Kapitel 6 - Verräter und Bruder

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Kapitel 6

Verräter und Bruder


~Sabrina~

Sabrina quetschte sich durch das Knäul aus Schülern.
Verdammt! Wo war Zimmer siebenundzwanzig?
Irgendjemand krachte ihr in den Rücken. Ihre Tasche, die sie sich um die Schulter gehängt hatte, rutschte herunter und fiel zu Boden. Der Inhalt ergoss sich über den verdreckten, mit Kaugummi bepflasterten Fliesen.
Lineal, Taschenrechner, Mathebuch... Ihre gesamten Schulsachen verstreuten sich im Gang.
»Shit! Bekloppte Tasche!«
»Oh, sorry! Das war echt keine Absicht! Ich hab dich nicht... Hey, du bist doch dieses Mädchen... Im Bus...«
Na toll. Nicht genug, dass ihr brandneues Schulzeug, das sie gerade erst im Sekretariat abgeholt hatte, nun von der Hälfte aller Schüler, die durch den Gang trampelten, plattgewalzt wurden, nein, nun wurde sie auch noch zum... Star der Schule? Weil sie beinahe verprügelt worden war?
»Ja, das war ich. Autogrammstunde morgen um drei auf dem Pausenplatz, aber jetzt muss ich leider Zimmer siebenundzwanzig finden«, knurrte sie und krabbelte über den Boden, um ihre Sachen wieder zusammenzusammeln. Beinahe wurden ihre Finger dabei zertrampelt, denn niemand achtete auf die und die Schüler rannten ohne nach links oder rechts zu sehen, durch den Gang. Zu allem Überfluss klingelte in diesem Moment die Schulglocke und noch mehr Gymnasiasten strömten auf die Flure.
Schliesslich hatte sie es geschafft, ohne verletzt zu werden, alles wieder in ihre Tasche gepackt zu haben. Als sie aufblickte schwebte eine Hand vor ihrer Nase.
»Hey, ich bin Harry. Ich... Man! Du hast Randall echt die Stirn geboten! Das traut sich sonst niemand!«, plapperte er sofort drauf los.
Harry war ein kleiner, dicker Kerl. Das kurze, blonde Haar klebte platt an seinem Kopf. Er trug eine grosse Brille mit Zentimeter dicken Gläsern, was seine braunen Augen stark vergrösserte. Alles an ihm schrie nach Nerd.
Sabrina ignorierte seine ausgestreckte Hand und richtete sich auf.
»Toll, aber ich hab's grad echt eilig!«, rief sie und lief weiter den Gang entlang.
»Falsche Richtung!«
Sabrina hielt inne und drehte sich um.
Harry grinste sie an. »Ich hab jetzt im gleichen Zimmer Unterricht. Wie es aussieht, hast du mit mir zusammen Schule. Mathe beim alten Flemming. Komm mit, ich zeig dir den Weg.«
Seufzend folgte Sabrina dem kleinen, dicken Jungen. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, sich mit ein paar Kids aus dem Dorf anzufreunden. Selbst wenn es ein plappernder Computerfreak war...

»Und hier ist die Kantine«, plapperte Harry aufgeregt und betrat mit ihr den Saal.
Es war zwölf Uhr und damit Mittagspause. In der Schulkantine tummelten sich um die zweihundert Schüler. Es war ziemlich laut und es roch nach verbranntem Essen.
Die Kantine hatte die Grösse von drei Turnhallen. Lange Tische und Bänke ohne Lehnen standen in langen Reihen in dem riesigen Raum verteilt. Am gegenüberliegenden Ende standen haufenweise Schüler Schlange an der Essensausgabe.
Mit Tabletten, die mit Pausenmilch, Äpfeln und dampfenden Tellern beladen waren, begaben sich die Gymnasiasten an ihre Tische. Schon vom Weiten konnte man anhand der am Tisch sitzenden Jugendlichen erkennen, zu was für einem Schlag von Menschen sie gehörten. Die Cliquen waren so zahlreich wie die Sandkörper am Strand und so verschieden wie Tag und Nacht.
Da war zum Beispiel der Tussen-Tisch. Die Haare so oft geglättet, dass sie nun aussahen wie Stroh, pinkfarbene Tops, die so eng waren, dass es ein Wunder war, dass der Stoff nicht riss. Auch Captain Wasserstoff und das rosa Monster, die Sabrina im Bus so süffisant angelächelt hatten.
Der Proleten-Tisch stand natürlich gleich daneben. Sie grölte, lachten und einer von ihnen fiel von der Bank. Typisch, diese Affen.
Dann waren da noch die Nerds, die Normalos, die Streber, die Emos, die Kiffer... Sabrina hätte ewig so weitermachen können.
Harry strahlte und zeigte zur Essensausgabe.
»Meistens kann man alles hier essen. Gut, ab und zu ist das Gemüse verkocht oder das Fleisch etwas schwarz, sonst aber in Ordnung.«
Sabrina nickte und fragte: »Toll, was gibt's heute?«
Harry rümpfte angewidert die Nase.
»Heute haben wir Pech. Milchreis!«
Sabrina verdrehte die Augen. Diese Schule schien sie zu hassen.
»Aber am Montag gibt's Pizza!«, rief Harry erfreut und deutete auf eine grosse Tafel, die an der Wand hing, gleich neben dem Eingang. Darauf stand das Menü der nächsten Tage.
»Cool«, antwortete Sabrina, doch sie hörte Harry kaum noch zu. Erstens babbelte der Kleine einfach zu viel und zweitens hatte sie Mile entdeckt.
Er sass zusammen mit einigen seiner neuen Klassenkameraden an einem Tisch, ein Tablett mit Essen stand vor ihm.
Er schien sich köstlich zu amüsieren und lachte zusammen mit den anderen über irgendeinen Witz. Kichernde Mädchen umringten ihn und warfen ihm aufreizende Blicke zu.
Mile, der Sunnyboy. Der Frauenschwarm. Der Schönling. Tja, die Kupferhaare, die leuchtend grünen Augen und sein sportlicher Körper hatten schon so mancher den Kopf verdreht.
Aber Mile machte sich nichts aus Mädchen. Er hatte zwar schon Freundinnen gehabt, aber lange hatten seine Beziehungen nicht gehalten. Mile war kein Arsch. Er hatte einfach noch nicht die Richtige getroffen. Nun war es eigentlich recht ruhig um ihn gewesen. Seit mindestens zwei Jahren hatte er keine Freundin mehr gehabt.
Mile hatte nun auch sie entdeckt. Er winkte ihr zu... und wandte sich wieder seinen neuen Freunden zu!
Verräter!
Wütend trabte sie hinter Harry her, der noch immer vor sich hin quasselte.


»Sabrina?«, fragte Miles sanfte Stimme.
»Was?«, fragte Sabrina schnippisch. Sie war noch immer sauer auf ihn. Er hatte sie einfach sitzen gelassen und wegen ihm hatte sie sich von Harry einen Vortrag über die Beliebtheitsskala der Schule anhören müssen. Nach seiner Studie hatte sie gerade ihren Tag mit dem grössten Loserpack der Schule verbracht. Lauter Computerfreaks die über nichts anderes als Battelfield irgendwas und Skyrim soundso quasselten. Nicht, dass sie diesen Haufen naiver Nerds nicht mochte. Eigentlich waren die Typen ganz okay. Trotzdem war es irgendwie deprimierend. Sie vermisste Kate!
Ein eisiger Wind fegte ihr durch das Haar. Sie schloss die Augen und genoss die Kälte.
»Sag mal, ist dir nicht kalt?«, fragte Mile sie und rieb sich die Arme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte.
»Ich mag es, wenn es so kalt ist.«
Mile runzelte dir Stirn, meinte dann aber nur: »Wenn du morgen erkältet bist und dir die Nase läuft und du dir die Lunge aus dem Körper hustest, sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.«
Sabrina verdrehte die Augen und folgte ihm. Sie konnte es sich eigentlich nicht leisten, sauer auf ihn zu sein. Sie brauchte ihren Bruder. Jetzt mehr denn je...

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now