Kapitel 11 - Von Schnee im Haus und Rosen aus Feuer

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Kapitel 11

Von Schnee im Haus und Rosen aus Feuer


~Sabrina~

Das Holzhäuschen war alt und lehnte an einem steinernen Hang. Es hatte ein windschiefes Dach aus altem Stroh. Aus kleinen, schiefen Fensterchen fiel ein warmes, einladendes Licht. Aus einem steinernen Kamin strömte weisser Rauch. Musik, Stimmen und lautes Gelächter drangen durch die dünnen Holzwände der Hütte.
»Das sieht ja aus wie in diesem Walt Disney Film!«, flüsterte Sabrina ihrem Bruder zu.
Mile lächelte und nickte.
Red stapfte ohne zu zögern auf die kleine Tür des Hauses zu hämmerte mit der geballten Faust dagegen.
»Zwerge! Macht die Tür auf! Ich bin's! Red! Und ich habe Besuch mitgebracht! Doc! Grumpy!«, rief sie.
Die Musik in der Hütte, die Stimmen und das Gelächter verstummten.
Schritte waren zu hören. Dann rief einer der Zwerge auf der anderen Seite der Türe: »Red? Besuch? Wir lassen euch herein!«
»Doc! Das verdammte Passwort! Wie oft muss ich es dir noch sagen!«, knurrte eine grimmige Stimme, bevor der Doc die Tür öffnen konnte.
»Ääh... Ach ja, das Passwort! Ja, genau! Wie lautet das Passwort?«, fragte die Stimme, die wohl Doc gehören musste, eifrig.
Red verdrehte die Augen.
»Schneewittchen kann uns mal!«, rief sie laut.
Sabrina runzelte die Stirn. DAS war das Passwort?!
Die Tür öffnete sich quietschend und sieben neugierige Gesichter glotzten die drei an.
Red schob den Zwerg, der im Türrahmen stand, beiseite und stapfte hinein.
Zögernd folgten Sabrina und Mile ihr, wobei Mile den Kopf einziehen musste, um ihn sich nicht an der niedrigen Decke zu stossen. Oskar, der Wolf blieb draussen, worüber Mile froh war, denn das grosse, schwarze Tier schien ihn regelrecht zu beobachten.
Das Zimmer war angenehm warm. Jedenfalls für Red und Mile. Sabrina war es natürlich zu heiss.
Ein weicher Teppich bedeckte den Holzfussboden. Über einem knisternden Kaminfeuer, brodelte eine Suppe in einem verbeulten Kessel. An den Wänden hingen Felle und ein Elchskopf, der als Kleiderständer diente. Neben der Tür lehnten sieben, blitzblank polierte Spitzhacken.
Eine Leiter führte in den oberen Stock. Dort musste das Schlafzimmer sein.
In der Mitte des Zimmers stand ein grosser, quadratischer Tisch, der bereits gedeckt war.
Auf den Sitzbänken, die links und rechts daneben standen, sassen die Zwerge.
»Zwerge, das sind Mile und Sabrina«, stellte Red die Geschwister vor.
»Und das sind Doc, Grumpy, Sleepy, Happy, Bashful, Sneezy und Dopey«, zählte sie auf.
Die Zwerge waren... Nun ja, klein. Alle hatten sie riesige Ohren und knubbelige Nasen.
Doc, der grösste der sieben, trug einen langen, buschigen, weissen Bart. Er hatte ein nettes Gesicht und grosse Augen.
Happy hatte einen braunen Vollbart, lustige Augen und einen stehst lächelnden Mund.
Grumpy hatte einen schwarzen Vollbart, dunkle, grimmige Augen und seine Mundwinkel hingen steil nach unten.
Sleepy trug ein Ziegenbärtchen. Er hatte tiefe Augenringe und seine Augenlieder fielen ihm ständig zu. Er hatte ein seliges Lächeln auf den Lippen, was ihn irgendwie ziemlich high aussehen liess, wie Mile amüsiert feststellte.
Und Sneezy sah erkältet aus. Seine Nase war knallrot und triefte. Er hatte keinen Bart, was auch gut war, denn der Zwerg schien nichts von Taschentüchern zu halten.
Bashful hatte einen Schnauzbart. Er hatte den Blick gesenkt und seine Wangen waren gerötet. Er knetete nervös seine Finger und traute sich kaum, seinen Besuchern in die Augen zu sehen.
Dopey war glattrasiert. Seine Kleider waren ihm mindesten drei Nummern zu gross und seine Zipfelmütze rutschte ihm dauernd über die grossen, neugierigen Augen. Wenn er lächelte kam eine große Zahnlücke zum Vorschein, denn sein rechter Schneidezahn fehlte.
Die Zwerge beäugten die Fremden mit einer Mischung aus Neugier, aber auch mit Angst und Skepsis.
»Wieso hast du sie hier her gebracht? Wer sind sie? Ich kenne sie nicht!«, knurrte Grumpy und brach damit das Schweigen.
Red zog ihren roten Umhang aus und hängte ihn an das Geweih des Elchs.
»Sie sind mir gefolgt. Oskar hat mal wieder das Portal durchschritten. Er ist Mondkrank, müsst ihr wissen. In unserer Welt gibt es zwei Monde. Den Feuer und den Eismond. Der Feuermond ist rot und der Eismond blau. Das Problem ist, Oskar ist süchtig nach dem Mond in der sterblichen Welt«, erklärte Red den Geschwistern, die etwas verloren neben dem Elchskopf standen.
»Nun jedenfalls habe ich Oskar eine Weile durch den sterblichen Wald laufen lassen. Irgendwann habe ich ihn dann zurückgepfiffen. Als er zurückkam, muss er wohl von diesen zweien hier gesehen worden sein. Sie haben ihn verfolgt und dann haben sie mich gesehen. Jedenfalls haben sie das Portal gefunden und nun sind sie hier.«
»Das kann nicht sein! Nur magische Wesen oder Märchengestalten können in die Märchenwelt gelangen!«, rief der Doc erstaunt.
Mile zögerte. Dann trat er einen Schritt vor.
»Ich... Ich weiss, das klingt komisch... Aber, vielleicht sind wir auch so etwas wie... Magische Wesen«, sagte Mile und zuckte mit den Schultern.
»Was soll an dir magisch sein?«, fragte Grumpy abfällig und schenkte sich etwas Bier in seinen Humpen.
Mile wechselte einen Blick mit seiner Schwester.
»Vor etwa einem Monat... Sterblicher Zeit, haben meine Schwester und ich... Gewisse Fähigkeiten von uns entdeckt, die kein normaler Mensch haben kann...«, begann er zögerlich.
Red starrte ihn an. Ihre Mine war ernst.
»Was für Fähigkeiten?«, fragte sie sofort.
Mile zögerte.
»Fähigkeiten, wie diese hier!«, rief Sabrina.
Sie trat einen Schritt vor.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Im nächsten Augenblick begann sie auch schon, bläulich zu leuchten. Im nächsten Moment spürte Mile etwas Kaltes auf seiner Haut.
Er blickte auf und lächelte.
Es schneite. Mitten im Zimmer.
Die Zwerge und Red schrien auf.


