemd, eine kurze, braune Lederhose und ein dunkler Ledergürtel, an dem einige Messer, Dolche und Säckchen hingen. Schuhe besass er keine.
Das Gesicht des Jungen hatte etwas Freches, Intelligentes aber auch Trauriges und Verlorenes. Seine braunen Augen glitzernden genauso frech und ein wenig überheblich. Sein Haar war orangenrot und verstrubbelt, als hätte er an diesem Morgen versäumt, sich zu kämmen.
»Verfolgst du mich?«, fragte Mile amüsiert.
Peter schwebte durch die Luft um mit Mile auf gleicher Höhe zu sein. Auge in Auge sahen sie sich nun gegenüber.
»Ich habe dich Beobachtet, Lichterlord. Du hast dich tapfer geschlagen. Um ehrlich zu sein, ich beneide dich sogar ein wenig«, murmelte der Junge und lächelte freudlos.
Mile war verwirrt. Wieso hatte Peter ihn beobachtet? Wieso sollte er ihn... beneiden?
Er machte bereits den Mund auf, um Antworten zu bekommen, legte Peter bereits los.
»Bevor du fragst, junger Herrscher, lass mich erklären. Komm, ich zeige dir den Weg zurück und du hörst mir zu...«
Also nickte Mile und ging hinter der Märchenfigur her, die vorausschwebte.
»Wusstest du, dass Falk mein Adoptivbruder ist?«, meinte Peter. Er hing nun in der Luft, die Beine zum Schneidersitz gefaltet. Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und liess sich den Regen ins Gesicht prasseln.
»Nein, das wusste ich nicht«, gab Mile überrascht zu. »Ich dachte, ihr beide wärt Erzfeinde.«
»Ausnahmsweise stimmt, was du in den Büchern deiner Welt gelesen hast. Captain Hook und ich sind Feinde, doch früher waren wir Brüder. Unsere Eltern waren beide verwitwet. Als sie heirateten brachte meine Mutter meine grosse Schwester Arielle und mich in die Ehe. Unser neuer Stiefvater war der leibliche Vater von Falk. Als Kinder haben wir uns sehr gut verstanden. Hook war der grosse Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte. Mit meiner Schwester hatte ich nie viel anfangen können. Ich hatte sie geliebt, doch sie war nun mal ein Mädchen gewesen. Falk hingegen war sehr interessiert an Arielle. Er verliebte sich in seine Adoptivschwester.«
Peters Stimme war ein Spiegel seiner Emotionen. Immer wenn er von Arielle, seiner grossen Schwester sprach, war sie erfüllt von Trauer und Schmerz, doch bei Hook bebte sie nur so vor Wut und Abscheu.
Alleine daran konnte Mile erraten, dass Peter Pans Märchen kein Happy End hatte und er sollte Recht behalten.
Peters Geschichte war unglaublich tragisch und traurig. Wenn Hook doch nur anders gehandelt hätte! Er hätte Medusa aufhalten, Arielle vor ihrem schrecklichen Schicksal bewahren können! Doch stattdessen war der Pirat in seinem Selbstmitleid ertrunken und hatte Arielle nicht geholfen.
»Du siehst«, murmelte Peter, nachdem er Mile alles erzählt hatte, »du bist nicht der einzige, der diesen Piraten loswerden will. Ich habe Hook bis heute nicht verzeihen können. Er hat Arielle nicht geholfen. Für mich ist und bleibt er ein Mörder. Hassen kann ich ihn nicht. Jedenfalls nicht mehr. Trotzdem ist er für mich kein Bruder mehr. Als ich heute sah, wie du, Mile, ihm das Handwerk gelegt hast... Zum ersten Mal fühlte ich so etwas wie Befriedigung. Falk hat seine erste grosse Liebe, eine seiner Hände, ja, vermutlich auch einen Teil seiner selbst verloren. All das macht den Verlust meiner Schwester nicht wieder gut. Doch heute, heute hat Falk noch viel mehr verloren. Die Person, die er liebt. Auch das bringt Arielle nicht wieder zurück, doch trotzdem mildert es meinen Schmerz. Es heisst ja, Rache sei der falsche weg. Trotzdem fühlt es sich unglaublich gut an!«
Rache.
Mile schluckte.
Das war nicht der Peter Pan, den er aus den Büchern zu kennen geglaubt hatte. Dieser Peter war kaputt. Zerbrochen an dem Verlust seiner Schwester, der mit dem n Bruders einherging. Die Rache hatte ihn zerfressen wie ein hässlicher Käfer den Stamm eines Baumes.
Peter Pan, der schwebende Junge war ein Racheengel...
»Du glaubst Hook also? Du glaubst ihm, dass er Sabrina liebt? Was macht dich dabei so sicher?«, hakte Mile nach. Er selbst hatte mittlerweile eingesehen, dass der Pirat Gefühle für seine Schwester hegte. Wieso hätte der Pirat sich bei ihrem Duell sonst so verhalten sollen? Trotzdem wollte er es nun aus Peters Mund hören.
Der Junge liess sich mit seiner Antwort Zeit. Schliesslich sagte er: »Seit Arielle tot ist, hat Hook nie wieder geliebt. Ich weiss das, weil ich immer ein Auge auf ihn hatte. All die Jahre habe ich ihn immer wieder aufgesucht. Er war mein Ventil um all meine Trauer, Angst, Wut, Hass und den Schmerz loszuwerden. Ich hatte nicht anders gekonnt, als ihn zu verfolgen. Und in all dieser Zeit habe ich ihn niemals mit einem Mädchen gesehen. Es hatte immer wieder irgendwelche Kneipenhuren gegeben, doch keine hatte er geliebt. Für einen Piraten mag das nun nicht wunderlich sein, doch selbst der einsamste Seemann verliebt sich ab und an. Doch Falk hatte seit Arielle niemanden geliebt. Ich denke, er hatte sich selbst die Schuld an ihrem Tod gegeben und darum hatte er sich selbst damit bestraft, niemanden lieben zu können. Doch dann tauchte deine Schwester auf. Sabrina. Als ich Falk dann mit ihr gesehen habe, ich hielt es für einen Traum...«
Peter drehte sich zu ihm um und brummte: »Verstehst du, was ich meine? Mit Sabrina hat Falk einen neuen Lebenssinn entdeckt. Und nun hast du ihn fort geschickt. Wie auch immer du das geschafft hast, du hast ihm damit alles genommen!«
Miles Mund war ganz trocken geworden. Er versuchte zu schlucken, doch das einzige was er schaffte, war ein Kratzen in seinem Hals.
Er hatte Hook alles genommen.
Die Wut, die er zuvor auf den Piraten gehabt hatte, schwand. All die Gründe, die er gehabt hatte, um den Captain hassen zu können, wirkten auf einmal schrecklich unwichtig.
Er hatte Hook alles genommen.
Gut, der Pirat war ohne Zweifel ein Monster und Mörder gewesen, doch nun war da noch etwas anderes. Liebe. Der Pirat liebte seine Schwester. Und Sabrina? Erwiderte sie diese Gefühle?
All die schrecklichen Gräueltaten, die Hook veranstaltet hatte... Durfte man dem Bösen verbieten, zu lieben? Durfte man einem Monster alles nehmen?
Einmal Monster, immer Monster.
War es möglich, sich zu verändern? Konnte ein Pirat zum Held werden?
Vielleicht war die Welt nicht wirklich schwarz und weiss. Vielleicht gab es hier und da graue Flecken. Vielleicht gab es zwischen Gut und Böse noch etwas anderes. Von beidem etwas. Gut und Schlecht. Wann wird schwarz zu weiss, wann Feuer zu Eis?
Doch nun war es zu späht. Der Pirat war gegangen und daran würde auch Mile nichts mehr ändern können. Bestimmt war es auch besser so. Ja, ganz bestimmt! Er hatte die richtige Entscheidung gefällt!
Mile blickte auf, um sich bei dem Jungen zu bedanken.
»Peter, ich...«
Doch Peter war weg.
»Peter?«
Keine Antwort...
Anscheinend hatte sich der Junge, der niemals erwachsen wird, heimlich aus dem Staub gemacht.
Fluchend drehte Mile sich im Kreis und blinzelte durch den Regen.
Er stand mitten auf der Strasse. Links und rechts standen die Häuser dicht an dicht nebeneinander. Einige kaputte Fässer und deren Einzelteile lagen auf dem Pflasterstein verstreut.
Dies konnte eine von tausend Strassen Aramesias, doch irgendwie kam Mile dieser Ort bekannt vor... Er und Hook mussten, als sie auf der Suche nach einem Duellier-Platz gewesen waren, diese Strasse überquert haben...
Auf einmal vernahm er hinter sich Schritte. Gleich darauf rief eine erstaunte Stimme seinen Namen.
Au Backe!
Langsam drehte er sich um...

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now