Kapitel 47 - Einmal Monster, immer Monster

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Kapitel 47

Einmal Monster, immer Monster


~Mile~

Es war wie ein Lied.
Gespielt von Instrumenten aus scharfem Metall.
Die Noten aus den Schatten, die der Himmel warf.
Den Rhythmus gab der Donner vor und der Regen sang in traurigem Moll.
Jeder Ton durchschnitt die Luft.
Klirrende, metallische Klänge ...
Es war wie ein Lied.
Aber das war es nicht.
Kein Lied. Nur ein Kampf.
»Weisst du, Mile, ich denke, der wahre Grund, wieso du mich loswerden willst, ist, dass du es nicht ertragen kannst, dass du nicht mehr der Mittelpunkt in Sabrinas Welt bist. Sie hat mir von dir erzählt, weisst du?«
Mile brüllte vor Hass. Er wirbelte herum und griff an. Wie ein Verrückter hieb er nach Hook. Doch dieser parierte jeden von Miles Versuchen mit seinem Degen oder seinem Haken und grinste dabei so gelassen, dass es ihn in den Wahnsinn trieb.
Wenigstens konnte sie hier niemand stören. Dieser Ort war abgelegen, gut versteckt und schwer zu finden. Er lag irgendwo in der Nähe der Tierställe wo die normalen Reittiere der Rebellen untergebracht waren. Also keine Drachen, sondern Pferde, Riesenwühler und viele weitere. Vermutlich war auch Astrar dort untergebracht.
Doch hier waren sie alleine.
Hier. In einer Sackgasse.
An den alten, bemoosten Mauern lehnten kaputte Bänke, Stühle und Tische. Das Holz war morsch und von Pilzen übersät. Über einer zubetonierten Türe hingen eine Laterne und ein zerbrochenes Schild. Auf dem Laternenarm hockte eine Schleiereule, die gerade ihre Beute in Form einer zerrupften Ratte verschlang.
Hook und Mile umkreisten sich eine Weile, dann schnellte Mile vor, rutschte jedoch auf den regennassen Pflastersteinen aus und bohrte so sein Schwert in einen morschen Tisch. Fluchend riss er Kayat aus dem Holz heraus und drehte sich zu seinem Feind um. Der Pirat wartete schon auf ihn.
»Sie hat mir von dir erzählt, ja, das hat sie. Sie war traurig. Sie sagte, du hättest sie im Stich gelassen. Früher sei das anders gewesen, doch jetzt...«
»Halt die Klappe!«
»Jetzt hast du diese Red und alles andere ist dir scheissegal. Selbst deine Schwester lässt du im Stich.«
»Niemals!«, schrie Mile und stach zu.
Hook machte einen Satz zur Seite und griff seinerseits an.
Mit seinem Degen war er schnell. Die Klinge zischte durch die Luft. Es war ein Kavalleriedegen. Keiner dieser Sportdegen, deren Klingen wie lange, dünne Nadeln aus dem kuppelähnlichen Handschutz, der „Glocke", herauswuchsen. Der seine sah edel aus. Eindeutig Zwergenarbeit. Der Griff war hölzern und mit schwarzem Leder umwickelt. Der Knauf hatte die Form eines Totenschädels und war aus Elfenbein geschnitzt. Die Klinge war circa dreiviertel Meter lang und zweieinhalb Zentimeter breit. Sie war zweischneidig und wie die Glocke reich verziert. Dazu kam natürlich, dass die Waffe sehr scharf und tödlich war...
»Und nun bist du eifersüchtig auf mich, weil sie mich mag und mir vertraut. Doch dich meidet sie. Ihr habt euch anscheinend auseinandergelebt, nicht wahr?«
Natürlich wollte der Pirat ihn provozieren. Das war so seine Art. Hinterlistig und gemein.
Und es wirkte, verdammt! Ja, es wirkte!
Jedes Wort schmerzte Mile mehr, als es Hook mit seinem Degen erreichen könnte...
Und der Captain machte weiter: »Dabei ist sie doch glücklich! Bei Klyuss, wieso kannst du ihr ihr Glück nicht gönnen? Wieso kannst du es uns nicht gönnen?«
Mile parierte, blockte, sprang zur Seite und duckte sich. Hook war schnell, gewitzt und geschickt. Doch er war auch unkonzentriert und Kayat war seinem Degen bei weitem überlegen.
»Das nennst du Glück, Pirat? Das soll Glück sein? Du hast ihr heute weh getan!«, schrie Mile und riss sein Schwert hoch.
Hook taumelte zurück. Wegen Miles Worten oder um der Klinge auszuweichen, er hätte es nicht sagen können.
