Kapitel 38 - Das Schicksal der Verfluchten

3.1K 174 23
                                    


Kapitel 38

Das Schicksal der Verfluchten


~Mile~

»Aber Mylord, Ihr müsst doch verstehen, dass wir nur im Wohle aller handeln. Es ist von Nöten, dass wir...«
»Nein!«, rief Mile und lief schneller.
Die Wesen, die über den Marktplatz eilten, beladen mit Nahrung, Waffen und allerlei anderen alltäglichen Haushaltsmitteln, sahen erschrocken zu ihm herüber. Aber was sollte er tun? Er hatte höflich versucht, seine Verfolger los zu werden, aber die zwei Männer liessen nicht locker.
Nach LaRuh war Aramesia zu der ersten richtigen Heimat für viele Rebellen geworden.
Natürlich war allen klar, dass dieser Frieden nicht ewig währen würde. Irgendwann würde Sabrina, die Eisprinzessin von ihrer Mission zurückkehren und dann...
»Ich weiss, dieses Vorgehen ist nur schwer mit Eurer Moral zu vereinbaren, Eure Lordschaft, doch es gibt keine andere Möglichkeit...«
Wieso musste ausgerechnet er die Gene eines Herrschers in sich tragen? Wieso musste ausgerechnet er immer solche Entscheidungen treffen? Und wieso, wieso waren diese Bluthunde dann partout nicht mit seinen Entscheidungen zufrieden?!
»Ich habe nein gesagt! Und wenn Sie beide sich jetzt nicht gleich vom Acker machen, lasse ich Sie frittieren und flambieren und werde Sie zu Abend auftischen lassen! Ich bin sicher, König Löwenherz wird begeistert sein, mal wieder richtiges Fleisch zwischen die Zähne zu bekommen!«, brüllte er nun. Um seinen Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen, liess er kurz seine Hände in Flammen stehen.
Und es wirkte... Nicht.
»Mein Herrscher«, begann der kleinere der beiden Männer, »vielleicht sollten wir dies nicht auf der Strasse, in aller Öffentlichkeit noch dazu, klären!«
Oh, wie er den Kerl hasste...
Er hatte früh morgens, noch vor der Sitzung des kleinen Rates, ein Gespräch mit Ikarus führen wollen. Darum war er noch im Morgengrauen aufgestanden, um die Drachenställe auf zu suchen.
Ikarus hatte ihm diese Story nun sicher schon zu zehnten Mal erzählt.
Er hatte die Truppe aus Drachen angeführt. Sie waren in die Richtung geflogen, von der die Späher des Wolkenvolkes behauptet hatten, die Trolle gesehen zu haben.
Tatsächlich waren dort auch Trolle gewesen. Ein ganzes Duzend von ihnen.
Doch nebst den Trollen hatten die Drachenreiter ein weiteres Wesen entdeckt. Dieses Wesen schien menschlich. Die Trolle transportiert es in einem hölzernen Käfig, wie einen Vogel...
Und dieses Vögelchen hatten sie befreien wollen.
Sie hatten die Trolle wie geplant beseitigt. Der Feuertod war ein reiner Tod...
Dann hatten sie den Käfig geöffnet, doch dessen Inhalt war kaum mehr mit einem unschuldigen Vöglein zu vergleichen... Nein, in diesem Käfig hatte zusammengerollt und schlafend Feivel.
Feivel, der Rattenfänger von Hameln, der vor tausenden von Jahren in der Märchenwelt hunderte von Kindern aus ihren Dörfern entführt hatte. Er hatte sich damals des Nachts vor die Tore von Städten und Dörfern gestellt und dann gespielt. Sein verhängnisvolles Flötenspiel, welches Kinder aus den Betten lockte, um ihrem Flötenspieler, ihrem Rattenfänger zu folgen.
»Verdammt noch mal, ich habe nein gesagt. Hier wird niemand gefoltert. Niemand!«, knurrte Mile und rannte nun noch schneller. Er versuchte diesen Typen zu entkommen.
Seine Verfolger wollten ihn dazu bringen, ihnen die Erlaubnis zu geben, Feivel zu foltern. Sie wollten endlich herausfinden, was mit den entführten Kindern geschehen war, wo die Kinder nun waren und was der Grund für die Tat war. Denn Feivel schwieg und konnte mit humanen Mitteln einfach nicht zum Sprechen gebracht werden. Schon seit Wochen versuchte man mit dem Rattenfänger zu reden, doch dieser blockte, sprach kein Wort...
Und nun verfolgten ihn diese zwei Männer.
Beides Menschen.
Beides Folterknechte.
Aber Mile war doch kein Barbar! Wie könnte er so etwas Schändliches wie Folter erlauben, wo er doch für die Freiheit und das Gleichgewicht kämpfte? Wie könnte er eine solche Verletzung der Menschenrechte erlauben?
Eines wusste er genau: Wenn er irgendwann sein Amt als Herrscher über die Märchenwelt offiziell annähme, würde er einiges ändern.
Er wollte keine Monarchie, er wollte keine Folter, keine Tyrannei. Er wollte eine gerechte Demokratie, so weit wie das möglich war.
So wie in England vielleicht... Wo es noch immer Könige gab, die auch ein Mitspracherecht hatten, aber es genauso Parteien und Wahlen gab.
Natürlich war klar, dass es in der Märchenwelt niemals eine reine Demokratie geben konnte, denn hier existierte Magie. Mile und Sabrina würden immer die Herrscher der Gezeiten bleiben, sie hatten nun mal die Macht über Sommer und Winter...
So rannte er weiter. Da er keine Rüstung trug war er wendig und schnell. Er tauchte in der Menge unter, machte sich unsichtbar, war wie eine Flamme. Eine Flamme, der hellste Stern in der Nacht, aber im Lichte der Tagessonne so unbedeutend wie ein Tropfen Blut in der stürmischen See.
Und er hängte die Folterknechte ab.
Fürs erste war er sie los, doch wie lange würde es gehen, bis sie ihn fanden? Er musste sich etwas einfallen lassen!
Zwar war er der Lichterlord, doch die Nachricht, dass ihr Herrscher nicht fähig war, Antworten aus einem Verbrecher zu bekommen, würde sich schnell unter den Rebellen verbreiten.
Mile musste sich etwas einfallen lassen.
Der Flötenspieler musste sprechen!

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now