Kapitel 20 - Feuerraben

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Kapitel 20

Feuerraben


~Mile~

Unruhig stapfte Mile den Flur auf und ab.
»Mile! Mile! Setz dich! Oder leg dich schlafen! Du brauchst deinen Schlaf! Sie ist schon seit drei Tagen bewusstlos! Sie wird dadurch nicht schneller erwachen!«, flüsterte Red.
»Wieso lassen sie mich nicht zu ihr? Aber dieser scheiss Elf, der darf zu meiner Schwester, oder was?«, knurrte Mile und fuhr sich nervös durch die Kupferhaare.
Red hatte ja recht. Er war müde. Sehr sogar. Er hatte seit Sabrina ins Koma gefallen war, kein Auge zugemacht. Er würde es auch nicht können. Er sorgte sich viel zu sehr um sie.
»Du weisst ganz genau, dass sie ohne Eril ihren Arm verloren hätte! Er ist so schnell gerannt wie er konnte, um deine Schwester zu retten. Ausserdem hat er den Alten erschossen. Ohne ihn hätten wir jetzt noch ganz andere Sorgen! Und er ist ein Elf. Er hat magische Kräfte. Er ist gerade dabei mit den anderen Heilern deine Schwester zu reanimieren!«, knurrte Red zurück.
Mile wollte bereits den Mund aufmachen, um ihr zu widersprechen, als die Tür zum Krankentrakt aufschwang.
Ein alter Mann in einem weissen Kittel sah zu ihnen herüber.
»Mr. Beltran? Miss...«
»Miss Rouge!«, half Red ihm.
Der Arzt nickte.
»Unsere Heiler haben getan, was sie konnten.«
Mile schluckte, doch seine Kehle blieb trocken.
»Sie ist erwacht, aber...«
Mile sprang auf.
Erwacht? Er musste sie sehen!
Er rannte auf dir Tür zu und quetschte sich an dem Heiler vorbei.
»Halt! Sie...«, rief der Heiler ihm hinterher, doch Mile hörte ihm nicht zu. Er stürzte in das Krankenzimmer.
Es war steril eingerichtet. Ein einzelnes Fenster erhellte die graublauen Granitwände, die kleine Kommode neben den drei Holzbetten, die von einem aufgespannten Leinentuch voneinander getrennt worden waren. In einem der Betten lag Sabrina. Sie erstaunlich gesund aus. Doch ihr Gesicht hatte einen erschrockenen und verwirrten Ausdruck. Mile wollte einen Schritt auf sie zu gehen, doch dann sah er es. Mile blieb wie angewurzelt stehen.
Kochende Wut. Heiss und gefährlich. Sein Blut wurde zu Magma und sein Körper stand in Flammen.
Feuer tanzte in seinen Händen. Die Flammen gehorchten seinem Willen. Der Vogel sprang von seinen Händen.