Aber nun hatte Mile eine Schwachstelle des Captains entdeckt. Sabrina!
»Das war ein Unfall!«, verteidigte sich Hook und seine Überheblichkeit wich, um der Wut Platz zu machen.
»Ein Unfall, der sie ein Auge hätte kosten können!«
»Hat es aber nicht!«
Fast ein bisschen verzweifelt klang Hooks Stimme, so kam es Mile jedenfalls vor...
Der Captain machte eine halbe Drehung und liess seinen Degen durch die Luft zischen.
»Und das nächste Mal? Wirst du ihr die Pulsadern ausversehen aufschlitzen?«, rief Mile und liess Kayat mit ganzer Kraft gegen den Degen krachen.
»Bei Klyuss! Du hast doch nicht mehr alle Segel an den Masten!«
Hook machte einen Satz und rannte um Mile herum. Er sprang über einen halbierten Beistelltisch und landete geschickt auf einem umgekippten Schrank. Er schlitterte über das demolierte Möbelstück und kam hinter Mile auf dem Pflasterstein auf.
Der junge Lichterlord fuhr herum und starrte auf die Spitze des Degens. Die Klinge schwebte genau vor seiner Nase.
Mile erschrak so sehr, dass es ihm die Sprache verschlug.
Einen Moment hörte man nichts ausser das Plätschern des Regens. Es donnerte. Die Schleiereule, die noch immer auf dem Laternenarm sass, gab ein langgezogenes Kreischen von sich. Dann war da wieder nur der Regen und der schnelle, schwere Atem der Kämpfenden.
»Nun?«, keuchte Mile spöttisch. Er hob den Blick von der Klingenspitze und starrte in die blauen Augen des Piraten.
»Was jetzt? Wirst du mich umbringen? So wie all die anderen Wesen, die du auf dem Gewissen hast? Wirst du mich aufschlitzen und verblutend in dieser Gasse liegen lassen?«
Hook lachte freudlos auf.
»Ich muss gestehen, du bringst mich in Versuchung. Aber nein. Nein, ich will nur, dass du mich in Ruhe lässt!«
Mile runzelte die Stirn und knurrte: »Dann musst du mich schon töten. Ich werde nicht locker lassen. Halte dich fern von meiner Schwester!«
Der Pirat sah ihn ausdruckslos an. Auf einmal wirkte er sehr, sehr müde. Zu Miles Erstaunen liess er seinen Degen sinken, liess ihn zurück in seine Scheide gleiten und lief davon.
»Halt!«, knurrte Mile.
Der Captain hörte nicht auf ihn.
»Stopp!«, brüllte er.
Keine Reaktion.
Nun gut! Wer nicht hören will, muss fühlen!
Mile konzentrierte sich auf seine Vorstellungskraft. Es war Zeit, seine Gabe zu nutzen!
Im Geiste kreierte er eine Mauer, die sich vor dem Pirat aufbauen und ihn aufhalten sollte.
Im nächsten Moment war ein Krachen und dann ein Fluch zu hören.
»Heiliger Klabautermann! Wo kommt denn die auf einmal her?!«
Der Pirat starrte die Fata Morgana an, die Mile erschaffen hatte.
»Vielleicht hat Gott diese Wand erschaffen. Vielleicht ist er meiner Meinung...«, knurrte Mile zynisch und grinste.
»Ich glaube nur an eine Göttin und ich glaube, Klyuss ist es scheissegal, dass ich was mit der Schwester des Lichterlords habe.«
Hook drehte sich mit gezücktem Degen zu ihm um und fragte grimmig: »Wie hast du das gemacht?«
»Das tut nichts zur Sache. Ich versuche nur, meine Schwester zu beschützen.«
»Du brauchst sie nicht zu beschützen. Jedenfalls nicht vor mir!«
»Muss ich wohl!«
»Aber warum? Was hast du gegen mich? Ich würde ihr niemals etwas antun! Vor was musst du sie schützen?«
»Vor Monstern. Vor Ungeheuern wie dir! Ich weiss nicht, wie sie auf die Idee gekommen ist, sich mit einem Finsterling wie dir abzugeben!«
Der Captain wurde etwas blass.
»Ich wollte niemals ein Monster sein. Ich... ich hatte keine Wahl!«
Mile schnaubte abfällig und stützte sich auf sein Schwert.
»Du hattest keine Wahl? Man hat immer eine! Immer. Du kannst dich für das Richtige entscheiden oder für das Falsche. Gnade oder Blut. Tod oder Leben. Man hat immer eine Wahl.«
Hook kniff die Augen zusammen, machte einen Ausfallschritt und streckte die Klinge nach vorn.
»Willst du reden oder kämpfen.«
Mile liess sein Schwert kreisen und schlug die Klinge seines Gegners weg.
Es folgte ein weiterer Tanz der Klingen. Unerbittlich prallten die Waffen gegeneinander. Doch nun war es irgendwie anders... Die Leidenschaft war weg. Keiner der beiden Krieger versuchte den anderen zu provozieren, beide schwiegen.
Schliesslich sprach Hook aus, was ihn anscheinend so beschäftigte, dass er nichtmehr mit Leib und Seele kämpfen konnte: »Du beschuldigst mich, ein Monster zu sein... Wieso?«
Geschickt wich er Miles Schwertstoss aus. Der Pirat wollte reden? Gut! Das würde den Mistkerl vielleicht vom Fechten ablenken!
»Weil du eines bist«, antwortete Mile und schlug weiter zu. Pariert, geblockt... Der Pirat hatte einfach zu viel Kampferfahrung!
»Nein, das ist nicht wahr!«, knurrte Hook und schüttelte den Kopf, fast so als wolle er sich selbst überzeugen.
»Ach nein? Und wieso nicht? Du bist ein Pirat, Mörder und Verbrecher. Du hast zu viele Leben genommen, als dass du noch eine Chance bekommen könntest. In der Welt aus der ich komme würde einer wie du in einer Einzelzelle, mindestens fünfzigmal Lebenslänglich absitzen ohne Bewährung. Du bist ein Verbrecher! Du magst dich auch noch so „verändert" haben - was ich dir übrigens nicht abkaufe – du bist und bleibst ein Ungeheuer!«
Das schien den Piraten nun doch so wütend zu machen, dass er wieder richtig zuschlug. Er holte aus und drosch auf Mile ein. Kein Hieb traf, doch jeder geblockte Schlag liess ein Zittern durch seinen Körper fahren.
»Was glaubt Ihr eigentlich, wer ihr seid, Prinz von und zu Allerheiligst?! Was weisst du schon von mir, Mile? Du kennst mich nicht. Alles was du von mir zu wissen denkst hast du aus dummen Märchenbüchern von dem Klischee, alle Piraten wären schreckliche, blutrünstige Biester, die nichts anderes tun, als zu töten, rauben und zu vergewaltigen! Was denkst du, wer und was wir sind? Auch wir haben Herzen. Gut, nicht alle werden so rein sein, wie das deine, doch auch wir können Liebe und Glück fühlen. Wir wissen, was Treue und Güte ist! Ja, verdammt, so ist es und so wird es immer sein! Und ich weiss, dass du mir nicht glaubst, wenn ich sage, ich wäre nicht mehr derselbe. Aber es ist nun einmal wahr! Ich habe mich verändert, seit ich deine Schwester kenne. Sie sieht etwas in mir, dass ich schon lange verloren geglaubt hatte!«
»Pha!«, rief Mile und ging zum Gegenangriff über.
Der Pirat mochte mehr Kampferfahrung haben, doch auch Mile war stark geworden. Durch seine Adern floss das Blut und somit die Kraft eines Lichterlords.
Immer wieder krachte die rote Klinge auf die seines Gegners. Immer wieder.
»Sie sieht etwas an dir? Ich bitte dich! Das einzige was sie sieht ist ein gutaussehender Kerl, der ihr etwas von Liebe vorjammert! Und nein! Nein! Du hast nicht das Recht zu lieben. Wie vielen hast du sie gestohlen, die Liebe. Du hast sie so vielen weggenommen, Menschen, die geliebt wurden. Du hast sie ausgelöscht, als wären sie Käfer, die du unter deinen Piratenstiefeln zerquetschen kannst. Ich kann es nicht ertragen, wenn ich nur daran denke, wie du Sabrina auch nur berührst. Wie du sie anfasst mit deinen Händen, die mit Blut verschmiert sind!«
»Ich habe aufgehört, so viele zu töten!«
»Und was ist, wenn du wieder damit anfängst?«
Ducken, abrollen, aufspringen, zustechen...
»Nein!«
»Was ist, wenn du es zu vermissen beginnst? Was ist, wenn du plötzlich wieder Gefallen daran findest? Was ist, wenn du eines Nachts aufwachst und dicht danach sehnst? Nach warmem Blut und den Schreien deiner Opfer? Es stimmt doch, nicht wahr? Es gab doch Zeiten, in denen dir das gefiel? Zu spüren wie das Leben aus deinem Opfer schwindet.«
»Das ist lange her...«
Schlagen, parieren, zustechen und reissen...
»Nicht lange genug. Ich bitte dich. Niemand kann seine Natur ändern. Du bist, wer du bist. Ein Pirat. Jetzt magst du dich noch zusammenreissen können, doch was ist, wenn du das nächste Mal wütend wirst und dich nicht zurückhalten kannst? Wann hast du das letzte Mal getötet?«
Hook gab keine Antwort. Er presste die Lippen aufeinander und focht stur weiter.
»Dann ist es also nicht allzu lange her.«
»Es war Medusa! Sie ist ein Monster! Sie... sie ist schuld an dem Tod meiner... meiner Schwester!«
»Und das macht es besser? Du wirst Sabrina das Herz brechen!«
»Nein! Wieso sollte ich?«
Hook schien immer verzweifelter zu werden. Immer wütender...
»Ich bitte dich! Es liegt in deiner Natur. Du bist ein Monster!«
Ausweichen, abwehren, springen, abrollen...
»Bist du der Meinung, ein Pirat darf keine Liebe empfinden?«, rief Hook. »Denkst du, ich sehe mich als Helden? Ich weiss ganz genau, dass ich nicht gut genug für sie bin. Aber ich kann mich nicht von ihr fernhalten. Sie rettet mich jeden Tag vor mir selbst. Sie ist es, die mir Hoffnung gibt. Immer wenn sie mich anlächelt... immer dann denke ich, dass ich noch eine Chance habe. Durch sie kann ich glauben, dass ich mich ändern kann, mich schon geändert habe. Ich wollte niemals einer von den Bösen sein. Ich hatte nur nie eine andere Wahl.«
Mile lachte freudlos und zischte: »Du hast sie nicht verdient!«
Der Pirat stolperte rückwärts und prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Mile hatte einen guten Schlag gelandet. Ein feiner Schnitt zog sich über den Rücken der gesunden Hand des Piraten. Sein Degen klirrte auf den Pflasterstein. Der Captain liess sich jedoch nicht lange aus der Fassung bringen. Blitzschnell hatte er sich wieder im Griff, bückte sich hinab und schnappte sich seine Waffe.
Doch auch Mile war schnell.
Sehr schnell.
Als der Pirat sich wieder aufgerichtet hatte, war Mile bereits zur Stelle. Kayats Klingenspitze schwebte direkt unter Hooks Kinn und drückte ihm an die Gurgel.
Der Captain atmete schwer, dann lachte er und lehnte seinen Kopf an die feuchte, kalte Hauswand.
»Du hast gewonnen Lichterlord«, zischte er und liess seinen Degen fallen, doch das metallische Klirren wurde dieses Mal von dem Donner übertönt.
So standen sie da. Eine ganze Weile. Mile, der den Piraten mit seinem Schwert an die Kehle drückte und Hook, der trotzig an der Wand lehnte.
Irgendwann fragte Mile leise: »Du liebst sie also?«
»Was soll das?«, knurrte Hook ausweichend.
»Liebst du sie?«
Erst schwieg der Pirat. Sein Blick war durchdringend. Schliesslich holte er tief Luft und antwortete mit fester Stimme: »Mehr als alles andere.«
Mile nickte.
»Und liebt sie dich auch?«
Hooks Blick wanderte in die Ferne. Er liess sich Zeit, doch dann murmelte er mit schmerzverzerrter Mine: »Ich weiss es nicht...«
Mile liess Kayat zurück in seine Scheide gleiten. Irgendwie hatte er das Gefühl, der Pirat würde ihm nun nichts mehr tun, denn er sah gebrochen aus. Den Kopf gesenkt, die Schultern hängend. Gebrochen...
»Dann geh, bevor sie es tut. Geh, damit sie sich nicht in dich verliebt und du ihr das Herz brechen kannst, was unvermeidlich sein wird. Sieh dich an! Du bist ein Monster und du wirst dich niemals ändern! Aber wenn du sie wirklich liebst, wenn du Sabrina liebst, dann geh. Geh und gib ihr eine Chance. Sie hat etwas Besseres verdient!«
Langsam hob Hook den Kopf. Das schwarze, nasse Haar klebte ihm in der Stirn. Seine blauen Augen waren leer, als hätte jemand das Licht in ihnen ausgelöscht.
Er war gebrochen.
»Sag... sag ihr nur... sag ihr, dass es mir leid tut...«
Mile nickte. Er kniete sich nieder, hob den Degen des Captains auf und überreichte ihm diesen.
Ohne ein weiteres Wort liess der Pirat die Waffe in dessen Lederscheide verschwinden, dann knüpfte er seinen Mantel bis zum Hals zu, stellte den Kragen auf und drehte sich um.
Dann verschwand er im Regen.
Einmal Monster, immer Monster!
Captain Falk James Jones Hook. Der Pirat mit der Hakenhand. Gebrochen. Verbannt...

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now