Kapitel 53 - Die Reise der Wahrheit und des Sinns hinter allem

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Kapitel 53

Die Reise der Wahrheit und des Sinns hinter allem


~Sabrina~

Für einen Moment war es unglaublich still. Keiner der beiden Traumreisenden traute sich, auch nur einen Mucks zu machen. Sie hatten es geschafft, waren entkommen, geflüchtet aus dem Zeitpalast, jenem schrecklichen Ort...
Und nun lagen Dämon und Eisprinzessin wieder in jenem Bett, in dem sie eingeschlafen waren. Keiner sagte etwas, denn beide hatten diese eigenartige Befürchtung, jeder Laut könne diesen wunderbaren, fragilen Moment zerbrechen lassen wie Glas.
Klack! Klack!
Sabrina stiess die Luft aus, die sie, ohne es zu bemerken, die ganze Zeit angehalten hatte.
Klack! Klack!, machte es noch einmal. Es war ein Geräusch, wie das Klicken von Fingernägeln auf Metall, Stein oder... oder Glas...
»Was ist das?«, fragte Faritales leise. Er klammerte sich an ihren Arm, als hätte er Angst, verloren zu gehen.
Sabrina antwortete nicht, sie drehte den Kopf zur Seite und sah zu dem kleinen Fenster über ihrem Nachttischchen.
»Nebelfinger!«, rief sie erschrocken. Sie sprang sogleich aus dem Bett und rannte zu dem Fenster, riss es auf und gewährte dem weissen Vogel Einlass. Krächzend sprang der Rabe in den Raum und landete auf den Dielen. Sofort begann er sich zu verrenken und winden. Er wuchs, Flügel wurden zu Armen, Krallen zu Füssen, der Schnabel zur Nase. Das jämmerliche Krähen wurde tiefer, weicher und endlich stand ihr liebster Cousin vor ihr - in Menschengestalt.
»Das war höchste Zeit«, murmelte er mit seiner melodischen und samtweichen Stimme. »Viel länger hätte ich die Verwandlung nicht mehr herauszögern können.«
»Das kannst du?«, quäkte Faritales neugierig, flatterte auf ihre Schulter und musterte den Rabenjungen von oben bis unten.
»Es braucht viel Übung und selbst dann gelingt es mir nicht immer. Die Sonne geht auf und unter und sie nimmt keine Rücksicht darauf, ob du gerade Lust hast, dich zu verwandeln oder nicht«, antwortete Nebelfinger und zupfte sich ein paar übriggebliebene Federn aus dem Haar und den Kleidern.
»Warum hast du das getan? Nebelfinger, wenn ich nicht... früh genug aufgewacht wäre... du hättest dich in einen Menschen verwandelt und gestürzt! Du hättest dir sonst was brechen können!«, schimpfte Sabrina. Sie verschwieg ihm ihre Traumreise, denn sie wollte ihm noch nichts davon erzählen. Sie... sie musste erst zu Mile. Zwar konnte sie ihm noch immer nicht ganz verzeihen, aber als sie im Zeitpalast Todesängste hatte ausstehen müssen, hatte ihr das vor Augen geführt, wie kindisch ihre Streitereien waren. Geschwister streiten, das ist normal, doch hier bringt es allen Welten viel Qual. So hiess es doch auch in der Prophezeiung von Feuer und Eis. Sie mussten sich zusammenreissen. Alle beide! Mile musste also der erste sein, dem sie von ihrer Traumreise erzählen würde, denn...
»Ich weiss alles«, seufzte Nebelfinger und riss sie aus ihren Gedanken.
»Wie bitte? Was?«, fragte Sabrina etwas überrumpelt.
»Ich weiss von der Traumreise und dem Zeitpalast.«
Sabrina klappte die Kinnlade herunter. Sie starrte ihren Cousin an.
»Häh?«, machte Faritales mit leicht erhöhter Stimme.
»Ich musste zu dir, Sabrina, weil ich alles weiss. Mondkind ist, gleich nachdem sie dich zurückgelassen hat, aus ihrer Traumwelt zurückgekehrt und hat mir alles erzählt. Darum musste ich gleich zu dir.«
»Und da flatterst du einfach mal so durch unser Fenster? Hör mal, du Spassvogel, siehst du dieses Holzteil in der Wand? Das nennt man Türe. Tüüüüre! Da kann man durchgehen«, plärrte Faritales hilfsbereit wie eh und je, denn Sabrina starrte Nebelfinger noch immer vollkommen perplex mit offenem Mund an.
»Ich weiss, Dämon, aber ich darf nicht gesehen werden. Niemand darf wissen, dass ich hier bin. Niemand darf davon erfahren!«, zischte Nebelfinger und auf einmal war er nicht mehr der gütige, stille und ausgeglichene, weisse Rabe, wie Sabrina ihn kannte. Nun wirkte er irgendwie düster und bedrohlich...
»Warum?«, platzte es aus ihr heraus.
»Weil viele Leben auf dem Spiel stehen.«
»Um was geht es denn überhaupt?«, jammerte der Nachtmahr. »Ich blick nicht mehr durch.«
»Falls es dich tröstet: Ich weiss auch nicht, von was er spricht«, murmelte Sabrina.
Nebelfinger trat näher an sie heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr: »Weisst du noch, als du von deiner ersten Traumreise zurückgekehrt bist?«
Sie nickte vorsichtig. Sie spürte Nebelfingers heissen Atem an ihrem Ohr, als dieser fortfuhr: »Wir hatten kurzdarauf ein Gespräch. Wir waren auf dem Weg zur Waffenkammer, um deine Pfeile und den Bogen zu holen und deine Freunde zu befreien.«
»Ich weiss, was passiert ist, ich war dabei. Jetzt spuck's aus!«, brummte Sabrina.
»Und warum flüsterst du überhaupt? Lass das, Flatterjunge! Ich will auch was hören. Das ist doch alles Käse!«, motzte Faritales.
»Ich hatte dir unsere Geschichte Erzählt. Dass mein Vater nicht einwilligen wollte, den Dunklen zu helfen und Königin Damaris meine Brüder und mich verflucht hatte. Um den Fluch zu brechen, war Nimmertiger willig, alles zu tun. So schleppte er uns zu einer Hexe, die schwarze Magie praktizierte. Mondkind sollte uns freikaufen, doch alles ging schief. Weisst du jetzt, von was ich rede, Sabrina? Du hattest mich gefragt, was der Preis war. Mondkinds Preis. Der Preis, der sie für immer verändert hat...«
Sabrina hielt den Atem an.
Der Preis.
Nebelfinger hatte ihr nie erzählt, was es damit auf sich hatte. Nicht einmal die anderen sechs Rabenjungen wussten etwas darüber.
»Der Preis? Was... was ist damit?«, hauchte Sabrina.
»Nicht hier. Die Wände haben Ohren. Komm ins Zimmer von Jeremy Topper. Bring deinen Bruder mit«, zischte er ihr zu, dann wirbelte er herum und verliess den Raum. Im nächsten Moment war er schon aus der Tür. So schnell wie er gekommen war, war er wieder verschwunden, fast so, als wäre er niemals hier gewesen...
»Was hat er gesagt? Was ist los? Alter Falter! Was für ein dramatischer Auftritt, das muss man dem Flattermann schon lassen! Aber was hat er dir erzählt? Jetzt erzähl schon!«, verlangte der Dämon und zupfte an ihren Haaren.
Sabrina musste sich erst einmal setzen. Viele Leben stehen auf dem Spie, das hatte Nebelfinger gesagt. Und alles wegen diesem mysteriösen Preis, den Mondkind vor so langer Zeit hatte zahlen müssen. Der Preis. Ein Geheimnis, das Nebelfinger seit hunderten von Jahren gut behütete. Doch warum? Was war das für ein Preis? Und wieso wollte er ihr dieses Geheimnis verraten? Wieso jetzt? Es musste etwas mit ihrer letzten Traumreise zu tun haben, damit, dass Mondkind sie zum Zeitpalast gebracht und dort zurückgelassen hatte.
»Hallo? Erde an Eisprinzessin! Was. Ist. Los?!«, kreischte Faritales ihr ins Ohr.
»Ist ja gut!«, knurrte sie und verscheuchte ihn von ihrer Schulter. »Es... es ist etwas kompliziert. Es geht um Mondkind und irgendein sagenhaftes Geheimnis.«
»Geheimnis?! Erzähl!«, brüllte der Nachtmahr.
»Pssst! Nicht so laut, du Schreihals. Ich weiss auch nicht mehr, als dass dieses Geheimnis etwas damit zu tun hat, dass Mondkind vor langer Zeit einen Preis an eine Hexe hatte zahlen müssen. Keine Ahnung, was für ein Preis das gewesen ist. Die ganze Sache muss jedenfalls total schief gelaufen sein und hat Mondkind irgendwie... verändert...«
»Du meinst, dass dieser Preis sie zu dieser gehirnamputierten Minipsychopatin hat werden lassen?«
Sabrina verdrehte die Augen und antwortete: »Ja, irgendwie schon...«
»Okay und jetzt?«, fragte der Dämon. Er schien ganz aufgeregt zu sein und erinnerte an einen Hund, der darauf wartete, dass man endlich ein Stöckchen für ihn warf.
»Jetzt«, murmelte sie, »gehen wir meinen Bruder holen.«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now