Kapitel 4

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Jason

In meiner Zelle angekommen, balle ich die Hände zu Fäusten und muss mich zusammenreißen, damit ich nicht irgendetwas zerstöre. Wie kommt diese Reporterin nur darauf, dass ich mit ihr reden würde? Und dann noch diese überhebliche Art! Ich fasse es nicht!

Die einzige Genugtuung war, als sie mich so schockiert angesehen hat, während ich ihr die Meinung gegeigt habe.

Offenbar passiert ihr das nicht so oft. Vermutlich ist sie eine Frau, der alles zufliegt und die sich um nichts Sorgen machen muss.

Ich habe richtig bemerkt, dass sie in mir nur eine große Story sieht. Ihr geht es nicht um mich als Person, sondern nur um die Tat, die ich angeblich begangen habe.

Erneut ballen sich meine Hände zu Fäusten. Dabei müsste sie doch mit Sicherheit aus den Medien wissen, dass ich mich an nichts erinnern kann. Oder hofft sie etwa darauf, dass ich mich bei ihr plötzlich wieder erinnere?

Wut kocht in mir hoch und ich würde am liebsten irgendwo meine überschüssige Kraft ablassen. Doch das ist hier in Einzelhaft nicht möglich. Normale Häftlinge, jene die nicht im Todestrakt sitzen, haben die Möglichkeit im Gefängnis zu arbeiten oder einen Fitnessraum zu besuchen. Alles Dinge, die ich nicht tun darf.

Lediglich zwei Stunden am Tag kann ich meine knapp sechs Quadratmeter große Zelle verlassen. Allerdings nur um mit den anderen zu essen und um im Hof eine halbe Stunde herumzulaufen. Wahrlich kein schönes Leben.

Aber habe ich das nicht auch anders verdient? Schließlich tat ich genügend Dinge, für die ich keineswegs stolz bin. Doch ich habe sie für mein Land ausgeführt.

Aber diesen Mord an den Politiker ... Nein, das war ich nicht. Oder vielleicht doch?

Ich fahre mir mit der rechten Hand, über meine geschorenen Haare und versuche mich krampfhaft an den schicksalhaften Abend zu erinnern. Was jedoch mehr als sinnlos ist.

Alles ist verschwommen und ich kann die Erinnerungen nicht wirklich fassen. Das einzige woran ich mich ganz genau erinnere, ist, wie ich in dem Büro aufgewacht bin und Jones mich aus seinen toten Augen angesehen hat. Und das Blut ... Überall. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper und ich verdränge den Gedanken schnell und mache stattdessen ein paar Liegestützen, um mich davon abzulenken.

***

„Häftling 3367, Handschellen anlegen", ertönt eine Stunde später die Stimme des Wärters und er klopft mehrmals an meine Tür. Ich erhebe mich und meine Arme zittern von den Liegestützen. Offenbar habe ich es ein wenig übertrieben.

Aber wenigstens ärgere ich mich nicht mehr allzu sehr über diese Reporterin und ihr dummes Geschwafel.

Ich halte meine Hände durch die Öffnung und erneut werden mir Handschellen angelegt. Offenbar ist es jetzt Zeit für die halbe Stunde im Hof.

„Zurücktreten!", brüllt der Wachmann laut. Die schwere Eisentür wird geöffnet und ein Wärter tritt ein und legt mir Fußketten an.

Anschließend führt er mich vor meine Zelle und zu zweit laufen sie neben mir her und bringen mich nach draußen. Im Hof angekommen, nehmen sie mir die Hand- und Fußfesseln ab und geben mir einen Schups, doch ich reagiere gar nicht.

Stattdessen bin ich kurz geblendet von dem grellen Sonnenlicht und halte mir die Hand schützend vor das Gesicht.

Als ich mich daran gewöhnt habe, erkenne ich, dass schon vier weitere Häftlinge draußen sind. Unter ihnen auch Phil.

Er ist der einzige Freund, den ich hier drinnen habe. Langsam gehe ich auf ihn zu. Er bleibt stehen, als er mich bemerkt und grinst mich an.

„Hey, Jason", begrüßt er mich und ich nicke ihm zu. „Komm, setzen wir uns. Meine Beine machen mir heute wieder zu schaffen." Er geht hinkend auf eine kleine Bank zu und setzt sich darauf.

Ich setze mich neben ihn und lasse meinen Blick über den Hof schweifen. Eine riesige Mauer umgibt den kleinen Auslauf und als zusätzlicher Schutz befindet sich darauf auch noch Stacheldraht. Für Notfälle befinden sich sogar insgesamt vier Scharfschützen auf ihren Posten. Als wäre wirklich jemand so dämlich und würde versuchen zu fliehen. Hier gibt es kein Entkommen. Niemals.

„Wie geht es dir, Phil?", frage ich ihn und er seufzt, bevor er antwortet.

„Ging schon besser. Hab gehört, du wirst in vier Wochen hingerichtet?"

„Jep. Du ein paar Tage vor mir, nicht wahr?" Es ist schon fast absurd, wie wir über unseren bevorstehenden Tod plaudern. Aber andere Themen gibt es hier drinnen nicht. Besonders nicht für Phil. Er sitzt mittlerweile seit sechszehn Jahren und wartet auf seine Hinrichtung. Für ihn ist es eine Erlösung.

„Hmm", brummt er als Antwort auf meine Frage. „Ich habe es auch nicht anders verdient. Wird Zeit, dass ich meine Marge wiedersehe. Vielleicht verzeiht sie mir im Himmel, was ich ihr angetan habe."

Das bezweifle ich zwar, doch ich sage nichts dazu. Ich will ihm nicht auch noch seine letzte Hoffnung nehmen.

Vor ein paar Wochen hat er mir erzählt, wieso er zur Todesstrafe verurteilt wurde. Phil hat seine Frau nach einem Streit mit zwanzig Messerstichen getötet und sie anschließend zerhackt und verbuddelt, damit sie niemand findet. Als jedoch die Nachbarn misstrauisch wurden, weil sie seine Frau nicht mehr gesehen haben, haben sie die Polizei gerufen und so kam alles heraus.

Mittlerweile ist Phil schon über sechzig. Ich sehe ihn von der Seite an und kann es dennoch nicht ganz glauben, dass er zu so etwas fähig war.

Was ist, wenn ich doch diesen Politiker getötet habe? Immerhin bin ich eine Kampfmaschine. Ich wurde ausgebildet zum Töten und Verteidigen. Vielleicht habe ich an den Abend einen über den Durst getrunken und bin ausgerastet. Möglich wäre es. Aber warum sollte ich diesen Typen dann in seinem Büro umbringen? Das passt einfach nicht zusammen ...

„Ich glaube, deine Hinrichtung wird die schnellste in der Geschichte von der USA sein", sagt Phil und reißt mich so aus meinen finsteren Gedanken.

„Und wenn schon. Ich habe doch eh nichts mehr zu verlieren."

„Sag doch nicht so etwas. Hast du keine Familie oder eine Frau, die auf dich wartet?", fragt er mich und ich rolle mit den Augen. Diese Frage hat er mir schon des Öfteren gestellt. Entweder wird er senil oder er kann es einfach nicht glauben, dass ich wirklich niemanden habe.

Ich bin als Waise bei verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen, da meine Eltern, sowie meine Großeltern, früh gestorben sind. Und eine Frau oder Freundin habe ich nicht. Ich habe mein Leben den Navy Seals gewidmet und von einen Tag auf den anderen, ist alles zugrunde gegangen.

„Nein", antworte ich ihm und lasse meinen Blick wieder über den Hof schweifen.

„Wie alt bist du, Jason?", fragt er mich nach einem Augenblick und ich muss grinsen. Auch diese Frage stellt er mir fast wöchentlich.

„Vierunddreißig. Falls du mir jetzt sagen willst, dass ich mich mit der Familiengründung beeilen soll, dann muss ich dich leider enttäuschen. Ich habe nur noch vier Wochen und ich glaube kaum, dass ich hier drinnen meine Traumfrau kennenlernen werde", witzle ich und Phil lacht neben mir.

„Ist ja gut. War nur eine Frage. Du tust mir wirklich leid, Kumpel. Das Schicksal meint es ziemlich übel mit dir."

Ich hebe nur skeptisch eine Augenbraue an und schnaube. „Das braucht es nicht. Ich habe es verdient. Immerhin habe ich wahrscheinlich diesen Typen bestialisch getötet", antworte ich und stehe von der Bank auf.

„Ich glaube nicht, dass du es warst, Jason", meint Phil leise hinter mir, doch ich reagiere nicht darauf, sondern jogge stattdessen ein paar Runden über den Hof, um wenigstens etwas Bewegung zu haben.

*Ich hoffe, das Kapitel hat euch wieder gefallen! <3 Am Sonntag folgt das nächste. Über ein paar Kommentare würde ich mich sehr freuen. <3 :) *

ENEMIESWhere stories live. Discover now