~Mile~

Mile grinste und rief: »Oder das hier!«
Er schloss die Augen und konzentrierte sich.
Er beschwor die Hitze in sich. Er dachte an alles, was er gern hatte, denn das verstärkte das heisse Gefühl in seinem Herzen, was die Quelle zu seiner Macht zu sein schien.
Da tauchte plötzlich das Gesicht von Red in seinen Gedanken auf und er hatte eine Idee.
Er streckte die Hand aus und lenkte die Hitze in die Mitte seiner Handfläche.
Er öffnete die Augen.
In seiner Handfläche wurde es hell. Eine flammende Blume spross in seiner Hand. Eine Rose aus Feuer.
Er holte Luft und pustete die Blume an. Ihre Blütenblätter lösten sich und schwebten auf Red zu. Sie umwirbelten sie und einen Moment war Red von gleissendem, goldenem Licht umhüllt, dann verpuffte das Feuer und zurück blieb Stille.
Es hatte, dank Sabrina, aufgehört zu schneien, doch den Zwergen hing noch immer Schnee in den Haaren.
Red starrte Mile mit offenem Mund an.
Doc hatte seine Sprache zuerst wiedergefunden.
»Zwerge! Kniet nieder vor den Herrschern! Red hat sie uns zurückgebracht. Die Herrscher der Gezeiten. Der Lichterlord und die Eisprinzessin sind zurückgekehrt.
Alle sieben Zwerge rutschten von ihren Bänken und knieten sich nieder. Red starrte noch immer Mile an. Langsam sank auch sie auf die Knie.
Es war totenstill in dem Holzhäuschen der sieben Zwerge.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt