Kapitel 26

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Jason

Der Tag vergeht nur zäh und ich frage mich, warum Sura nicht vorbeikommt. Gestern kam sie auch Vormittags.

Ob ihr etwas passiert ist?, frage ich mich und verziehe bei diesem Gedanken das Gesicht.

Selbst wenn, wieso sollte mich das interessieren? Sie ist nur eine Reporterin, die aus meiner Geschichte Profit schlagen will. Oder etwa nicht?

In meinen Erinnerungen blitzt ihr Gesichtsausdruck auf, wenn sie mit mir redet. Wieso mache ich mir hier eigentlich etwas vor? Ich stehe auf sie und sie offenbar auch auf mich.

Ich stehe von meinem kleinen Bett auf und gehe in meiner kleinen Zelle hin und her. Die Wände rücken förmlich näher, je länger ich über sie nachdenke. Vielleicht interessiere ich mich auch nur für sie, weil ich schon so lange keinen Kontakt mehr mit einer Frau hatte?

Fieberhaft überlege ich, wann ich das letzte Mal eine Frau unter mir hatte. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und fahre mir mit einer Hand über das Kinn. Es dürfte mittlerweile schon knapp acht Monate her sein.

Himmel ... Kein Wunder, dass ich so auf Sura abfahre. Womöglich würde ich bei jeder weiblichen Person, die halbwegs gut aussieht, so denken. Genau, das wird es sein, sage ich mir selbst und bleibe mit dem Rücken zur Zellentür stehen.

„Häftling 3367", ertönt es und ich drehe mich ruckartig um. Mein Herz pocht aufgeregt, als sich die Tür öffnet, mir die Schellen angelegt und ich in Richtung Besucherraum gebracht werde.

Gedanklich hoffe ich, dass es Sura ist, die dort auf mich wartet und zu meinem Glück werde ich nicht enttäuscht. Mein Puls rast und ich rede mir ein, dass es nur daran liegt, weil ich den ganzen Tag heute noch nicht wirklich jemand zu Gesicht bekommen habe. Die Wärter und anderen Häftlinge, die sowieso nicht mit mir reden, zählen nicht.

Ich versuche, das Lächeln zu unterdrücken, als ich sehe, dass sie mich aufmerksam ansieht und ihren Blick über meinen Körper schweifen lässt. Während sie das macht, mustere ich sie ebenfalls. Heute steckt sie in einer engen Jeans und einem schwarzen Sweatshirt. Eigentlich nichts besonderes, aber wie gesagt, ich hatte schon wirklich lange keinen Kontakt mehr mit einer Frau. Womöglich würde ich sie auch attraktiv finden, wenn sie einen unförmigen Pullover und Jogginghosen anhätte.

Nachdem man mir die Handschellen abgenommen hat, setze ich mich auf dem Stuhl und greife nach dem Hörer. „Hey, Sura", begrüße ich sie und bemerke erfreut, wie sie errötet.

„Hi", presst sie hervor und ich muss grinsen, als ich bemerke, wie sie sich auf dem Stuhl windet.

„Alles okay bei dir? Du hast gestern ziemlich nervös gewirkt." Ein glückseliges Lächeln bildet sich auf ihren Lippen und ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Dürfte ein gutes Zeichen sein. „Ähm, Sura?", hake ich nach, als sie mir nach ein paar Momenten immer noch nicht antwortet.

„Oh, ja. Alles okay bei mir. Ich bin mit meinen Gedanken irgendwie woanders."

„Und wo?" Ihre Wangen nehmen noch einen dunkleren Rotton an, sofern das überhaupt möglich ist und ich lache kurz auf.

„Egal", piepst sie und räuspert sich danach.

Es gefällt mir, dass ich sie so aus der Fassung bringen kann. Und verdammt, es tut so gut, einfach mal locker drauf zu sein und nicht an meinen bevorstehenden Tod zu denken. Was ein makaberes Gefühl zu wissen, welchen Tag und welche Uhrzeit man genau stirbt. Furchtbar ...

„Ich habe den Zeitungsartikel fertig gemacht und wollte ihn dir vorlesen, damit du ihn absegnen kannst", erklärt sie mir, nachdem sie sich wieder gefangen hat.

„Zeitungsartikel?", frage ich irritiert nach, da sie mich aus meinen Gedankengängen gerissen hat.

„Der Bericht über dich und deine Vergangenheit", klärt sie mich auf und ich fahre mir über das Gesicht. Ich Trottel. Jetzt war ich genauso abgelenkt wie sie eben.

„Ach, ja stimmt. Ich bin gespannt, wie er geworden ist."

Sie lächelt mich zaghaft an, bevor sie einen Zettel aus ihrer Handtasche zieht und ihn vor sich ausbreitet. „Ich habe mit meiner Chefin alles abgesprochen. Wenn du einverstanden bist, dann wird er am Freitag veröffentlicht. Und die Woche darauf kommt noch einer über dich."

„Okay. Schieß los."

Sura blickt nervös zwischen dem Zettel und mir hin und her, bevor sie anfängt zu lesen. Gespannt höre ich ihrer melodischen Stimme zu und lasse sie dabei keinen Moment aus den Augen. Da sie sich so konzentriert, kann ich die Chance nutzen und sie unbeobachtet anstarren. Verdammt, sie ist wirklich attraktiv. Sie hat es nicht verdient, dass ich sie ausnutzen soll. Mit einem Mal fällt mir auf, dass ich im Prinzip nichts über sie weiß. Genau genommen gar nichts. Jedes Mal wenn sie hier ist, erzählen wir nur über mich. Okay, es ist nicht verwunderlich, aber mittlerweile dürfte sie alles wissen. Ich beschließe, das nächste Mal, wenn Sura kommt, mehr über sie herauszufinden.

„Und was sagst du?"

Ich zucke zusammen, als sie mich plötzlich anspricht. „Ich fand es gut", lüge ich, da ich bereits nach dem zweiten Satz den sie vorgelesen hat, von ihrem hübschen Gesicht abgelenkt war.

„Wirklich?" Ich nicke bekräftigend und sie scheint es mir abzukaufen. „Super. Ich bin gespannt wie die Leute die das lesen auf den Artikel reagieren werden."

„Denkst du, es interessiert überhaupt jemanden? Immerhin ist mein Fall für die meisten eine ziemlich eindeutige Geschichte", erinnere ich sie und sehe, wie ihre Schultern ein wenig nach unten sacken.

„Ich weiß. Aber ich werde nicht aufgeben, Jason. Die letzten Tage habe ich ein wenig recherchiert und ..."

Plötzlich hört sie auf zu erzählen und presst stattdessen ihre Lippen zusammen. „Und was, Sura?"

„Nicht hier. Ich erzähle es dir ein anderes Mal."

„Ein anderes Mal?", frage ich höhnisch lachend. „Wann soll das sein?"

Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und ihre Lippen sind mittlerweile nur noch ein weißer Strich. „Fang nicht schon wieder so an, Jason. Ich dachte, wir würden uns verstehen", zischt sie und sofort schießen mir wieder Leos Worte in den Kopf.

Schmier ihr Honig ums Maul, Jason, erinnere ich mich gedanklich selbst und atme einmal tief durch. „Tut mir leid. Mir fällt hier nur langsam die Decke auf dem Kopf."

Ihr Gesichtsausdruck entspannt sich und sie schaut mich mitfühlend an. „Das verstehe ich. Wir bekommen das hin. Ich muss jetzt erst einmal wieder los, aber ich komme morgen erneut. Bis dann, Jason", verabschiedet sie sich und ich nicke.

Sie hängt den Hörer auf, lächelnd mich noch einmal lieb an und sammelt ihre Sachen ein. Bevor sie geht winkt sie mir zu und ich stehe anschließend auf, um mir wieder die Handschellen anlegen zu lassen. Das mein Puls noch immer rast, während ich auf die Stelle starre wo sie bis gerade eben stand, rede ich mir als normal ein. Obwohl ich ganz genau weiß, dass es das nicht ist. Diese Frau weckt etwas in mir, was ich schon längst tot geglaubt habe.

ENEMIESWhere stories live. Discover now