~Sabrina~

Helles Licht. Kopfschmerzen. Und ihr Arm tat weh.
Sie grummelte.
»Guten Morgen Püppchen!«, hauchte es an ihr Ohr.
Sofort schlug Sabrina dir Augen auf.
»Eril!«, rief sie. Sein schönes Gesicht schwebte nahe über ihrem. Er sah aus, als wäre ihm ein wahrer Felsbrocken vom Herzen gefallen. Aber es war auch von Sorge, Angst und Müdigkeit geprägt.
Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, streckte sie die Hände aus. Sanft zog sie ihn zu sich herab und küsste ihn.
Erschrocken liess sie ihn wieder los.
Eril sah genauso überrascht aus, wie sie.
Dann küssten sie ihn erneut.
Kraft floss in ihre Glieder und ein wohliges Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Ihr wurde warm ums Herz, doch nun war es nicht wie sonst unangenehm für sie, sondern es war eine Wärme der anderen Art.
Eril löste sich von ihr und starrte sie an.
»Was?«, fragte sie verlegen.
»Du... Bist wunderschön. Wie Schnee...«, murmelte er und zupfte an ihrem Haar herum. Als er seine Hand zurückzog, lag auf seiner Hand eine bereits schmelzende Schneeflocke.
»Bin ich etwa schon wieder so... Kalt?«, fragte sie erschrocken.
Eril schüttelte den Kopf. »Nicht kalt aber... Irgendwie... Ich weiß auch nicht...«, murmelte er und zog sein Schwert, das ihm um die Hüfte hing.
»Was soll denn das werden?«, fragte sie misstrauisch. Lustiger als sie sich fühlte, witzelte sie: »Du wirst mich damit doch wohl nicht etwa abstechen im Krankenbett?«
Er hielt inne, sah irritiert auf sein Schwert und lachte. »Stimmt, auch das weisst du nicht.«Er bedachte sie mit einem überlegenen Lächeln. »Auf Mirulono, der Insel der Drachenreiter, sind Spiegel verboten, darum benutzen wir meist unsere Spiegel, wenn wir unser Spiegelbild sehen wollen. Das ist zwar eigentlich schummeln, aber der Geschuppte Graf scheint dagegen nicht einmal wirklich etwas zu haben. Er scheint nur Spiegel nicht zu mögen.«
»So sehr, dass er Spiegel verboten hat? Warum das denn?« Noch immer hegte sie Misstrauen der scharfen Klinge gegenüber.
»Genau weiss ich das auch nicht. Die einen Behaupten, weil es den Narzissmus in einem stärkt, dabei ist es das höchste Gebot der Reiter und Drachen, unser Volk als Einheit anzusehen. Der Einzelne zählt nicht, nur der Schwarm.«
»Und die anderen? Was sagen die?«
»Die halten es für den Aberglauben des Geschuppten Grafs.«
»Und du? Was denkst du?«
Eril zuckte die Schultern. »Ich habe bisher nie viel darüber nachgedacht. Der Geschuppte Graf weiss, was er tut. Ich leiste Gehorsam.«
Langsam nickte Sabrina. »Okay...«Auch wenn sie nicht wirklich schlau aus diesem Graf wurde, genügte ihr Erils Antwort, der ihr nun den glänzenden Stahl vors Gesicht hielt, damit sie sich betrachten konnte.
Weisse Haut. Weinrote Wangen und Lippen. Dunkelblonde Haare, in denen Schneeflocken hingen. Und die Eisaugen. Strahlend blau und durchdringend. Wie jetzt? Ging dieses... Eisprinzessinnen Ding etwa nicht mehr weg?
Plötzlich wurde es hell in den Krankenzimmer. Und heiss. Sehr heiss.
Ein schwarzer Blitz.
Eril schrie auf und taumelte zurück. Ein Vogel, schwarz wie die Nacht, flatterte kreischend und krächzend um den Elf herum.
Eril drehte sich entsetzt um sich selbst, versuchte den Vogel nicht aus den Augen zu lassen.
»Was ist das?«, fragte Sabrina erschrocken.
Eril besann sich auf das Schwert in seiner Hand. Er hieb nach dem Vogel, doch der wich ihm geschickt aus.
»Ich... Ich weiss nicht!«, rief Eril. »Es sieht aus wie... Wie ein Rabe!«
Ein Rabe?
Der Vogel krächzte und stürzte sich erneut auf den jungen Reiter. Eril duckte sich, sprang auf und drehte sich. Sein Schwert blitzte silbern auf und fuhr durch den Raben hindurch. Doch nichts geschah! Das Schwert glitt durch das schwarze Feuer. Die Flammen loderten auf und nahmen wieder die Form des Raben an.
Sabrina setzte sich auf.
Stechender Schmerz in ihrem Arm!
Sie krempelte den Ärmel ihres weissen Nachthemds hoch und sog erschrocken dir Luft ein. Ein tiefer, sichelförmiger Schnitt.
Das musste die Wunde sein, die der Alte ihr zugefügt hatte... Dieser Schnitt musste eine wichtige Arterie oder Vene durchtrennt haben, doch er war erstaunlicherweise bereits verheilt, nur eine silberne Narbe glänzte noch auf ihrer weissen Haut.
Sabrina war sich intuitiv drei Dingen sicher. Erstens, nach einer solchen Verletzung wäre sie wenigen Minuten darauf verblutet. Zweitens, die Wunde war mit Magie geheilt worden. Drittens, Eril hatte sie gerettet.
Sie biss die Zähne zusammen und schwang die Beine über das Bett.
»Bleib sitzen Sabrina! Du brauchst Ruhe! Es ist ein Wunder, dass du bereits wieder wach bist!«, schimpfte Eril und wich einem erneuten Angriff des Vogels aus.
Eril hatte Recht. Sie fühlte sich alles andere als kampfbereit. Sabrina sah sich hilfesuchend um. War denn niemand da, um Eril zu helfen?
»Mile! Zum Glück bist du... Mile? Was tust du da?!«
Mile stand im Türrahmen des Krankenzimmers. Er hatte seine Arme ausgestreckt, die Handflächen nach oben gedreht. Seine Augen waren geschlossen. Seine Lippen bewegten sich, stimmten einen stillen Sprechgesang an. Seine Haare loderten. Seine Haut leuchtete goldenen. Sabrina spürte das Feuer in ihm. Die brennende Wut und den lodernden Hass, auf das Wesen, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.
Sabrina verstand nicht. Eril hatte sie gerettet! Wieso kämpfte Mile gegen ihn? Und was war das für ein Feuervogel? Was war das für eine Magie?
»Mile! Mile nicht!«, schrie Sabrina verzweifelt.
Ihr Bruder rührte sich nicht. Er war wie in Trance.
Sabrina rutschte von dem Bett. Ihre Füsse trafen auf den steinernen Grund. Sie stemmte such hoch. Ihre Knie zitterten und sie musste sich an dem Bettpfosten festhalten, um nicht umzukippen.
»Sabrina! Nicht!«, schrie Eril.
Er wollte auf sie zukommen. Sein Blick wanderte von dem Raben zu ihr herüber.
»Nein!«, keuchte Sabrina, doch es war zu späht. Der Rabe nutzte seine Chance.
Der schwarze Feuervogel stürzte sich auf den Elf. Seine Krallen gruben sich in Erils Hinterkopf. Seine dunkelbraunen Haare wurden mit Blut durchtränkt.
Er schrie gellend auf. Sein Schwert rutschte ihm aus der Hand und fiel klirrend zu Boden. Er hieb mit den Händen nach dem Vogel, doch der Rabe krächzte nur triumphierend und pickte nach der Hand des Elfs.
»Eril! Nein!«, schrie Sabrina.
Die Angst verlieh ihr Kraft und das Eis schoss durch ihren Körper.
Sabrina drehte sich zu ihrem Bruder um. Noch immer stand er im Türrahmen, doch seine Augen waren geöffnet. Sein Blick fixierte den jungen Drachenreiter, der sich vor Schmerzen windet am Boden lag.
Sabrina wusste was sie zu tun hatte.
»Tut mir leid, Bruderherz«, flüsterte sie.
Eine Eiskugel traf ihren Bruder mit voller Wucht am Kopf. Ihr Bruder brach, sobald die Kugel ihn berührt hatte, zusammen.
Der Rabe kreischte.
Sabrina wirbelte herum.
Eril lag am Boden. Seine Kleider waren zerfetzt. Die Haut darunter glänzte rot.
Seine blaugrauen Augen waren auf sie gerichtet. Er sah sie an, als wollte er, dass sie das letzte sein sollte, was er zu sehen bekam.
Der Rabe liess von seiner Brust ab. Er schwang sich in die Höhe, dann stürzte er erneut hinab. Doch die schwarzen Flammen lösten sich nicht auf. Sie stürzten in einem Knäul aus schwarzen Feuerfedern auf den geschundenen Elf zu.
»Nicht!«, schrie Sabrina.
Sie stürzte los, wollte sich vor Eril werfen, doch die Schwerkraft wollte nicht mitspielen. Die Zeit schien gegen sie zu spielen. Das Feuer schoss rasend schnell auf Eril zu. Sabrina streckte die Hand aus. Dann traf der Rabe ihn. Schwarze Flammen umhüllten ihn. Ein Zischen, dann versiegte das Feuer.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now