Kapitel 62

238 8 6
                                    

Sura

Noch immer aufgewühlt durch das Gespräch mit Jason, schreibe ich den Artikel über ihn. Es gibt so viel, was ich lieber über ihn sagen würde, doch ich halte mich an die Fakten. Schließlich darf keiner mitbekommen, was Jason mir bedeutet.

Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich an seinen glücklichen Ausdruck denke, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich seine Gefühle erwidere.

Ob er genauso empfinden würde, wenn er frei und nicht im Gefängnis wäre, melden sich die Zweifel in mir, doch ich verdränge sie eilig.

Stattdessen konzentriere ich mich wieder auf den Bericht. Als Letztes schreibe ich noch, dass Jason nach wie vor nicht über die Gründe seiner unehrenhaften Entlassung spricht. Von den Fotos und dem was ich tatsächlich weiß, berichte ich nichts.

Ein wenig traurig stimmt es mich, dass er mir nicht erzählen will, was geschehen ist, aber das muss ich respektieren. Er wird schon seine Gründe haben.

Wie gerne würde ich mit Brandon noch einmal über Jason sprechen. Besonders darüber, wie er zu seiner Navy Seal Zeit war.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, als ich an das in Flammen stehende Haus denke. Ich hoffe nur, dass es kein grausamer Tod für ihn war. Und dann auch noch Mira, Jasons Ex Freundin ...

Ich glaube, das hat Jason gar nicht wirklich realisiert. Mit Sicherheit wird er über sie hinweg sein, immerhin ist es fünf Jahre her, dass sie sich getrennt haben. Doch dennoch stimmt es einen traurig, wenn man so etwas über einen Menschen hört, den man einmal geliebt hat.

Ich nehme mir vor, ihn morgen erneut in Ruhe darauf anzusprechen. Er hat heute so kühl und beherrscht reagiert, dass ich mir Sorgen mache. Wenn er es in sich hineinfrisst, bringt das auch nichts.

Von dem Kind, was Brandon und Mira hatten und getötet wurde, erzähle ich ihm lieber gar nichts. Ich schätze, es ist besser, wenn er davon keine Ahnung hat.

Eine Träne rollt über meine Wange und ich wische sie eilig weg, bevor jemand noch mitbekommt, wie sentimental ich mit einem Mal bin. Sie würden nur Fragen stellen. Fragen, die ich nicht beantwortet kann.

Ich sehe von meinem Laptopbildschirm auf und bemerke, dass niemand mir Beachtung schenkt. Nicht einmal Jeffrey. Aber was hatte ich auch erwartet? Die anderen hassen mich und Jeff habe ich verboten, mit mir zu reden.

Bevor meine Stimmung sinkt, erinnere ich mich wieder an Jasons liebevolles Lächeln. Sein kantiges Kinn, die sanften waldgrünen Augen und der zärtliche Ausdruck in seinem Gesicht, tauchen in meinem Kopf auf. Mein Herz pocht einen Takt schneller und ich frage mich, warum wir uns nicht einfach in einem Leben treffen konnte, indem er nicht ein verurteilter Häftling ist und ich eine Reporterin, die sich an den letzten Strohhalm klammert. Bis vor ein paar Tagen war ich noch euphorisch, dass Leo und ich ihn rechtzeitig dort rausholen, doch jetzt ... Brandon ist tot und ich habe ein Video, bei dem sich die Staatsanwaltschaft womöglich rausreden könnte. Ich brauche mehr Beweise.

Ich glaube nach wie vor, dass dieser mysteriöse Mr. Alkim dahinter steckt. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Doch wenn ich nicht so verprügelt werden möchte wie Leo, muss ich es geschickter anstellen. Nur wie?

»Sura, sind Sie etwa schon fertig mit dem Artikel?«, fragt mich Mrs. Billings, die gerade aus ihrem Büro herauskommt. Dieses Mal ist es sogar keine Lüge, als ich nicke. »Fantastisch. Schicken Sie ihn mir bitte gleich und wir sprechen durch, was wir nächste Woche Mittwoch am Tag seiner Hinrichtung schreiben.«

»O-okay«, stammle ich und bemerke, wie meine Hände schweißnass werden. Sie spricht so locker und erfreut darüber, als wäre der Tag, an dem Jason durch die Giftspritze stirbt, ein Fest. Wahrscheinlich denkt sie das sogar wirklich. Für sie sind doch alle, die im Gefängnis sitzen, Gesindel.

ENEMIESOù les histoires vivent. Découvrez maintenant