Kapitel 19 - Trauriger Mörder, lass mich gehen

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Kapitel 19

Trauriger Mörder, lass mich gehen


~Sabrina~

Ellon'da. Himmelsfeger.
Der silberne Bogen war sehr leicht. Das Holz war hart wie Diamant, aber biegsam wie ein ganz normaler Bogen. In das Holz waren Muster geschnitzt. Winzig kleine Figuren... Sabrina sah verworrene Äste eines Baumes. Vögel, Menschen, Drachen, Einhörner... Der Bogen war übersäht von den unglaublichen Details. Die Schnitzereien schienen sich zu bewegen. Die Wesen wanderten über das Holz, tanzten, als wäre dies der einzige Grund, weswegen sie in die Waffe geritzt worden waren. Um zu der Musik zu tanzen, die nur sie hören konnten und nicht um die tödlichen Pfeile auf den Feind regnen zu lassen...
»Wenn du zu lange drauf guckst, verliert sich deine Seele in den Schnitzereien. So lauten jedenfalls die Legende«, warnte Eril sie.
Sabrina riss sich widerstrebend von dem Anblick des Bogens los. Klugscheisser!
Ellon'da. Die Waffe ihrer Mutter. Die Waffe der Herrscherin. Der Bogen der Eisprinzessin. Der Bogen, der niemals sein Ziel verfehlt.
»Eril! Du musst mich nicht beschützen! Ich kann das alleine!«, knurrte sie ihn an, doch sie steckte den Bogen zurück in den Kescher, der auf ihren Rücken geschnallt war. Dort steckten auch schon ein paar Pfeile. Sabrina konnte es kaum abwarten, ihn auszuprobieren!
»Doch muss ich! König Drosselbart hat gesagt, ich soll dich unterstützen. Ich bin dein persönlicher Leibwächter!«, lachte er.
»Musst du nicht zu Arseel? Irgendwelche Völker beschützen? Etwas reitermässiges machen?«
»Arseel kommt ohne mich klar. Ausserdem wird er morgen auch nach LaRuh gehen. Nicht alle Gänge sind so eng wie diese. Die Zwerge haben extra für die Drachen und ihre Reiter einen noch bereiteren Tunnel angelegt«, erklärte Eril, während er vorsichtig mit der Laterne, die er bei sich trug, in den nächsten Gang leuchtete.
Sabrina erschauerte, als sie an die Ungeheuer dachte, die im Dunklen lauern könnten.
»Wo ist denn nun dieser Trainingsplatz?«, maulte sie, um sich abzulenken. Langsam hatte sie genug von diesen Zwergentunneln. Das Schloss von König Drosselbart war nur Tarnung. Dekoration sozusagen... Es sollte für die Dunklen aussehen, als hätten sich die Rebellen in einem mickrigen Schloss versammelt. Die wahre Hauptstadt der Rebellen lag weit unter der Erde. Und nur die Rebellen fanden sich in dem Zwergenlabyrinth zurecht. Und das auch nur, nach jahrelangen Erkundungen. Nur die Zwerge hatten nicht das geringste Problem mit dem Wirrwarr aus Gängen. Ihr Instinkt sagte ihnen, wohin der Weg sie führte. Sie spürten es. Sie wussten, ob der Boden unter ihnen aus Granit, Lehm oder anderem Gestein war. Selbst wenn es stockdunkel war. Sie waren mit der Erde verbunden, eins mit dem Gestein.
»Sabrina! LaRuh liegt um die drei Kilometer unter der Erde! Wir haben jetzt circa zwei Kilometer hinter uns!«, lachte er.
Sabrina seufzte. Sie hasste diese Tunnel!
Hinter ihnen erklang Gelächter. Sabrina drehte sich um.
Hinter ihnen trottete Mile, Hand-in-Hand mit Red. Vor ihnen stand der gestiefelte Kater. Er erstach gerade einen imaginären Gegner mit seinem Degen. Red lehnte ihren Kopf gegen Miles Schulter und sah zu ihm auf. Er küsste sie auf die Stirn.
Das hatte er sonst bei ihr immer gemacht, wenn sie traurig war...
Sabrina fühlte sich so allein, wie noch nie in ihrem Leben.
»Wenn die Dunklen wüssten, wie viele wir sind... Die hätten sofort ihre gesamte Armee losgeschickt. Und Nekromaner werden nur die Vorhut sein. Schwarze Männer, Moracks, Trolle, Riesen, Drachen mit oder ohne Nebeläuger...«, Eril spuckte das Wort, wie einen schimmligen Apfel, aus.
»Wer sind die Dunklen eigentlich? Ich verstehe nicht, wieso sie den Frieden zerstört haben! Was wollen sie damit bezwecken?«, fragte Sabrina entsetzt. Sie wollte auf keinen Fall einem dieser Wesen begegnen!
Eril lachte düster.
»Die Dunklen sind der Inbegriff des Bösen! Die grausamsten aller Märchengestalten. Es sind sieben. Die böse Königin aus Dornrösschen und Schneewittchen, Rumpelstilzchen, die Herzkönigin, die Schneekönigin, Graf Dracula, das Oberhaupt der aggressiven Vampirzirkel, Häuptling Blutkralle, er ist der Alpha aller feindlichen Werwolfclans und die Hexe...«
»Nur eine?«
Eril lachte.
»Ist eine nicht genug? Diese Hexe ist abgrundtief böse. Angeblich frisst sie Kinder, um ihre Macht aus deren Angst zu gewinnen. Wenn es um Flüche geht, ist ihre Schwester die richtige Adresse. Aber bei Hexereien aller anderen Art, dann hat Hedwig ihre Wurstfinger im Spiel. Frag Hänsel und Gretel, die mussten bereits eine unschöne Bekanntschaft mit ihr machen. Sie ist überaus mächtig. Allein ihren Namen auszusprechen, soll Unglück bringen«, flüsterte Eril und riss die Augen gespielt ängstlich auf. Er wollte ihr Angst einjagen!
»Du meinst, die Hexen aus diesen Märchen sind ein und dieselbe? Eine Hexe?«, fragte Sabrina.
Eril nickte.
»Sie wird eigentlich immer nur „die Hexe" genannt. Die meisten Wesen vermeiden es, ihren Namen auszusprechen, aber ich bin der Meinung, das ist Aberglaube! Ihr wahrer Name ist Hedwig.«
Sabrina runzelte die Stirn. »Und die sollen Mile und ich umbringen?«, fragte sie langsam.
»Umbringen? Lieber nicht. All die Märchen, die mit ihr verstrickt sind, hast du vergessen, dass sie alle mit ihnen sterben würden? Ausserdem kannst du sie nicht töten! Jedenfalls nicht in Twos.«
»Twos?«, fragte Sabrina verwirrt.
»Diese Welt, Twos...«
Sabrina runzelte die Stirn. »Was bedeutet es? Ist das Elfisch oder so?«
Eril lachte und zuckte die Schultern. »Es ist der Name dieser Welt. Und selbst wenn das Wort eine Bedeutung hat, nicht auf Elfisch, wie du es nennst. Felėen ist eine sehr schwierige Sprache. Kaum ein Wort hat weniger als fünf verschiedene Bedeutungen, aber dafür ist die Grammatik nicht sehr schwer. Die Aussprach ist jedoch unglaublich kompliziert. Nur wer mit der Sprache aufgewachsen ist, kann sie jemals fehlerfrei beherrschen, aber jemand, der sie erlernen will, tut sich schwer. Nur wenige Wesen aus anderen Völkern beherrschen sie. Für deine Eltern war sie, wie ich hörte, wie ihre zweite Muttersprache...«
In Sabrinas Kopf löste sich etwas. Eine Erinnerung, verschwommen und undeutlich drangen die Worte durch den Nebel aus Vergessen.
»Mio aien tio. Fliem tio olan...«
Die Wörter waren da. Einfach in ihrem Kopf. Es war die Stimme ihrer Mutter. Sie erinnerte sich, wie ihre geliebte Mom sich über ihr Bett beugte und diese Worte sprach. Und Sabrina wusste, was sie bedeuteten.
„Ich liebe dich. Pass auf dich auf!"
Eril lachte überrascht auf.
»Sim dune tio remande Felėen?«, fragte er in der Elfensprache.
Wie kannst du Felėen beherrschen?
»Mio gedole enie. Le tem en moa welėe!«
Ich weiss nicht. Es ist in meinem Kopf.
Eril schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das Vermächtnis der Herrscher...«

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt