Kapitel 8 - Die Herrscher der Gezeiten

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Kapitel 8

Die Herrscher der Gezeiten


~Sabrina~

Sabrina öffnete die Augen. Es war stockdunkel und unangenehm warm im Zimmer. Total stickig. Kein Wunder, denn der Raum war klein und das Fenster vergittert und winzig. Nicht einmal kippen konnte man das bescheuerte Ding.
Sie stand auf um das Minifenster zu öffnen. Die Scharniere des Fensters kreischten, dann blies ihr die kühle Nachtluft ins Gesicht - Wunderbar!
Ein Wolf jaulte in der Ferne.
Wölfe?
Gab es in diesem Teil von Deutschland eigentlich Wölfe? Anscheinend schon...
Sabrina blickte hinaus, in den Park, der das Anwesen umgab.
Der Vollmond spiegelte sich in dem Teich, der direkt unter ihrem Fenster lag. Trotz der winterlichen Temperatur war er nicht gefroren.
Eis. Sabrina seufzte.
Nachdem sie Mile die Ereignisse des Vortages geschildert hatte, hatte der nur den Kopf geschüttelt.
»Kontrolle über Kälte und Wärme? Sabrina! Ich dachte, du glaubst nicht an Märchen!«
Dabei hatte er es doch gesehen! Ihre bleiche Haut, die unnatürlich weinrot gefärbten Wangen und Lippen, ihre glühenden, eisblauen Augen und dieses Leuchten, das von ihr auszugehen schien... Das alles hatte sie fast umgehauen, als sie sich im Spiegel der Mädchentoilette in der Schule angesehen hatte.
Und Randall! Sie hatte den Kerl beinahe tiefgefroren!
Eisprinzessin!
Und Mile hatte auch nicht normal ausgesehen.
Seine Kupferroten Haare waren ihm wild vom Kopf abgestanden und hatten sein Gesicht wie ein Flammenring umkränzt. Seine grünen Augen hatten Funken gesprüht und seine Wangen einen roten Schimmer angenommen. Er hatte geglüht vor Energie und Hitze!
Das war nicht normal!
Aber Mile hatte das alles als „Optische Täuschung" oder so was abgetan.
Er hatte den restlichen Tag nur noch in der Bibliothek der Tallos verbracht und in jedem Märchenbuch, das er hatte finden können, nach irgendetwas gesucht.
Doch nun hatte Sabrina eine Idee. Sie würde Mile beweisen, dass das, was dort in den Gängen der Schule passiert war, keine Lichtspiegelung oder so was gewesen war!


~Mile~

»Mile! Mile! Wach auf! Ich habe... Das war so was von cool! Ich... ich muss dir was zeigen! Mile! Mile!«
Die Stimme seiner Schwester drang dumpf durch das Holz seiner Zimmertüre. Sie sprach leise, was eigentlich gar nicht nötig war, da die Gemächer der Tallos ja auf der anderen Seite des Anwesens lag. Trotzdem war sie laut genug, um ihn aus seinem Schlaf zu reisen.
Mile grunzte und tastete blind mit der rechten Hand seinen Nachttisch ab. Schliesslich stiessen seine Fingerspitzen gegen etwas Hartes und Kaltes. So schnappte er sich den alten Wecker.
Er hatte ihn an seinem ersten Schultag von seinem Dad geschenkt bekommen. Ein alter, quietschroter Wecker aus Metall. Auf dem Ziffernblatt war eine tanzende Mickey Mouse abgebildet, dessen behandschuhte Zeigefinger auf die Ziffern deuteten. Natürlich war er zu alt für Mickey Mouse, doch er konnte sich einfach nicht von dem Ding trennen.
Nun war der alte Wecker zwar schon etwas ausgeblichen, das Metall zerdellt und die Zeiger etwas verbogen, doch er tat noch immer seinen Dienst.
Der rechte, kürzere Arm Mickys schwebte kurz vor der zwei, der andere, um circa drei Grad verbogene, über der zehn. Kein Wunder, dass er so müde war.
Scheppernd landete der Wecker wieder auf dem Nachttisch und Mile murrte: »Lass mich! Ich will schlafen! Es ist fast zwei Uhr morgens!«
»Mile! Komm schon!«
Er stöhnte und presste sich sein Kopfkissen auf die Ohren.
Es half nicht. Sabrina hatte begonnen, leise mit den Fingerknöcheln gegen seine Tür zu klopfen. Hoffentlich würde sie nicht auf die Idee kommen, die Klinke hinunter zu drücken, um zu prüfen, ob abgeschlossen war. Das war nicht der Fall, denn Mile hasste abgeschlossene Räume, selbst wenn er einen Schlüssel besass...
Tja, als hätte sie seine Gedanken gelesen schwang im nächsten Moment die Türe auf und seine Schwester wirbelte herein.
»Mile! Bitte! Das... das ist Wahnsinn! Ich glaub wir haben... Superkräfte oder so was!«
Sabrina lachte. Ihre Augen leuchteten vor Aufregung.
Nun war Mile hellwach, denn Sabrina war selten so aus dem Häuschen und wenn sie es dann doch war, musste das etwas bedeuten. Ausserdem schien sie nun tatsächlich etwas durchzudrehen. Verrückte, kleine Schwester...
»Superkräfte? Sabrina, das... das hast du geträumt! Das in der Schule... das war eine Lichtspiegelung! Eine optische Täuschung!«
»Luftspiegelung?! Luftspiegelung am Arsch!«
»Sabrina!«
»Ist doch wahr!«
Mile seufzte ergeben: »Was ist eigentlich los? Ich weiss nicht, wie du auf diesen Superheldenmist kommst. Du hast nur zu oft X-Men gesehen. Die Welt ist kein Marvel-Comic. Was gestern passiert ist, war nur irgendeine Sinnestäuschung, nichts weiter...«
»Und der gefrorene Teich draussen? Ist der auch eine optische Täuschung?«
»Von was redest du?«
»Komm mit!«
Mit diesen Worten raste seine kleine Schwester aus dem Zimmer.
»Wehe, wenn sie mich jetzt verarscht!«, grummelte er und krabbelte aus seinem Bett. Schlaftrunken wankte er Sabrina hinterher.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now