Kapitel 17 - Augen ohne Liebe

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Kapitel 17

Augen ohne Liebe


~Mile~

Mile drängte sich durch die Menge. Hände grabschten nach ihm, krallten sich an ihm fest und versuchten, ihn aufzuhalten.
»Entschuldigung, kann ich hier bitte einmal durch? Nein, bitte lasst das sein. Dürfte ich vielleicht...«
Es war, als würde er gegen eine Wand reden. Niemand macht Platz, nein, alle schienen sich noch näher an ihn heran zu drängen.
Er und Sabrina hatten den Ballsaal so unauffällig wie irgendwie möglich betreten. Der ganze Saal war so voll von den fremdartigsten Wesensarten, die man sich vorstellen konnte. Die Geschwister waren aus dem Staunen nicht mehr heraus gekommen. Tja, so hatte Sabrina es geschafft, in einem Moment, in dem Mile zu sehr abgelenkt von all den fabelhaften Wunderwesen gewesen war, verloren zu gehen. Er hatte seine kleine Schwester aus den Augen verloren.
Nun befand er sich irgendwo in dem Ballsaal und war umringt von unzähligen Blondinen. Ja, Blondinen. Hübsche, strahlende Blondinen. Und keine von ihnen war Sabrina.
»Du hast so, so tolle Haare!«, jubelte eine von ihnen und griff in seine Kupferhaare. Zwölf weitere begannen wie irre zu kichern.
Auf einmal wurden die Hände, die ihn begrabschten, wo sie hinkamen, von ihm weggerissen und eine bekannte Stimme rief, nein, eher keifte: »Flossen weg! Verzieh dich, Blondie, oder ich kratze dir deine blöden Glubscher aus!«
Wie ein roter Wirbelsturm, wetzte die Rote um ihn herum und verscheuchte die anderen Mädchen.
Erfreut stammelte er: »Red! Schön dich zu sehen. Sag mal, hast du zufällig Sabrina gesehen, ich habe sie verloren und nun...«
»Klappe halten und mitkommen!«, zischte sie, schnappte sich seine Hand und zog ihn mit sich.
»Wer waren die? Die sehen aus wie lauter Heidi Klums oder Michelle Hunzikers!«, fragte Mile, nachdem sie genügend Distanz zwischen sich und die Blondinen gebracht hatten.
Red sah zu ihm auf, boxte ihm in den Oberarm und meinte amüsiert: »Hör bloss auf, so dämlich zu grinsen. Diese Armee von Goldlöckchen sind die Töchter von Dornröschen und ihrem Ehemann. Rose und Tristan leben zusammen mit beinahe allen anderen Königsfamilien hier im Schloss. Ihre eigenen Schlösser sind überall im Land verstreut und von den Dunklen eingenommen worden. Alle Königsfamilien haben ihre ganzen Untertanen mitgenommen und nun suchen alle hier bei den Rebellen Schutz. Jedes Wesen, das alt genug und fähig ist, zu kämpfen, ist ein Teil unserer Armee. Als die Herrscher verschwunden waren, hatte Drosselbart nicht lange gezögert uns sich daran gemacht, einen Widerstand zu errichten. Er ist der Anführer der Rebellen. Ich bin froh, dass er das Sagen hat, denn die meisten anderen Könige, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen hier sind zu nichts zu gebrauchen. Dornröschens Familie ist das beste Beispiel dafür. Sie verpennt die ganze Revolution, Tristan ist auch nicht die hellste Kerze am Leuchter und ihre zick Töchter sind auch zu nichts zu gebrauchen. Und was bitteschön sind Heidi Klumpen und Michelle Verhunzikers?!«
Mile drückte sich an einem Wesen vorbei, dass aussah wie ein monströser Lurch. Geschuppt vom kleinen Zeh bis zur abgeflachten Nasenspitze. Anstelle von Ohren wuchsen ihm schimmernde Schwimmhäute an beiden Seiten seines Kopfes. Gern hätte er dieses sonderbare Wesen noch länger bewundert, doch er wollte Red in der Menge nicht verlieren und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich los zu reissen.
»Erstens habe ich nicht gegrinst. Zweitens«, antwortete er belustigt, »finde ich es sehr erstaunlich, was für ein Lästermaul du doch bist. Drittens... vergiss das mit Heidi und Michelle...«
Red hatte ihn in einen Teil des Saals geführt, der nicht ganz so überfüllt war. Sie hielten an und beobachteten die wuselnden Ballgäste. Als ein Butler vorbei kam und ihnen sein Tablett entgegenstreckte, auf dem er Getränke balancierte, nahmen sie sich je eines. Als Mile an seinem Glas nippte, stellte er fest, dass es sich dabei um eine Art Sekt handeln musste. Er war jedoch viel süsser und leichter und hinterliess einen harzigen Geschmack auf der Zunge.
»Doch, Mile, du hast sehr wohl gegrinst, aber egal. Ich bin kein Lästermaul, das ist nur die Wahrheit!«, verteidigte Red sich, nachdem der Butler weitergezogen war.
Mile lächelte und hielt sein Glas ins Licht, um am Aussehen des Getränks feststellen zu können, ob es tatsächlich eine Art Sekt war. Die Flüssigkeit hatte die Farbe von Bernstein und ständig wurde von unzähligen, kleinen, zitternden Luftbläschen in Bewegung gehalten.
»Das ist Honigwein aus den Wäldern von Virid'agru. Die Elfen gewinnen ihn aus dem Honig der dort lebenden Nebelbienen. Diese Tiere findet man nur, wenn es in den Wäldern der Elfen neblig ist. Die restliche Zeit verbringen sie in unterirdischen Bienenstöcken. Man kann den Alkohol kaum schmecken und trotzdem ist er stark genug, um einen betrunken machen zu können. Selbst die Elfen vertragen nicht mehr als zehn Gläser. Überschätz dich also nicht und geniesse dieses eine Glas und belass es auf diesem«, erklärte Red und zwinkerte ihm zu.
Mile nickte und nahm einen weiteren Schluck. Er schloss die Augen und genoss den süssen, harzigen Geschmack in seinem Mund.
»Sagtest du nicht, du hättest deine Schwester verloren?«
Er schluckte, sah zu Red, folgte ihrem Blick und versuchte, Sabrina zu entdecken, fand sie jedoch nicht.
»Wo? Sie ist doch nicht schonwieder bei diesem Drachenreiter-Bimbo, oder?«, fragte er und runzelte besorgt die Stirn. Das war ja schlimmer als diese Chaotischen ‚Wo ist Walter?' Bilder. Überall wanden, wirbelten und wogten Körper. Wie sollte er da seine Schwester finden?
»Himmel, jetzt lass sie doch. Sie ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Ich glaube kaum, dass sie es mag, wenn du dauernd in ihrem Liebesleben herumpfuschst!«, tadelte Red ihn.
Liebesleben? Seit wann hatte Sabrina ein Liebesleben? Das gefiel ihm gar nicht.
»Komm schon, Red. Wo ist sie?«, bettelte er und lächelte sie an.
Red seufzte, deutete dann quer durch den Saal und erklärte: »Siehst du das Bankett? Ganz links. Ich glaube, sie unterhält sich gerade mit Alice...«
Mile suchte mit den Augen den langen Banketttisch ab, der einige Meter entfernt von ihnen aufgestellt worden war. Auf einer weissen Tischdecke standen unzählige Schüsseln, gefüllt mit Früchten, Suppen, Gerichten und allerlei anderen Speisen und Leckereien. Schliesslich entdeckte er Sabrina...

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum