Kapitel 75 - Der Herrscher über alle Macht

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Kapitel 75

Der Herrscher über alle Macht


~Sabrina~

Nevis hatte nicht gelogen. Sie waren gekommen...
Grau gerüstete Soldaten holten sie aus ihren Zellen, schlossen ihnen die Obsidianschelle von den Hälsen, zwangen sie mit Schlägen und Tritten vor dem Altar des Bunkers auf die Knie, einen neben dem anderen. Da kauerten sie nun, all jene, die ihr von Freunden und Familie geblieben waren. Der Herzkasper, Aschenauge, Red, Regenjäger, Nebelfinger, Jeremy Topper, Lichterfänger, Falk, Valyn und Federreiter...
Sabrina klammerte sich an die Gitterstäbe ihrer Zelle. Cernunnos hinter ihr tänzelte nervös.
Die Dunklen bauten sich hinter dem Altar auf. Sie alle schienen ihre feinsten Kleider für diesen Anlass aus den Schränken geholt zu haben. Selbst Hedwig hatte den schroffen Jutestoff in sauberes Leinen getauscht, nur von ihrer Kette aus Kindergliedern hatte sie sich trotzdem nicht trennen können. Ihre Schwester Damaris, die sich für schwarze Seide mit waghalsig tiefem Ausschnitt entschieden hatte, trat vor und schenkte Sabrina ein schrecklich schönes Lächeln. »Wundervolle Nacht, Sabrina Beltran.« Mit einer ausladenden Bewegung deutete sie auf die elf Knienden vor dem Altar. »Wie ihr seht, ist alles vorbereitet für unser Happy End. Fehlt nur noch  unser Ehrengast am richtigen Platz.« Mit einer raschen Handbewegung scheuchte sie Nevis aus der Reihe der Dunklen. Diese eilte an den Knienden vorbei auf Sabrinas Zelle zu und schloss auf.
»Tu, was ich dir geraten habe!«, zischte sie und suchte Sabrinas Blick. »Das wird alles viel einfacher machen.«
Die Zellentür sprang auf und Nevis trat beiseite.
»Versuch bloss nichts Unüberlegtes«, mahnte Corda. »Du magst keinen Obsidian am Körper tragen, aber das heisst nichts. Eine Schneeflocke oder ein falscher Schritt und jeder deiner Freunde hat einen Pfeil im Schädel stecken! Leider brauchst du deine Gaben, um dieses Vieh ruhig zu stellen.«
Cernunnos schnaubte und scharrte mit dem Huf. Sabrina spürte seine Angst...
»Nun komm schon«, forderte Nevis leise.
Sabrina schluckte, sandte Cernunnos einige gut gemeinte Gedanken und trat über die Schwelle der Zelle. Augenblicklich kamen zwei Soldaten auf sie zu, packten sie und stiessen sie gegen das Obsidiangitter rechts von ihrer Zelle.
Cernunnos röhrte und als sie den Kopf nach ihm drehte, sah sie, wie drei Graue in die Zelle stürmten, den Hirsch mit Hieben ihrer Schwerter, die jedoch von ihm abprallten als handelte es sich bei dem scharfen Metall um stumpfes Holz, gegen die Wand drängten, das Geweih mit Seilen einfingen, seien Kopf zu Boden drückten, ihn umwarfen, die um sich schlagenden Hufe packten und fesselten und das wehklagende Urwesen aus der Zelle schleiften.
Sabrina wehrte sich, schrie, tobte. Wäre sie in diesem Moment nicht an das Obsidiangitter gepresst worden, hätten sie die Warnungen der Dunklen nicht bremsen können.
Sie schleppten Cernunnos vor die Knienden, wo sie ihn am Boden liegen liessen. Die Enden des Seils, das sie um sein Geweih geschnürt hatten, banden sie an zwei im Boden eingelassene Metallösen fest, sodass Cernunnos' Kopf auf den Boden gepresst war. Das arme Tier winselte und brüllte, bis Damaris entnervt die Soldaten, die Sabrina festhielten an ihren Posten zurückschickte und ihr befahl, das Urwesen zum Schweigen zu bringen.
Sobald Sabrina den Kontakt zu dem Obsidian verlor, spürte sie Cernunnos hilflosen Verstand vor Panik um sich schlagen. Vorsichtig näherte sie sich ihm, liess sich auf die Knie, streichelte sein Fell und flüsterte: »Ruhig, ganz ruhig, wir schaffen das schon!«
Tatsächlich beruhigte sich der Hirsch, hörte auf, sich zu winden, lag still da, nur seine Flanken hoben und senkten sich bebend.
Die Zeit nutzte Sabrina, die Lage zu überschauen. Ihren Freunden schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen. Nur Regenjäger, der unaufhörlich um sein Bewusstsein ringend am Altar lehnte, machte ihr Sorgen, doch Nebelfinger, der neben ihm kauerte, hatte ein Auge auf ihn. Schnell erlaubte sich Sabrina, ihre telepathischen Fühler nach Falk auszustrecken. Als er ihre geistige Berührung spürte, wurde sein Blick weich und er schenkte ihr ein ernstes Lächeln, was so viel bedeutete wie: Aye, ich bin okay.
Abgesehen von den Dunklen befanden sich noch etwa zwanzig Soldaten in dem Raum. Sie waren an jeder Wand und Ecke des achteckigen Raumes postiert und zielten mit gespannten Armbrüsten auf die Knienden und sie selbst.
»Fang, Sabrina!«, befahl Dracula und warf etwas zu ihr herüber. Es landete nicht weit von ihr und rutschte das letzte Stück auf dem Granit.
»Spritzen?«, fragte sie verwirrt, als sie das dicke Lederetui aufgeschlagen und besagte Instrumente vorgefunden hatte. Es waren mindestens drei Duzend, allesamt so lang wie ihr Unterarm.
»Nimm dem Urwesen das Blut ab. Spritze für Spritze, bis nichts mehr übrig ist!«, verlangte Rollo und leckte sich über die Lippen wie ein lechzendes Tier über seine Lefzen.
Sabrinas Blick kreuzte den von Nevis, die ihr nun aber auswich. »Warum sollte ich?«
Damaris nickte dem Vampir zu ihrer Linken zu, der zu dem Altar vortrat. Er stemmte sich gegen die Granitplatte, die sich verschob, bis sie auf der anderen Seite aufschlug. Nun beugte sich die Königin in den Altar und hob etwas heraus, das Sabrina bei seinem blossen Anblick die Haare zu Berge stehen liess. Es war schlicht, hölzern, war mit allerlei magischen Symbolen übersät und an seiner Vorderseite baumelte ein goldenes Schloss, das anstelle eines Schlüssellochs nur eine Kerbe trug. Die Macht, die von der Schatulle ausging brachte die Luft um sie zum Flimmern...
»Die Allmachtspieluhr«, verkündete die Königin feierlich. »Die Büchse der Pandora.«
»Sie war die ganze Zeit hier?«, entfuhr es Falk, wofür er sich sogleich einen Tritt von einem der Grauen einholte, den durch ihre Verbindung auch Sabrina zu spüren bekam. Sie nahm es dem Piraten nicht übel, auch sie knirschte mit den Zähnen. All die Chancen, die sie gehabt hätte, die Allmachtspieluhr in ihren Besitz zu bringen...
»Okay, hören wir auf mit den Spielchen«, verlangte Sabrina. »Ich weiss, ihr wollt, dass ich Cernunnos töte, weil ihr glaubt, sein Blut wäre der Schlüssel, die Büchse zu...«
»Wir glauben es nicht nur«, unterbrach Hedwig sie. »Wir wissen es!«
Damaris setzte ein ekelerregend wundervolles Lächeln auf und schritt zwischen Nebelfinger und Lichterfänger durch auf Sabrina zu. Sie bückte sich zu ihr herab und streckte ihr die Büchse entgegen. »Nur zu, berühre sie und sag mir, was du fühlst, kleine Telepathin!«
Angewidert zog Sabrina die Nase kraus, tat aber, wie ihr geheissen. Sie schloss die Augen, streckte die Hand aus und legte sie auf das Holz.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt